Kommentar Steuerhinterziehung: Der große Schummel

Kanzlerin Merkel beschwerte sich in Bern über das Schweizer Bankgeheimnis. Zu harten Sanktionen konnte sie sich aber leider nicht aufraffen.

Zwei Zahlen illustrieren den Skandal, der den Namen "Steuerflucht" trägt: Mindestens 200 Milliarden Euro haben Deutsche in der Schweiz angelegt, aber nur ganze 63 Millionen flossen 2006 an den deutschen Fiskus zurück. Man kann es auch als Wirtschaftskrieg bezeichnen, was sich zwischen der Schweiz und Deutschland abspielt. Die Alpenrepublik bereichert sich, indem sie tatkräftig bei der Steuerhinterziehung mitwirkt. So war es nur konsequent, dass sich Kanzlerin Angela Merkel am Dienstag in Bern über das Schweizer Bankgeheimnis beschwert hat.

Dennoch bleibt ein Unbehagen zurück. Diese Geschichte von den bösen Schweizern ist irgendwie unvollständig. Denn machttaktisch bleibt es erstaunlich, dass ein so kleiner Staat seinen großen Nachbarn so lange ausplündern kann. Zumal Deutschland durchaus Drohpotenzial hätte, weil die Schweiz ja nicht nur von Banken, sondern auch vom Export lebt. Die Eidgenossen hätte es daher bestimmt beeindruckt, wenn alle Geldtransfers aus Deutschland in die Schweiz meldepflichtig würden. Aber zu solchen Sanktionen konnte sich bisher keine Bundesregierung aufraffen. So dringend war es den politischen Eliten dann wohl doch nicht, die Steuerhinterziehung zu verhindern.

Dieser unangenehme Verdacht erhärtet sich, sobald sich der Blick aufs Inland richtet. Denn Steuerflucht findet ja nicht nur über die Grenzen statt; oft reicht es schon, die Einnahmen in Deutschland zu verschweigen. Wie der Bundesrechnungshof monierte, überprüfen die Finanzämter nur jeden sechsten Einkommensmillionär - obwohl jede Kontrolle eine Nachzahlung von durchschnittlich 135.000 Euro ergibt.

Politische Nachlässigkeit gegenüber reichen Steuersündern ist nur möglich, wenn es die Mehrheit so wünscht. Offenbar glauben die meisten Deutschen, auch sie würden vom großen Schummel profitieren. Mental werden dann Millionenbeträge in der Schweiz gegen ein paar Zusatzkilometer bei der Pendlerpauschale aufgerechnet. So wird das nie was mit dem Kampf gegen die Steuerflucht.

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Der Kapitalismus fasziniert Ulrike schon seit der Schulzeit, als sie kurz vor dem Abitur in Gemeinschaftskunde mit dem Streit zwischen Angebots- und Nachfragetheorie konfrontiert wurde. Der weitere Weg wirkt nur von außen zufällig: Zunächst machte Ulrike eine Banklehre, absolvierte dann die Henri-Nannen-Schule für Journalismus, um anschließend an der FU Berlin Geschichte und Philosophie zu studieren. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin der Körber-Stiftung in Hamburg und Pressesprecherin der Hamburger Gleichstellungssenatorin Krista Sager (Grüne). Seit 2000 ist sie bei der taz und schreibt nebenher Bücher. Ihr neuester Bestseller heißt: "Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden". Von ihr stammen auch die Bestseller „Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ (Piper 2012), „Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen“ (Piper 2015), "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie - oder was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können" (Piper 2018) sowie "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen. Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind" (Piper 2022).

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