Warenkunde: Was man mit Wasser machen kann
Aus Elementarem wird Exklusives: Produktdesigner interpretieren Mineralwasser auf unüberschaubar vielfältige Weise. Da hilft schon mal die Einnahmeempfehlung "Zum Trinken".
Die Philosophen haben die Welt immer nur verschieden interpretiert, die Produktdesigner aber verändern sie auch. Diese Variation auf seine berühmte elfte Feuerbachsche These hätte Karl Marx gewiss nicht gefallen. Doch ob er ihr widersprechen könnte? Tatsächlich nehmen Designer oder, allgemeiner, die Produzenten von Konsumgütern heutzutage eine Rolle ein, die früher am ehesten Priestern oder Dichtern zugetraut wurde: Sie geben vor, wie man - gerade auch alltägliche - Situationen wahrnimmt und wie man in ihnen handelt. Mit ihren Produkten inszenieren sie nicht nur jeweils ein bestimmtes Verständnis der damit möglichen Tätigkeiten, sondern profitieren auch davon, dass diese eingeübt werden. Die zu Design gewordenen Interpretationen gehen so nämlich in Fleisch und Blut über.
Ein Beispiel. Zurzeit wird wieder viel Werbung für Mineralwasser und andere Getränke gemacht, und in den Kühlregalen der Läden stehen, kaum überblickbar, zahlreiche Produktvarianten zur Auswahl. Diese Vielfalt hat sich erst in den letzten Jahren entwickelt. Es handelt sich dabei um ein Wohlstandsphänomen, könnte doch zumindest in Mitteleuropa fast jeder am eigenen Wasserhahn den Durst sehr preiswert löschen. Doch wollen viele offenbar nicht nur trinken, sondern diese lebensnotwendige Tätigkeit mit zusätzlicher Bedeutung aufladen - und sind bereit, dafür auch einiges zu zahlen. Die einzelnen Marken interpretieren das Wassertrinken also unterschiedlich; sie gestalten jeweils ein darin angelegtes Moment.
Da Trinken erfrischt, wird etwa suggeriert, man könne sich mit Energie aufpumpen. So gibt es ein Wasser, dessen Flasche die Form einer Gaspatrone hat. Metallisch verkleidet und mit dem chemischen Symbol O2 beschriftet, erweckt es den Eindruck eines technoiden Produkts. Die Verschlusskappe erinnert zudem an ein Sicherheitsventil, so als drohe die Flasche zu explodieren, weil so viel Energie in ihr gespeichert ist. Auch sonst sind die Flaschen nie bloße Behälter, sondern in Form, Farbe und Materialität durchgestylte Produktkörper. Sie können schlank und schwungvoll verdreht sein, um Dynamik und Sportlichkeit zu verheißen. Sie sind aber ebenso mütterlich-bauchig oder, statt aus Plastik, aus Glas, damit sie Solidität signalisieren und den Eindruck erwecken, man trinke etwas Gesundes, gar ein Therapeutikum. Eine frühe Form der Überhöhung, nämlich die Verehrung als Heilwasser, kehrt hier in zeitgemäßem Produktdesign wieder. Wissenschaftlich anmutende Grafiken, die vermeintliche Wirkungen beschreiben, zieren dann genauso das Etikett wie Verweise auf jahrhundertealte Traditionen oder eine Arzneimittelzulassungsnummer. Die Aufschrift "Zum Trinken" wird zur Einnahmeempfehlung, so als müsse der zum Patienten gewordene Verbraucher das Wasser wie ein Medikament, wohl dosiert, zu sich nehmen.
Andere Überhöhungen führen dazu, dass das Wasser mit Zusätzen versehen wird, ja Beigaben von Früchten oder Gewürzen enthält, die ihm nicht nur eine schöne Farbe verleihen, sondern auch für allerlei Assoziationen sorgen. Dabei fällt eine Vorliebe der Hersteller für Doppelnamen auf: Mango-Grapefruit, Apfel-Limone, Himbeer-Weißer Tee, Kirsche-Limette … Das Schema ist immer dasselbe: Ein Ingrediens ist ziemlich geläufig, um das Produkt im Alltag zu erden, ja um es zum täglichen Gebrauch zu empfehlen, das andere hingegen mutet exotisch an. Damit soll es als interessante Abwechslung, als unalltäglich erscheinen, ja den Konsumenten auf eine virtuelle Reise schicken, die es erlaubt, zu entspannen und allen Stress zu vergessen.
Wie stark kulturell bedingt und oft sogar national abhängig viele Interpretationen des Wassertrinkens sind, wird klar, wenn man nur eine Landesgrenze überschreitet. So gibt es in Frankreich etwa kaum Versuche, das Wasser zum Energiespender zu deklarieren. Dafür fallen Inszenierungen auf, die es wie etwas Hochprozentiges präsentieren: In schweren, runden Glasflaschen abgefüllt, so als handle es sich um Wodka, erlangt es den Status eines Genussmittels. Der Preis steigert die Illusion, es mit etwas Besonderem zu tun zu haben, kostet ein Liter bei Lafayette in Paris doch immerhin 9,45 Euro. Aus dem Elementarsten wird so das Exklusivste. Das befremdet ebenso wie in Deutschland die höchst aufwändigen und rohstoffintensiven Verschlusskappen der Energy-Varianten oder all die Therapie-Postulate. Man fragt sich, woher das Bedürfnis nach solch starken Inszenierungen kommt, ja was da kompensiert werden soll. Und man ist versucht, Marx nochmals zu variieren: Die Philosophen haben die Welt immer nur verschieden interpretiert, die Produktdesigner aber überinterpretieren sie.
WOLFGANG ULLRICH
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