Podolski und multiple Identitäten: Der Deutsche aus Polen

Zwei Tore erzielt, zweimal nicht gejubelt: Lukas Podolski ist das neue Europa. Passt das zum Nationen-Event?

Nach dem gewonnenen Spiel küsst Lukas Podolski seinen Papa - Und der sitzt im polnischen Block. Bild: dpa

Wenn das mal keine Superstory ist! Da spielt Deutschland gegen Polen, die Stimmung war im Vorfeld bestens angeheizt worden mit abgeschlagenen Köpfen deutscher Spieler auf polnischen Boulevardzeitungstiteln und dann - zack - sorgen ausgerechnet die beiden polnischstämmigen Stürmer der deutschen Nationalmannschaft im Zusammenspiel für die beiden Treffer gegen das Team ihres Geburtslandes.

Welch ein Drehbuch - als hätten die Spindoktoren vom Fußballboulevard höchstpersönlich das Geschehen an jenem Sonntagabend in Klagenfurt konzipiert. Leider wollte einer seine ihm zugewiesene Rolle im Nationen-Event Fußballeuropameisterschaft nicht spielen: Lukas Podolski, geboren in Gliwice, aufgewachsen in Köln. Nach beiden seiner - sportlich - wichtigen Tore war ihm offensichtlich nicht so zum Jubeln, wie es einem Fußball-Helden aus Mediensicht gut zu Gesicht stünde.

Das übertragende ZDF ließ er nach dem Spiel kurz und bündig wissen, dass er halt zwei Tore geschossen habe, ihn das für die Mannschaft freue, es nun aber wie immer ums nächste Spiel gehe. Im polnischen Fernsehen tat er seine Verbundenheit mit seinem Geburtsland kund, die selbstredend wohlwollend aufgenommen wurde. "Polen liegt mir sehr am Herzen, deshalb habe ich nicht richtig gejubelt nach den Toren", so Podolski.

Und nun? Am Tag nach dem vermeintlichen Schicksalsschlag spielen alle Eventgestalter munter ihren Part: Die einen werfen die Diskursmaschine an und arbeiten sich an einem gebrochenen Helden ab, dessen identitäre Zerrissenheit irgendwas mit dem Stand der Integration in Deutschland zu tun haben müsse. Und die anderen titeln fröhlich "Podolski putzt die Polski" (Bild), "Podolski hat Polen niedergestreckt" (Gazeta Wyborcza), "Noch ist Polen nicht verloren" (Super Express) - ein Zitat der polnischen Nationalhymne -, als bekriegten sich im Fußballjahr 2008 tatsächlich noch europäische Nationen.

Wie wenig ein modernes Turnier wie die EM diese archaischen Bedürfnisse überhaupt noch bedienen kann, dürfte spätestens seit dem legendären Nike-Werbespot "Good versus Evil" von 1996 klar sein - einer Zeit, in der die Kulturwissenschaft den Fußball entdeckt hatte und fortan die Spiele als Texte las, die eine andere Entwicklung flankierten: die Kommerzialisierung, den Bedeutungszuwachs von Clubs, die immer stärker nach den Regeln von Leistung und Kapital grenzüberschreitend agieren und die eigene Vereinstradition als Fundament eines Merchandising-Großprojekts begreifen. Nike lässt in jenem Spot das "wunderschöne Spiel" von außerirdischen Kriegern angreifen, die das "gute" Team abwehren kann - eine Auswahl an Starspielern diverser Nationalmannschaften wie Paolo Maldini (Italien), Ronaldo (Brasilien) und Eric Cantona (Frankreich), der letztlich seinen Kragen hochklappt und zum finalen Vernichtungsschuss ansetzt. Tor und versenkt. Von einer Nike-Weltmannschaft. "Just do it."

Krieg und Fußball, Nation und martialisches Abwehrspiel sind längst nur noch Analogien, die das Event EM zu seiner Inszenierung benötigt. Ohne diese Referenzebenen wäre die EM alles außer: unterhaltend, spannend, also gewinnbringend für Uefa, Fernsehen, Firmen. Ohne sie wäre das Turnier selbstverständlich nicht auch alles außer: ein idealer Anlass, um schlummernde Reste eines altertümlichen Nationalismus zu wecken. Prügelnde und antisemitische Parolen brüllende Hooligans knüpfen da an, wo Europa einst an sein Ende geriet. An das Neue finden sie offensichtlich kaum noch Anschluss.

Das wahre Spiegelbild dieses modernen Europas ohne seine Grenzen stellt ein anderer Wettbewerb dar: die Champions League, in der Clubs gegeneinander antreten, die aus den besten Spielern aller erdenklichen Nationen zusammengekauft sind und mit einem schnellen, modernen Fußball unterhalten. Anachronistische Versuche des Fifa-Chefs Joseph Blatter, die Zahl ausländischer Spieler in den Clubs auf fünf zu begrenzen, müssen die Fußballverantwortlichen noch nicht mal selbst abwehren: Für alle EU-Bürger gilt das Recht auf freie Arbeitsplatzwahl - auch für Spitzenfußballer.

Ein brasilianischer Spieler in einem polnischen Team? So what! Ein polnischstämmiger Spieler in einem deutschen Nationalteam? What a kick!

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