Kolumne Speckgürtel : Der Tag am See
Das Leben im Speckgürtel ist grün, öde und banal? Lassen Sie sich da mal nicht von unserer Kulisse täuschen.
K ürzlich schrieb ich an dieser Stelle über Banalitäten. Mein Text stellte einen Zusammenhang her zwischen dem Eindruck, die 2008er Staffel von "Germanys next Topmodel" haue nicht mehr so rein wie die 2007er, sowie der Tatsache, dass ein trotteliger Kater namens Bruce entlaufen ist. Dafür möchte ich mich entschuldigen. Vor allem bei jenem Leser, der mir daraufhin schrieb, er brenne regelrecht darauf, weitere "Anekdoten aus der linken Spießerhölle" zu lesen und auf diese Weise "tiefe Einblicke ins Seelenleben der selbstverwirklichten Schlafstadtbourgeoisie" zu gewinnen.
Dieser Leser hat natürlich recht. Wer für die taz eine Kolumne schreiben darf, dieser Person ist es ausschließlich gestattet, der hässlichen Fratze der Spießbürgerlichkeit den Spiegel vorzuhalten. Außerdem hat die globalisierungskritische Speckgürtel-Bewohnerin folgende weitere Aufgaben zu erledigen: Rechtsradikalismus im suburbanen Raum bekämpfen. Die kleinstädtischen Nachbarn bewegen, einen Verein für nonverbale Performancekunst zu gründen. Aldi und Lidl boykottieren und ausschließlich im Bioladen oder "beim Bauern" einzukaufen. Außerdem: einen Dreikammerkomposter betreiben und eine freie Elterninitiativ-Schule gründen. Eine muss es ja machen. Nun ist es leider so, dass wir Menschen im suburbanen Bereich noch nicht die erforderliche hohe Bewusstseinsstufe erreicht haben. Wir arbeiten aber daran. Noch formiert sich im Vorortzug kein spontaner Protest beim Anblick einer stinkbesoffenen Zwei-Meter-Glatze im Nazi-Outfit. Noch besteht das Angebot im kleinstädtischen Kulturhaus im Wesentlichen aus einer von Goldenagers gern besuchten Travestieschau. Und einen Bioladen gibt es leider nicht. Wozu auch - alle anderthalb Kilometer steht ein Discounter mit riesigen Parkplätzen davor.
Das darf natürlich nicht so bleiben. Die taz-Kolumnistin ist ja in den Vorort gezogen, damit sie hier recht bald genauso leben kann wie im innerstädtischen Ausgehbezirk. Aufregend - aber in Grün. Und aufregend ist es. Wirklich. Vor allem an den Wochenenden.
Dann nämlich quellen jede Menge junge coole Mitte-Ausgeher & -Rumsteher aus dem Vorortbahnhof. Sie sind gekommen, um den Sommertag im Speckgürtel zu verbringen. Die Tagestouristen tragen krasse Hütchen und tellergroße Sonnenbrillen auf den Köpfen, um die Hüften haben sie sich verrückte bunte Tücher geschlungen. Den Hund lassen sie endlich mal frei laufen und ihr Kind fahren sie in einem Wagen umher, in den ihre Mütter sie einst gebettet haben. Unterwegs schauen sie uns Vorortlern über die Spießerzäune, um mal zu sehen, wie grün und öd wir hier leben müssen.
Am Seeufer angekommen, baden sie selbstverständlich nackt, damit Tattoos und Intimpiercings auch mal die Sonne sehen. Sie entzünden Grillfeuer - dass Waldbrandwarnstufe V herrscht, können sie ja nicht wissen. Sie schreien ihren Hunden hinterher, die im nahen Waldstück Jogger verfolgen, beschweren sich über die Dorfjugend, die es wagt, am Strand Musik zu hören, ferner über das Fehlen einer Caffee-latte-Strandbar. Ist halt nicht die City hier. Abends trecken sie wieder zurück zur Bahn. Braungebrannt, schnatternd und mit nassen Haaren ziehen sie Richtung Bahnhof: in der Innenstadt wartet nun ihr aufregendes Leben auf sie.
Kaum aber hat sich hinter den Letzten die Zugtür geschlossen, beginnt für uns Dörfler die wöchentliche Übungseinheit. Wir klappen die Bürgersteige runter, und in der als Bäckerei getarnten Starbucks-Filiale wird der erste Dulce de Leche Frappuccino gebraut. Die Versicherungsagentur entpuppt sich als auf ostwalisische Konzeptkunst spezialisierte In-Galerie, am Strand legt der DJ Dub-Musik auf, und endlich öffnet auch die Bar.
Wie gesagt, wir üben noch. Und weil es einfach noch nicht so groovy läuft wie im innerstädtischen Ausgehbezirk, räumen wir zum Ende der Woche alles lieber wieder weg, setzen uns hinter unseren Spießerzäunen in die Liegestühle, klappern mit dem Kaffeegeschirr und tun, als würden wir die coolen Typen, ihre Hunde, Kinder und mitleidigen Blicke nicht bemerken. Es ist halt ein furchtbar banales Leben hier draußen.
Fragen zur Spießerhölle? kolumne@taz.de Montag: Peter Unfried CHARTS
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