Nach Erdbeben in China: Die Trauer schlägt in Zorn um

Eltern, deren Kinder beim Erdbeben in China verschüttet wurden, wollen Aufklärung über schlecht gebaute Schulhäuser. Auf einer Demonstration gegen das Vergessen zerrten Polizisten sie beiseite.

Dieser chinesische Junge hatte Glück - er hat überlebt Bild: dpa

PEKING taz Vor dem Gerichtsgebäude der Stadt Dujiangyan haben gestern mehr als Hundert verzweifelte Eltern gekniet. Sie verloren beim Erdbeben am 12. Mai ihre Kinder. "Wir klagen an!", riefen sie, und: "Wir wollen die Wahrheit!" Ihre Töchter und Söhne gehörten zu jenen 270 Schülern, die unter den Trümmern der Juyuan-Mittelschule begraben wurden. Nun fordern die Familien Aufklärung, warum das Gebäude sofort komplett zusammenstürzte, während die Häuser nebenan die Erdstöße überstanden. Polizisten versuchten die demonstrierenden Eltern zunächst zu überreden, den Platz zu verlassen, und zerrten sie schließlich beiseite.

Die Szene aus Dujiangyan ist kein Einzelfall: In vielen Orten der Bebenregion beklagen Eltern Pfusch und Korruption beim Bau von Schulen. Im Internet kursieren Bilder eines Funktionärs, der trauernde Angehörige auf Knien bittet, nicht mehr zu protestieren. Siebentausend Klassenzimmer stürzten nach offiziellen Angaben zusammen. Wie viele Schulkinder insgesamt starben, ist noch nicht bekannt. Um der Bevölkerung zu beweisen, dass sie ihren Schmerz teilen, zeigen sich Premier Wen Jiabao und Präsident Hu Jintao immer wieder mit Schulkindern in Zeltklassen und sprechen sich dafür aus, die Ursachen der Tragödie zu untersuchen.

Ein Großteil der eingestürzten Schulen wurde erst in den letzten zwanzig Jahren gebaut. Denn die Regierung in Peking hatte versprochen, dass alle Kinder neun Jahre lang in die Schule gehen können. In China versuchen selbst die ärmsten Eltern, ihren Sprösslingen den Unterricht zu ermöglichen. Das gilt besonders dort, wo die Einkindpolitik streng durchgesetzt wird. Und das spiegelt nicht nur den großen Respekt vor Bildung wieder, sondern auch die Hoffnung, dass Kinder mit besserer Ausbildung später einen Job finden und die Familie unterstützen.

Doch das Bildungsversprechen hat einen Haken: Die Zentralregierung verlangt von Kreisen und Städten, das Geld für Schulbauten und einen Teil der Lehrergehälter selbst aufzutreiben. Peking finanzierte in den letzten Jahren lieber Universitäten und Eliteschulen als Klassenzimmer für Arme. Obwohl erdbebensichere Konstruktionen vorgeschrieben sind, gibt es vielerorts niemanden, der die Standards durchsetzt oder überprüft.

Oft sind örtliche Funktionäre nicht nur korrupt, sondern auch unter Druck, trotz leerer Kassen Dienste anzubieten. Für den Preis von einem bauten sie deshalb gleich zwei Klassenzimmer. Dafür sparten sie am Stahl im Beton oder mischten mehr Sand in den Zement. Ein Beispiel ist die Fuxin-Grundschule in der Stadt Mianzhu, die traurige Berühmtheit erlangte, weil hier 127 Kinder verschüttet wurden, während alle Gebäude ringsum stehen blieben.

Die renommierte Zeitung Südliches Wochenende recherchierte, obwohl die Propagandabehörden derzeit wieder versuchen, chinesischen Journalisten beim heiklen Thema "Tofu-Schulen" (deren Mauern weich wie Sojabohnenquark sind) einen Maulkorb umzuhängen. Das Blatt fand Erstaunliches: Um Geld zu sparen, kopierten die Schulfunktionäre einfach einen Plan für ein anderes Gebäude, setzten noch ein Stockwerk drauf und strichen dafür Stützbalken und -streben. Einen eigenen Plan in Auftrag zu geben hätte so viel gekostet wie der Bau eines halben Klassenzimmers. Der Architekt, der den Entwurf für eine ganz andere Schule gezeichnet hatte, erfuhr erst 19 Jahre später davon - nachdem seine Nichte beim Einsturz der Fuxin-Schule beim Beben gestorben war.

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