Reaktorabriss in Jülich und Hamm: Protest gegen Strahlenschrott

Der Abriss der Reaktoren in Hamm und Jülich ist viel teurer als erwartet. Die Anwohner des Reaktors in Hamm fordern eine Risikostudie.

Im westfälische Ahaus lagern schon Brennelemente des Hammer Hochtemperaturreaktors. Bild: dpa

Der Abriss des Forschungsreaktors Jülich und auch des Thorium-Hochtemperaturreaktors (THTR) im westfälischen Hamm wird weitaus teurer als bisher geplant. Das geht aus einem Bericht des nordrhein-westfälischen Wissenschaftsministers Andreas Pinkwart (FDP) hervor, der der taz vorliegt. Grund sei eine "Umstellung des Rückbaukonzepts", die eine "Umstellung der Zeit- und Kostenplanung erforderlich" mache, schreibt der stellvertretende NRW-Ministerpräsident darin.

Konkrete Zahlen will die Landesregierung erst Mitte des Jahres nennen. Schon heute gilt als sicher, dass der Abriss der beiden Altanlagen Milliarden kosten dürfte. "Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Beseitigung der THTR-Ruine weniger als eine Milliarde Euro verschlingen wird", sagt Reiner Priggen, energiepolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion im Düsseldorfer Landtag.

Bezahlen müssen das die Steuerzahler: Ein Vertrag aus dem Jahr 1989 sieht vor, "dass Fehlbeträge für Maßnahmen nach Herstellung des Sicheren Einschlusses und nach der Abklingphase in Abstimmung zwischen Bund und Land geregelt werden", so das NRW-Finanzministerium. Dessen Chef Helmut Linssen will den Pannen-Reaktor, der keine zehn Monate am Netz war, deshalb möglichst lange unberührt lassen: "Der Sichere Einschluss über einen Zeitraum von 30 bis 40 Jahren lässt die noch vorhandene Radioaktivität deutlich abklingen, was einen späteren Abbau in vielen Bereichen einfacher gestalten wird", schreiben Linssens Beamte in einer Stellungnahme - dabei verursacht aber auch der "Sichere Einschluss" jedes Jahr Kosten von rund 5,6 Millionen Euro. Der THTR werde dennoch "noch über Jahrzehnte stehen bleiben", sagt der Atomexperte der Grünen im Landtag, Oliver Krischer.

Umso größer ist die Sorge der Bevölkerung. Schließlich ist schon am 4. Mai 1986 Strahlung aus dem sogenannten Kugelhaufenreaktor ausgetreten. Zerbrochene Kugelbrennelemente hatten damals Rohre verklemmt. Der Versuch, die tennisballförmigen Brennmaterialien mit hohem Druck freizublasen, scheiterte. Stattdessen wurden Teile der Anlage verbogen und radioaktive Aerosole in die Luft geblasen. Die Anwohner im angrenzenden Lippetal sind verängstigt: Mit Unterschriftenlisten und Petitionen an Landes- und Bundesregierung fordern sie eine detaillierte Studie zu den Krebsrisiken. "Wir wollen endlich Klarheit, wie gefährlich dieser Reaktor ist", sagt etwa Horst Blume von der Bürgerinitiative Umweltschutz Hamm.

Wie viele der Anwohner spricht Blume von einer erhöhten Krebsrate in der Umgebung des Reaktors - und verweist auf die im Herbst vorgelegte Studie des Mainzer Kinderkrebs-Registers (KiKK), nach der das Risiko, an einem Tumor oder an Leukämie zu erkranken, mit zunehmender Nähe des Wohnortes zu einem Reaktor laut den Wissenschaftlern "statistisch signifikant" ansteigt. Auch die Räte und Bürgermeister der an den THTR angrenzenden Gemeinden fordern von der NRW-Landesregierung eine solche Studie. Die aber erklärt sich für nicht zuständig - Energieministerin Christa Thoben (CDU) hält den THTR für eine "zukunftsweisende Technologie" und verweist auf das SPD-geführte Berliner Bundesumweltministerium.

Auch Bundesumweltminister Sigmar Gabriel will von einer weiteren Untersuchung nichts wissen, dazu sei der Reaktor schlicht nicht lange genug gelaufen, heißt es in einem Schreiben an die Bürgerinitiative: In der KiKK-Studie seien nur solche Standorte berücksichtigt worden, "bei denen der Betrieb nicht nach kurzer Laufzeit wieder eingestellt wurde". Den Anwohnern bleibt nur der Protest: Zum Jahrestag der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl ruft die Anti-Atom-Bewegung auch zur Demonstration vor der THTR-Ruine in Hamm-Uentrop auf.

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