Deutsch-israelisches Verhältnis: "Für Ehrlichkeit ist es noch zu früh"

Das Verhältnis zwischen Israel und Deutschland beruht auf Zweckrationalität. Europa muss mehr Druck ausüben, sagt der Historiker Moshe Zuckermann.

Jugendliche feiern in Tel Aviv Israels 60. Geburtstag. Bild: dpa

taz: Herr Zuckermann, Israel feiert den 60. Jahrestag seiner Staatsgründung. Was ist für Sie der größte Grund zu feiern?

Moshe Zuckermann: Die schiere Staatsgründung. Was immer man vom Zionismus in geschichtlicher Perspektive halten mag - nach der Schoah war die Gründung eines Judenstaates zur historischen Notwendigkeit geworden. Ob der Staat dann im Laufe seiner Existenz die Verheißungen und Hoffnungen, die mit seiner Gründung einhergingen, erfüllt hat, ist schon wieder eine andere Frage.

Eine Umfrage hat jüngst ergeben, dass nur 40 Prozent der Deutschen finden, dass Deutschland aufgrund seiner Geschichte eine besondere Verantwortung gegenüber Israel trage. Wie bewerten Sie das?

Ich meine, dass es schon immer eine Diskrepanz gab zwischen den staatsoffiziellen Bekenntnissen der deutschen Politik und den Stimmungen, Befindlichkeiten und Meinungen innerhalb der doch sehr heterogenen deutschen Bevölkerung. Mich überrascht das Umfrageergebnis nicht. Das Gefühl einer wie immer verstandenen Verantwortung Deutschlands Israel gegenüber wird mit zunehmender zeitlicher Distanz zum historischen Ereignis der Schoah zwangsläufig abnehmen.

Warum sind die offiziellen Beziehungen zwischen Deutschland und Israel heute eigentlich so gut? Angesichts des Holocausts ist das ja beileibe keine Selbstverständlichkeit.

Die Beziehungen zwischen beiden Staaten strukturierten sich doch von Anbeginn auf der Grundlage zweckrationaler Erwägungen. Deutschland wollte nach der NS-Katastrophe wieder in die Völkergemeinschaft; dafür musste es zahlen. Israel konnte das Geld brauchen, weil es eine Infrastruktur aufzubauen hatte. Daher ist man ins Geschäft gekommen. An diesem Schuldparadigma hat sich bis heute nichts Wesentliches verändert. Auch nicht an der Materialisierung der Sühne.

Woran mangelt es in den Beziehungen noch?

Solange das Verhältnis zwischen beiden Staaten so strukturiert ist wie oben beschrieben, mangelt es an nichts. Beide Staaten kommen gut dabei weg. Das ist auch der Grund, warum es im Verhältnis zwischen beiden Staaten vor allem an gegenseitiger Aufrichtigkeit mangelt. Ob der historische Zeitpunkt für eine solche bereits gekommen ist, wage ich freilich zu bezweifeln.

Der Holocaust ist für das israelische wie für das deutsche Selbstverständnis zentral. Haben sich der deutsche und der israelische Blick auf Geschichte und Gegenwart dadurch angeglichen?

Nein, insofern Deutsche die Täter waren und Juden die Opfer, kann sich der Blick nicht angleichen, sondern muss stets durch die je eigene Perspektive geprägt bleiben. Natürlich können deutsche und israelische Historiker gleich An- und Einsichten teilen. Aber die Befindlichkeiten und Neuralgien der Bevölkerungen beider Länder sind weitgehend durch die je eigene geschichtliche Erfahrung bestimmt.

In Deutschland ist man stolz darauf, sich so kritisch mit der Nazi-Vergangenheit auseinandergesetzt zu haben. Zu Recht?

Ja, ich meine, dass die deutsche Öffentlichkeit in Medien, Wissenschaft, Kunst und Erziehung Bemerkenswertes in dieser Hinsicht geleistet hat. Ich rede dabei von der alten Bundesrepublik, besonders ab 1968, und vom vereinigten Deutschland. Gemessen daran, sind andere europäische Nationen mit ihrer Kolonial- oder etwa die USA mit ihrer Vorgeschichte nur sehr zaghaft, wenn überhaupt, umgegangen. Die Deutschen hatten freilich Monströses einzigartiger Art aufzuarbeiten.

Angela Merkel sagte bei ihrem Staatsbesuch, Israels Sicherheit sei deutsche Staatsräson. Was kann Deutschland zu Israels Sicherheit beitragen?

Nichts anderes, als was es bereits tut: diplomatische Vermittlungs- und militärische wie zivile Finanz- und Wirtschaftshilfe. Ich weiß nicht, was die Bundeskanzlerin damit gemeint hat, Israels Sicherheit sei deutsche Staatsräson. Ich war immer der Meinung, Israels Sicherheit sei israelische Staatsräson.

Wie fanden Sie ihre Rede vor der Knesset?

Die Israelis haben genau das zu hören bekommen, was sie hören wollten. Die Kanzlerin hat genau das gesagt, was sie rhetorisch verkünden darf, ohne dafür eine historische Gewähr leisten zu müssen. Mutig war die Rede nicht.

Merkel hat sich im Atomstreit mit dem Iran auf die Seite Israels gestellt. Hat sie recht?

Sie hat sich nicht auf die Seite Israels, sondern auf die eines Großteils des Westens, vor allem aber der USA gestellt. Ob sie damit recht hat, bemisst sich daran, wie man den Umgang des Westens und der USA mit dem Iran bewertet. Solange man in diesem Zusammenhang keine eingehende Analyse geopolitischer Interessen aller beteiligten Seiten vornimmt, kommt man zu keinem schlüssigen Ergebnis, was es mit derlei Solidaritätsbekundungen auf sich habe.

Tut Deutschland genug, um zu einer Lösung des Nahostkonflikts beizutragen?

Man kann nie genug tun, um zur Lösung des Nahostkonflikts beizutragen, der für mich noch immer zu den gefährlichsten Konfliktherden der Welt gehört. Ich würde mir mehr politischen und ökonomischen Druck seitens Deutschlands, vor allem aber der EU wünschen, bin mir aber zugleich dessen bewusst, dass sich Deutschland dies unter den herrschenden Beziehungen zu Israel kaum je erlauben wird. Ob damit Israel, den Palästinensern, ja der gesamten Region ein Gefallen erwiesen wird, sei mal dahingestellt. INTERVIEW: DANIEL BAX

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