spielplätze: taz-Serie Spielplätze (10). Diesmal: Italien-Frankreich am Paul-Lincke-Ufer
Currywurst und steile Flanken
Alle gucken wieder Fußball. Die taz auch. Bis zum Ende der EM berichten wir täglich live von den Berliner Spielplätzen. Heute: Italien - Frankreich vorm "Uferpavillon" am Paul-Lincke-Ufer
Zu spät dran. Alle Plastikstühle sind schon besetzt. Immerhin ist noch kein Tor gefallen. Auf dem Rasen im fernen Zürich scheint es heiß her zu gehen, doch hier am Kiosk im Stil der 50er-Jahre kauen Menschen friedlich auf ihrer Bratwurst. Zwischen einer dicken Buche und dem blau gekachelten Schuppen flattern Deutschland-Wimpel. "Uferpavillon" steht in verwitterten Lettern über der Theke, daneben werden "Curry und Pommes" angepriesen. Meine Begleitung, zwei fußballbegeisterte junge Männer, verharrt augenblicklich reglos und klebt gebannt am Fernsehbildschirm moderner Bauart. Nach vorne gebeugt fixieren sie die bunten Punkte auf der Mattscheibe. Ein leeres Schiff namens "Kreuzberg" gleitet auf dem Landwehrkanal vorbei. Es riecht nach Diesel.
Ich hole erst mal Bier für drei und frage den weißhaarigen Mann im Kiosk nach einer Sitzgelegenheit. Er bedauert. Auch alle Bierkisten seien bereits vergeben. Ein zufriedenes Grinsen huscht über sein Gesicht. Der Mann erzielt sicher Umsatzrekorde. Normalerweise rennen hier zwar zu jeder Unzeit hochkonzentrierte Jogger - die Nordic-Walker nicht zu vergessen - vorbei, rasende Radler wirbeln Staubwolken auf die Currywurst. Doch kaufen wollen die nichts. Zu EM-Zeiten ist alles anders.
Die PR-Kampagne des Kioskbesitzers besteht aus einem selbstgebastelten Schild mit der Aufschrift "Genießen Sie die EM in entspannter Atmosphäre" und Bildern von Ballack, Podolski und Klose in Aktion, sauber ausgeschnitten und harmonisch aufgeklebt. Die Kampagne zieht: Etwa 50 Personen drängen sich zwischen dem Radweg am Landwehrkanal, dem Paul-Lincke-Ufer und der Pannierstraße. Passanten kommen, kaufen Bier, verweilen für einige Spielzüge, fachsimpeln mit dem Dauerpublikum und setzen dann ihren Spaziergang am Ufer fort.
Ein Tröten schreckt mich aus meinen Umsatz-Kalkulationen auf. "Waaffl!", tönt es tief aus dem blank polierten Pavillon. Der Kioskbesitzer hat eine schwarz-rot-goldene Tröte bedient, reckt seinen langen Oberkörper aus dem Fenster zur Theke und zeigt mit riesigen Arbeiterpranken links an meinem Ohr vorbei. Eine junge Blonde tänzelt heran und nimmt eine weiß gepuderte Waffel in Empfang. Es duftet lecker.
Die Spielzeit ist auf dem Bildschirm kaum zu erkennen. Außerdem verstellen die Buche, eine Straßenlaterne und mehrere Köpfe das Blickfeld. Ist nicht bald Halbzeitpause? Dann fällt ein Tor, und eine Schwarzhaarige pellt sich aus ihrer Italienfahne, um sie euphorisch zu schwenken. "Italia!", schreit sie. "Curry", ruft der Kioskchef aus seiner Bude und bläst in die Tröte.
Dann ist tatsächlich Halbzeit, die Nachrichten beginnen. Der Kioskbesitzer hat seinen großen Auftritt. Er dreht den Fernseher leise, positioniert sich am Gartenzaun und zupft am Schnauzer. Sein weißer Schopf wird vom Fernseher erleuchtet. "Liebe Gäste. Morgen hat mein Uferpavillon geschlossen. Aber bitte kommen Sie am Donnerstag wieder." Endlich werden ein paar Bierkisten frei.
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