Ode an die Freude: Dichterhochburg Marbach

Die Schillerhöhe in der idyllischen süddeutschen Stadt ist eine Literaturhochburg. Neben dem Schillermuseum findet man dort das 2006 eröffnete Literaturmuseum der Moderne, kurz LiMo

Schiller-Denkmal Bild: dpa

Von des Lebens Gütern allen

Ist der Ruhm das höchste doch,

Wenn der Leib im Staub zerfallen

Lebt der große Name noch.

(Friedrich Schiller aus: "Das Siegesfest" )

"Jeder, der etwas Gutes wirkt, hat für die Ewigkeit gearbeitet." So ein Dichterwort des Dramatikers und Philosophen Friedrich Schiller, der selbst Gutes getan hat, zumindest für den guten Ruf Deutschlands als Hort der Dichter und Denker. Schiller bedeutet "Ode an die Freude" und "Das Lied von der Glocke", "Die Räuber" und "Wallenstein", und auch Reflexionen zur "ästhetischen Erziehung des Menschen". Wie Goethe, Herder und Wieland zählt er zu den "Weimarer Klassikern". Aber geboren wurde Schiller 1759 in Marbach am Neckar. Mit gerade mal 45 Jahren verstarb er in Weimar.

Dass Schillers guter Ruf die Zeiten überdauere, machten sich engagierte Marbacher zur Aufgabe. 1805 soll ein aus Sachsen zugereister Handwerker und Bewunderer Schillers das Geburtshaus des Dichters ausfindig gemacht und mit seiner Büste verziert haben. 1835 gründete sich der Marbacher Schillerverein (heute: Deutsche Schillergesellschaft) als erste deutsche Dichtergesellschaft. Sie erwarb das Geburtshaus des Dichters und eröffnete es als museale Gedenkstätte. Das Schillerhaus ist auch heutzutage zu besichtigen. Reizvoll der Gedanke, sich in der Fachwerkidylle inmitten Marbachs historischer Altstadt einfach einzuquartieren. Die Stuben sind klein und die Decken niedrig - aber die Fachwerkatmosphäre ist heimelig. Die Enge und Ärmlichkeit, in der die Schillers hier seinerzeit für einige Jahre lebten, ist heute kaum noch vorstellbar. Die Schillers wohnten Parterre, im ersten Stock lebte eine weitere Familie. Das Haus an den Holdergassen gehört zum ehemaligen Wohnviertel der Weingärtner und Bauern. Ein malerisches Viertel, einladend wie der Ort selbst.

Marbach, praktisch einen Katzensprung von Stuttgart entfernt mit der S-Bahn zu erreichen, liegt eingebettet zwischen Weinbergen am Ufer des Neckar. Hier Schillers weiteren Spuren zu folgen, heißt den Weg nach oben zu suchen, hoch auf den Felsen, die heutige Schillerhöhe. Sein Denkmal steht im Park auf dem Hügel. Prachtvoll das Schiller-Nationalmuseum, das eher wie ein Schloss wirkt. Es wurde eigens für den Dichter im Jahre 1903 errichtet. Weit über die Betreuung des Nachlasses hinaus ging hier 1955 die Gründung des Deutschen Literaturarchivs. Es archiviert von der Aufklärung bis zur unmittelbaren Gegenwart Dichternachlässe, Verlagsarchive, Bücher und literarische Zeitschriften, es ist ein einzigartiges Projekt der Schillergesellschaft zur Bewahrung der deutschen Literaturgeschichte.

Die Schillerhöhe ist eine Literaturhochburg. Und inzwischen ist noch ein weiterer, sehr eigener Anziehungspunkt entstanden: das Literaturmuseum der Moderne, kurz LiMo. Es befindet sich direkt neben dem Schillermuseum und wurde im Sommer 2006 eröffnet. Wenn Marbach heute einen hervorragenden internationalen Ruf pflegen kann und es Besucher aus aller Welt zur Literatur zieht, dann nicht nur wegen Friedrich Schiller, sondern wegen dieses neuen Highlights der Museumslandschaft. Im LiMo locken ausgewählte Stücke der letzten 120 Jahre aus dem Handschriften- und Nachlassbestand des Literaturarchivs. So authentisch und sinnlich wie möglich das gelebte Leben, die physischen Spuren der Literatur sichtbar zu machen, ist das hier leitende Konzept.

Das Literaturmuseum der Moderne, kurz LiMo Bild: dpa

Natürlich kann man nichts in die Hand nehmen, etwa in Manuskripten oder Tagebüchern blättern - da schützt Glas vor, aber das ausgeklügelte Museumskonzept sieht einen dafür entwickelten multimedialen Museumsführer vor. Wer Spaß an der Spielerei mit neuer Technik hat, kann sich die literarische Welt hinter Glas selbst erschließen. Der "M3"-Museumsführer zoomt die originalen Handschriften der Literaten auf den tragbaren Bildschirm, die Manuskripte lassen sich transkribieren in lesbare Druckschrift, man kann sich hier mit weiteren Texten und mit Informationen versorgen, kann sich Bilder und anderen Nachlass genau betrachten. Auch als Navigationsgerät dient dieser virtuelle Führer und leitet auf verschiedenen Wegen durch die Ausstellung.

Schauplatz und Herz des LiMo ist die dunkle Halle Nexus im Basement, wo die archivierten Schätze in einer schier endlosen Reihung illuminierter Glasvitrinen präsentiert werden. Eine wirkungsvolle Inszenierung. Sie erzeugt etwas Geheimnisvolles, vielleicht sogar etwas wie eine Aura um die persönlichen Stücke der vielen hier versammelten Literaten. Das wertvollste Manuskript ist Kafkas Handschrift vom "Proceß", Erich Kästners Manuskript "Emil und die Detektive" ist da, Döblins "Berlin Alexanderplatz" und auch die Literaturnobelpreisurkunde von Hermann Hesse. Überhaupt Hesse ist gut vertreten: vom "Steppenwolf"-Manuskript bis hin zum privaten Fotoalbum. Hesse wurde nicht weit entfernt in Calw geboren und machte im Kloster Maulbronn eine schwierige Internatszeit durch.

Furore macht seit seiner Eröffnung im Sommer 2006 allerdings auch das weiße Museumsgebäude selbst. Denn es irritiert zuallererst. Niemand, der aus der Ferne nicht an einen Tempel denkt. Als würde sich auf Marbachs Höhe eine zweite Walhalla den Besuchern öffnen, ähnlich jenem pathetischen Parthenon hoch über der Donau bei Regensburg, wo sich die Büsten der toten Dichter und anderer sogenannter großer Deutscher versammeln. Und wie schon auf der Donauhöhe gibt es auch hier diesen großartigen Panoramablick auf den Fluss und die Landschaft. Doch wenn man näher kommt, verliert sich jedes Pathos und noch jede Kitschvermutung. Der englische Architekt David Chipperfield hat sich eine filigrane Mixtur aus klassischen Motiven und moderner, sehr ästhetischer Architektur einfallen lassen. Wie klassische Säulen umlaufen schlanke weiße Betonstützen den modernen Bau am Berg, ein Säulengang seitwärts führt zum Eingang und weiter zur großen Aussichtsterrasse. Weißer Muschelkalk, dunkles Tropenholz und viel Glas sind die wichtigsten Materialen. Auch der Sichtbeton hat den Farbton des Muschelkalks. Ein Ort der Kontemplation in schöner Landschaft. Einzig und allein gebaut, um dem literarischen Nachlass Raum zu geben. Oder eingedenk Schiller: geschaffen für die Nachwelt, für Literaturfans auf den Pfaden Schillerscher Ewigkeit.

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