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Ein Tag als Drag King"Und dann werden wir behaart"

Es muss nicht heitere Travestie sein, wenn man mit Kleidung und Gestus das Geschlecht wechselt. Unsere Autorin wagte den Versuch zwischen Drag und Trauerarbeit.

Drag und Trauer

Die Idee zu ihrem Workshop "Bruder für einen Tag" kam der New Yorker Drag-Künstlerin Diane Torr in den Neunzigern: "Fast jeden Tag starb ein Freund an Aids." Torr unterrichtete seit 1989 die Techniken der optischen Geschlechtsumwandlung in den Workshops "King For A Day" und "Man For A Day", auf deren Grundlage sie "Brother For A Day" entwickelte -1992 starb Diane Torrs Bruder an Aids. Mit einer ihrem Bruder gewidmeten Performance verlieh Torr ihrem Verlust künstlerischen Ausdruck: Sie trägt seine Kleidung, spricht auf seine Weise und erforscht seine Leidenschaften. Ihre Requisiten sind Dinge, die ihm in seinem Leben wichtig gewesen sind. Der Tod, so erklärt der Historiker Philippe Ariès in "Die Geschichte des Todes" (1980), ist aus unserem Leben verbannt worden. In einer Zeit, in der die gemeinschaftlichen Rituale des Trauerns immer mehr ihre Wirksamkeit verlieren, bietet das sehr intime Ritual von "Brother For A Day" eine Alternative, die auch die öffentliche Diskussion darüber, wie man trauert, bereichern kann.

Der Mann, der ich bin, ist ein bisschen übergewichtig und einen besonders guten Geschmack hat er auch nicht. Die Jeans schlabbert formlos um ihn rum und das Shirt klebt auf seinen Hüften, als gelte es, dort eine Alpenlandschaft entstehen zu lassen. Keinen Schimmer von Körpergefühl. Trotzdem steht der Mann, der ich bin, immer noch besser da als der Mann, der meine Nachbarin ist. Nachdem sie lange und prüfend im Spiegel seinen Gesichtsausdruck geübt hat, stellt sie auf einmal fest: "Ich bin ja total unsympathisch."

Im samstäglich leeren Ballettraum einer Berliner Theaterschule haben sich fünf Frauen versammelt, um Männer zu werden. Geliebte Männer, die verstorben sind. Im Workshop "Brother For A Day" will die Drag-Künstlerin Diane Torr ein Trauerritual lehren. Am Ende der zwei Tage soll man eine kleine Performance entwickelt haben, mit der man den Verlorernen erinnern kann. "Was ihr hier lernt, könnt ihr nutzen, um einen Teil von ihm in euch weiter leben zu lassen", erklärt Diane Torr. "Es kann aber auch helfen abzuschließen."

Die Herausforderung ist - und hier kommen die Drag-Techniken ins Spiel -, dass wir uns in den Verstorbenen verwandeln sollen.

Wenn man sich erst mal 33 Jahre in der Inszenierung von Weiblichkeitsmodellen geübt hat, dann fällt einem die Gegenseite nicht gerade leicht. Suzette wickelt großzügig Pütterbinde um meinen Oberkörper. Die Dekonstruktion meiner Weiblichkeit stellt sich praktisch deutlich schwieriger dar, als die Theorie einen glauben lässt. Der Verband zwingt zwar meine Brüste zum Umzug. Dafür quellen aber zehn Zentimeter tiefer und unter den Achseln Wülste hervor. Schlagartig wird mir klar, warum man in einfacheren Kulturen Brüste auch "Vorbau" nennt. Nachdem ich meinen plattgemacht habe, ragt wie bei einem Häuserabriss eine Lücke auf, die den Blick auf eine andere Baustelle freigibt: meinen Bauch.

Martin war ein drahtiger Mann. Immer in lässigen Jeans und verwaschenem T-Shirt. Er war sehr in sich gekehrt. Ich hingegen sehe in derselben Aufmachung aus wie ein Austauschschüler, den man am Bahnhof vergessen hat und der nun unglücklich erwartungsvoll die Menge anstarrt. "Es ist nicht wichtig, dass du genau seine Sachen trägst", beruhigt mich Diane. "Du musst dich in deiner Männlichkeit wohlfühlen."

Diane Torrs Mannsein ist deutlich souveräner. Mit ihrer rotgefärbten Stummfilmstarfrisur aus den späten 20ern erinnert sie ohnehin an eine Zeit, in der die Geschlechter sich in jeder Hinsicht mischten. Ihren Körper beherrscht sie perfekt, von einer Sekunde auf die andere wechselt sie zwischen Frau und Mann und zurück. Mühelos. "Entschuldigt die Stereotypen", sagt sie "aber lasst uns mal über ein paar Unterschiede reden." Sie zeigt, wie Frauen auf einem Stuhl sitzen - "immer ganz vorne, ganz nah am Gegenüber" - und wie Männer das tun - "zurückgelehnt, gelassen, was kann mir schon passieren".

Wie wenig biologisch bedingt dieses Verhalten ist, beweist sie mit ihrem eigenen Spiel. Die schwerste Lektion für mich ist das Lächeln. "Das müsst ihr extrem einschränken. Lächeln ist sehr weiblich", erklärt Diane.

Dann werden wir behaart. Mit grünen Reptilaugen studiert Diane mein Gesicht und fragt nach der Behaarung des Brothers. "Glattrasiert oder nachlässig?" Sie streicht mich mit Spezialkleber ein und bestreut Wangen und Kinn mit zerschnittenem Kunsthaar. Der Effekt ist erstaunlich. Haare scheinen ein viel größeres Geschlechtsmerkmal, als ich bisher angenommen hatte. Mit dem neuen Gesicht fällt mir mein Mann nicht mehr ganz so schwer: "Martin" trägt jetzt einen für ihn total untypischen Business-Anzug, der mir aber besser passt, und da ich mich wohler fühle, wachse ich langsam in ihn hinein.

Zum Glück gibt es Rufus. Suzette, die mich am frühen Morgen mit ihrer überschwänglichen Art und ihrem perfekt parlierten Englisch ein bisschen angestrengt hat, hat sich in einen wortkargen Typen verwandelt, ihre ausschweifenden Gesten sind weg, stattdessen humpelt sie unbeholfen. "Rufus war am Ende seines Lebens schwer von seiner Krankheit beeinträchtigt", erklärt sie.

Unsere erste Übung ist eine Vorstellungsrunde. Wir sollen in der Rolle unseres Brothers sprechen. Bevor es losgeht, begutachtet Diane streng unsere Verwandlung und besteht darauf, dass Mike Schuhe anzieht und seine Hose nicht umkrempelt. "Was für ein Typ macht denn so was?", mahnt sie.

Martin wird zunehmend stiller. Die Erinnerung bedrückt mich, außerdem soll ich ja ohnehin nicht so viel lächeln. Rufus rutscht auf seinem Stuhl rum, er mag solche Gruppen nicht, sagt er. Und überhaupt, er müsse aufs Klo. Rufus zieht mich mit. Er ist so präsent in der Darstellung von Suzette, dass man wirklich bedauert, ihn nicht gekannt zu haben. Wir anderen sind bei dieser wie bei der nächsten Übung, wo wir miteinander Kontakt aufnehmen sollen, noch ein bisschen gefangen in Parodien von Machoverhalten. Man fasst sich in den Schritt, klopft sich auf die Plauze und verhält sich allgemein so, als gelte es, einen Proleten-Kontest zu gewinnen.

Die Travestie wird extrem befreiend. "Gino" ist ein derartiger Sexist, dass man richtig neidisch werden könnte. Martin und er reißen dreckige Witze und klopfen sich männerfreundschaftlich auf die Schulter. Endlich kann man mal genauso ein eindimensionales Arsch sein, wie man das bei Männern so oft beobachtet. "Im Spielen dieser Rollen liegt viel emanzipatorisches Potenzial", erklärt Diane später.

Besonders schön lässt sich diese Befreiung bei "Dino" beobachten, der als ein sehr offenes, aber sehr schüchternes Mädchen den Tag begann. Dino zieht sich immer mehr in sein eigenes Spiel zurück; wen er ursprünglich darstellen wollte, scheint Nebensache zu sein. Es ist deutlich zu merken: Hier erforscht sich jemand im Seitenwechsel selbst.

Am zweiten Tag sollen wir unsere neu erworbene Männlichkeit im Freien ausprobieren. Unser Ziel ist das Grill & Chill des Drag-Festivals, das gerade in Berlin stattfindet. Auf dem Weg unterhalte ich mich mit James über Bier, Fußball und Frauen-Beachvolleyball und komme mir mächtig cool vor.

Für eine Quasselstrippe wie mich ist Martins Schweigen sehr anstrengend. Aber ich werde belohnt. Zwei Frauen werfen mir beim Grillen im Vorübergehen auffordernde Blicke zu. Ich soll sie ansprechen, ihnen folgen. Ich fühle mich in meiner Männlichkeit bestätigt.

Schwerer ist der Test mit anderen Männerndarstellern. Vor allem denen auf der Straße. Auf dem Festival verbreitet sich die Nachricht, dass ein paar Türken in der Nacht zum Sonntag einige Drag-Kings brutal zusammengeschlagen hätten. Zwei der Frauen tauchen beim Grillen auf, zierliche Frauen sind es, die jetzt sehr verstört und verletzt sich von ihren Freunden trösten lassen. Man ist wütend und enttäuscht über die Dummheit draußen und man ist in Sorge um die Angegriffenen und darum, dass auf der Straße die Aggressivität gegen alles, was nicht in traditionelle Normen zu fassen ist, zunimmt.

Die Verkleidung ist nicht mehr lustige Travestie, sondern ein Politikum. "Dressed as guy" mache ich mich auf den Heimweg. Das üblich orientalische Publikum in Berlin-Kreuzberg ist mir jetzt unheimlich. Ich fürchte in jedem Mann den potenziellen Gegner. Diane hatte uns bei ihrer Stereotypenlehre eingeschärft, dass Männer sich in ständiger Konkurrenz zueinander befinden. Dass sie sich immer messen müssen. Die Männerkarikatur, die ich bin, könnte als Angriff verstanden werden.

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