KZ-Sachsenhausen: Die Zeugen der Vergangenheit

Mit der Ausstellung in der einstigen Häftlingsküche ist das Konzept der Gedenkstätte im früheren KZ Sachsenhausen fertig umgesetzt.

Original-Malereien von Häftlingen sind im Keller an den Wänden der ehemaligen Häftlingsküche der KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen noch heute zu erkennen Bild: DPA

Knapp 63 Jahre nach dem Ende des Nationalsozialismus beginnt eine neue Phase des Gedenkens. "Wir sind an einen Punkt angekommen, an dem die Zeitzeugenschaft im Wesentlichen endet", sagt Günter Morsch, Leiter der Gedenkstätte Sachsenhausen. Folglich müssten nun die übrig gebliebenen Baurelikte und Originalschauplätze des Konzentrationslagers die Rolle der Zeitzeugen übernehmen.

Vor drei Jahren waren sie noch einmal alle gekommen: Rund 400 Überlebende des Konzentrationslagers (KZ) Sachsenhausen aus ganz Europa und den USA nahmen an der Gedenkfeier anlässlich des 60. Jahrestags der Befreiung des KZ Sachsenhausen am 22. April 1945 teil. Es war eine bewegende Zeremonie. Für viele Überlebende war dies aber auch die wahrscheinlich letzte große Reise an den Ort ihres einstigen Martyriums.

Wer heute das weitläufige Gelände am Rande der Stadt Oranienburg betritt, findet allerdings nur wenige steinerne Zeugen der Vergangenheit. Vereinzelt stehen Baracken und Türme auf dem ummauerten Lagerareal. Auf dem Appellplatz deutet eine zu DDR-Zeiten aufgestellte Ringmauer die damaligen Bauten an. Es sind die wenigen verbliebenen Orte des Lagers, die Morsch konservieren will. Und seit der 1993 begonnenen Runderneuerung der Gedenkstätte hat sich viel getan: der Bau eines modernen Besucherzentrums, die aufwendige Sanierung des Krankenreviers, die preisgekrönte Neugestaltung der Vernichtungsanlage "Station Z" und der Aufbau einer Jugendbegegnungsstätte in der ehemaligen Villa des KZ-Kommandanten Theodor Eicke. Mit der am Wochenende eröffneten, neuen Ausstellung zur Geschichte des Lagers in der ehemaligen Häftlingsküche habe man nun den Abschluss und Höhepunkt des Gedenkstättenkonzepts realisiert, so Morsch. Aus der einst antiquierten DDR-Gedenkstätte ist ein moderner Erinnerungsort geworden.

Die Ausstellung in der Häftlingsküche gibt der Gedenkstätte ihr Herzstück. Von hier aus wird auf die anderen zehn dezentralen Dauerausstellungen verwiesen, die ebenfalls in Originalbauten des Lagers untergebracht sind: in den Baracken der jüdischen Häftlinge, in den Wachtürmen und Krankenrevieren. In der Häftlingsküche finden diese Teilausstellungen ihren Ausgangspunkt, ihre Mitte. Auf 300 Quadratmetern wird hier die Geschichte des Lagers erzählt. Über 200.000 Häftlinge wurden in Sachsenhausen von den Nationalsozialisten eingepfercht, zehntausende von ihnen im Lager ermordet. Allein im Herbst 1941 wurden über 12.000 sowjetische Kriegsgefangene in einer Genickschussanlage hingerichtet. Sachsenhausen, das war das "Konzentrationslager der Reichshauptstadt".

Von der einstigen Lagerküche ist heute nichts mehr zu erahnen. Es ist ein beinah luftiger Raum, der dem Besucher entgegentritt. Vitrinen in ausgeleuchteten, milchgläsernen Säulen zeigen den Aufbau des "Muster-KZ Sachsenhausen" und dessen Lageralltag. Zeigen Opfer und Täter. Zeigen Zwangsarbeit, Folter, Tod. Zwischen den Vitrinen platzieren sich ausladende Originalgegenstände: ein Galgen, ein Prügelblock, eine Leichenkarre, Uniformen. Der Schrecken wird so nur indirekt, aber doch deutlich spürbar. Die Gräuelbilder aufgeschichteter Leichen finden sich nur in Miniaturfotos, ja beinah versteckt. Es sind stattdessen Bilder aus dem Lageralltag, von Häftlingseinweisungen, Appellen und SS-Aufsehern, die in großformatigen Gazen an den Wänden hängen.

"Wir müssen das Bildgedächtnis der Besucher wieder aktualisieren", erklärt Morsch. Der Gedenkstättenleiter beklagt die besonders bei jugendlichen Gästen häufig "fehlenden geschichtlichen Allgemeinkenntnisse". Ein Drittel der Führungen würden inzwischen allein für die Vermittlung von Grundwissen über den Nationalsozialismus benötigt. Mit einem im Gebäude gezeigten Kinofilm und 14 Computerterminals möchte man hier "nachsteuern".

Unter der Küche betritt der Besucher erstmalig auch die nackten Kellerräume. Bis zu 400 Häftlinge, die zu schwach zum Arbeiten waren, mussten hier Kartoffeln und Gemüse schälen. Heute zeigen sich hier Blumenornamente, Landschaftspanoramen oder Gemüse-Cartoons an den Wänden, die von Inhaftierten des KZ und des späteren sowjetischen Speziallagers gemalt wurden. In einer Ecke des Kellers fanden die Restauratoren Urnen und Menschenasche eingemauert. Diese wurde am vergangenen Freitag neben dem ehemaligen Krematorium in einem Massengrab beigesetzt. Mit einem Totenbuch wird in der neuen Ausstellung erstmalig dieser und anderer Opfer des KZ gedacht: 20.500 Namen konnten identifiziert werden.

Die neue Ausstellung in der Häftlingsküche hat 3,25 Millionen Euro gekostet. Insgesamt wurden 30 Millionen Euro in den vergangenen 15 Jahren in die Neugestaltung der Gedenkstätte investiert. "Ein gewaltiger Prozess, da wurde unheimlich viel geleistet", so Morsch.

Bereits am Donnerstag waren Überlebende des Lagers, Brandenburgs Kulturministerin Johanna Wanka und die Luxemburger EU-Kommissarin Viviane Reding für die Eröffnung der neuen Ausstellung nach Sachsenhausen gekommen. Am Sonntag wurden die Feierlichkeiten mit dem Gedenktag an die Befreiung des Konzentrationslagers vor 63 Jahren fortgesetzt.

Es sind zwei kleinere Projekte, die der Gedenkstätte nun noch für den Abschluss des Gesamtkonzepts fehlen: eine Ausstellung zu den Tätern im ehemaligen Kommandantenhaus und eine zur Architektur des Lagers im "Turm A", durch den die Häftlinge das KZ betraten.

Schon jetzt hat sich die Modernisierung der Gedenkstätte bewährt: Im vergangenen Jahr kamen 350.000 Besucher aus aller Welt. Auch der Oskar-gekrönte Film "Die Fälscher" über den Sachsenhausen-Häftling Adolf Burger hat zusätzlich Menschen nach Oranienburg gelockt. Morsch: "Da kamen plötzlich Leute, die sonst nie hierherkommen würden."

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