spielplätze (6): im café king.: Kroaten und Advokaten bei der Klientenpflege

Europameisterschaft in Berlin.

Alle gucken wieder Fußball. Die taz guckt auch. Bis zum Ende der Europameisterschaft berichten wir täglich live von den Berliner Spielplätzen. Heute: Deutschland - Kroatien im "Café King"

Das Café King in Charlottenburg scheint die erste Anlaufadresse in der Stadt zu sein, wenn es darum geht, kroatische Jubelszenen einzufangen. Ein Kamerateam nach dem anderen zwängt sich im Verlauf der zweiten Halbzeit durch die rot-weiß kariert bekleideten Menschenmassen in die Gaststätte. Mit 1:0 führen die Südosteuropäer bereits. Gut 200 Kroaten auf engstem verspiegeltem Raum, kurz vor dem Sieg gegen die großen Deutschen. Davon versprechen sich die Hinzugekommenen gute Bilder.

Und es wird niemand enttäuscht. Kroatien erzielt das 2:0, und flugs werden die diversen Kamerascheinwerfer angeschaltet. Im imposanten Blitzlichtgewitter der Fotojournalisten wird gewiss jeder Einzelne der schätzungsweise zehn Küsse festgehalten, die ein entrückter Kroate auf das Silberkreuz drückt, das an seiner Halskette hängt. Der rot-weiße Freudentaumel ist schier grenzenlos.

So viele Journalisten waren im Café King zuletzt, als Kroaten und Deutsche noch durch ihr gutes Zusammenspiel auffielen. Die Besitzer des Lokals, die Sapina-Brüder Ante, Milan und Filip, sprachen hier einst gemeinsam mit Schiedsrichter Robert Hoyzer ab, wie man welche Fußballpartie verschiebt, und strichen dadurch imposante Wettgewinne ein. Als alles aufflog, berichteten etliche Reporter live aus der Rankestraße über den Manipulationsskandal.

Doch das ist Vergangenheit. Und zu der pflegen die Sapina-Brüder ein unverkrampftes Verhältnis. Milan herzt während des Spiels einen kleinen, untersetzten Mann im Anzug, einen Heinz-Rühmann-Verschnitt. Er stellt ihn Gästen als seinen Staatsanwalt von damals vor, mit dem er sich inzwischen befreundet habe.

Ein Scherz, beschwichtigt jener später auf Nachfrage. Er sei lediglich Anwalt. Und um jeden Argwohn zu zerstreuen, fügt er hinzu: "Und nicht der einzige hier." Tatsache, unter den unzähligen Kroaten gibt es einen Tisch mit vier deutschen Sakkoträgern. Das Café King - ein Advokatentreff. Klientenpflege und Fußballschauen - schöner kann man Hobby und Beruf nicht verbinden.

Milan Sapina legt seinem angeblichen Staatsanwalt eine schwarz-rot-goldene Kunststoffblütenkette um. Nun sieht der Anwalt aus wie ein Beamter auf dem Faschingsball. Arm in Arm unterhält er sich daraufhin mit Ante Sapina, dem Drahtzieher des Wettbetrugs.

"Das ist doch ein lustiges Völkchen", sagt der Anwalt über das Café-Publikum. Ihm gefällt es hier. In einem türkischen Café, erklärt er, könne man nicht so unbehelligt sitzen, wenn die Deutschen führen würden. Ein zweifellos vorurteilbehaftetes Urteil. Schließlich wird die friedlich-euphorische Stimmung im Café King durch den Rückstand der Deutschen genährt.

In der Halbzeitpause tippt Milan Sapina auf ein 1:1. "Wir lassen immer etwas nach", erklärt er. Ein geschickter Schachzug, denn mit einer 2:1 Prognose für Kroatien hätte er sich ja nur wieder verdächtig gemacht.

Nur wenige Sekunden nach dem Schlusspfiff (es bleibt bis zum Ende beim 2:0 für Kroatien) ist fast niemand mehr im Café King. Es wird auf der Straße weitergefeiert. Ante Sapina entzündet ein bengalisches Feuer. Der letzte Freudentanz, bevor er wieder in den Bau muss. Denn nachts sitzt bzw. liegt der wegen Wettbetrugs Verurteilte den Rest seiner knapp dreijährigen Haftstrafe ab.

Café King, Rankestraße 23, alle EM-Spiele auf Plasmabildschirmen, Eintritt frei

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Jahrgang 1971, bis Ende März 2014 frei journalistisch tätig. Seither fest mit dem Leibesübungen-Ressort verbunden.

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