Entschärftes Spektakel

Unter dem Druck der aufgestauten Energien: Felix Ruckerts Stück „Messiah Game“ auf Kampnagel will dem Tanz die Ekstase zurückgeben

Skandal kann manchmal nützlich sein. Im Fall von Felix Ruckerts jüngstem Stück Messiah Game, jetzt aufgeführt auf Kampnagel, erwiesen sich die Vorwürfe von Blasphemie und Pornographie dagegen als kontraindiziert: Vorführungen wurden abgesagt, das Stück verkaufte sich nicht. Der Choreograph aus Berlin zog die Konsequenzen, er entschärfte und kürzte.

Lust und Schmerz, die Verbindung von Erotik und Religion, inspiriert durch Motive des Neuen Testaments, sind nach wie vor das Thema. Doch ist Messiah Game nun zum reinen Tanzstück geworden. Von drastischen Szenen mit Kreuzigungen von in Ketten aufgehängten, mit Klammern malträtierten Leibern hat Ruckert sein Spektakel befreit. Auch die bei der Premiere 2004 dargestellten Bezüge zur Lebens- und Leidensgeschichte Jesu Christi sind weitgehend abstrahiert. Zum Einsatz kommt weiter die Peitsche, ist doch eine ins Extreme ausgereizte Sinnlichkeit Motivation und Motor in Ruckerts Kunst.

Sinnlich, teils deutlich erotisch sind die Begegnungen, in denen zehn Tänzer das Wechselspiel von Dominanz und Unterwerfung bis zur echten Zufügung von Schmerz ausloten. Nur hin und wieder scheint in den Bewegungsbildern die christliche Ikonographie auf. Wie schnell diese Bilder allerdings abrufbar sind – es braucht da nur jemand die Arme auszubreiten, sich mit verdrehtem Kopf gen Himmel zu recken – zeigt, wie tief sie in uns verwurzelt sind.

Doch Ruckert bleibt nicht bei den Bildern stehen. Er sucht die Grenze, an der Lust und Leid, Körper und Psyche zusammenfallen, verschiebt sie, bis unter dem Druck der aufgestauten Energien ein Tanz frei wird, den man so selten gesehen hat. Ein Tanz, der außer sich ist und doch kontrolliert, vor allem aber virtuos. Zwangsläufig sind die Szenen dabei weitgehend improvisiert. Angetrieben von Christian Meyers Techno-Rhythmen entsteht eine Atmosphäre unkalkulierbarer Rohheit, die zusätzliche Spannung schafft in dem leeren und unendlich weit erscheinenden Bühnenraum.

Felix Ruckert hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass seine privaten Obsessionen Teil seiner Kunst sind. Es ist die Suche nach dem Moment der Ekstase, die ihn treibt, die der katholisch erzogene Choreograph dem Tanz zurückgeben möchte – in der unmittelbar kinästhetischen Vermittlung von Körperlichkeit, die den großartigen Tänzern irritierend überzeugend gelingt. Marga Wolff