Online-Seite für Pflege-Fehler: Düsterer Einblick ins Altenheim

Seit neun Monaten berichten Pflegekräfte auf einer von der Regierung unterstützten Webtseite, was in ihrem Tagesgeschäft schief läuft. Zu lesen sind drastische Erfahrungen.

Fehlt in keinem Altenheim: Pflegebecher Bild: dpa

"Ich habe selber in einem Heim gearbeitet, in dem Bewohner auf dem Toilettenstuhl frühstücken mussten. Ich habe gekündigt, da ich dies mit meinem Gewissen nicht vereinbaren konnte." Auf solche und andere düstere Einblicke in deutsche Altenpflegeheime sollte man gefasst sein, wenn man sich das Internetportal "www.kritische-ereignisse.de" anschaut: Hier berichten Pflegekräfte und Angehörige von Pflegebedürftigen, was alles so schief läuft im Pflege-Tagesgeschäft - damit andere Pfleger davon lernen können.

Gesundheitsministerin Ulla Schmidt zog am Donnerstag eine Zwischenbilanz zu dem Online-Berichtsssystem, das vom Kuratorium Deutsche Altershilfe (KDA) betrieben, und von ihrem Ministerium mit 570.000 Euro unterstützt wird. Seit neun Monaten ist es im Netz, über 180 Berichte und über 1.000 Kommentare sind mittlerweile online.

Darunter sind nicht ganz so gravierende Probleme - "Fernsehapparat ist nicht sichtbar", "Milch in der Kaffeekanne", "Nur Kekse zum Mittag" - und richtig schlimme Sachen. Wie der Fall eines Bewohners, der "trotz gegenteiliger Absprache mit Richter, Betreuer und Heimleitung" beim Mittagsschlaf mit einem Bauchgurt fixiert wird, oder der Fall einer Frau, der man mit Gewalt Nahrung verabreicht. "Einer Bewohnerin wird die Nase zugehalten und die passierte Nahrung in den Mund geschüttet. Der Pfleger sagte mir, dass ich das auch so machen müsse. Ich bin weinend davon gelaufen", heißt es in einem Bericht.

"Fehler kommen vor in der Pflege. Sie müssen akzeptiert und vor allem enttabuisiert werden", sagte KDA-Geschäftsführer Peter Michell-Auli dazu. Er betonte, dass es sich um ein Lernsystems handele, nicht um einen Online-Pranger für Missstände im System. Auch der Projektleiter der Seite, Heiko Fillibeck, sagte: "Wir veröffentlichen keine Berichte, in denen nur steht 'Wir haben zu wenig Personal, darum ist alles Käse' - da kann es ja keinen Lerneffekt geben." Alle Berichte werden vor der Veröffentlichung anonymisiert und redigiert, genau wie die Kommentare, Tipps die pflegefachlich falsch sind, stelle man nicht online. Fillibecks Fazit bis jetzt: "Die meisten Berichte behandeln Vorfälle, die überall passieren können und nicht nur eine Ursache haben."

Oft ist nicht ein einzelner Pfleger Schuld, sondern mangelnde Organisation in den Pflegebetrieben, sagt auch Johanna Knüppel vom Deutschen Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK). "Aber wenn etwas passiert, sucht man einen Schuldigen, und als Schuldiger muss meistens der Schwächste herhalten", so Knüppel.

Sie hält interne Meldesysteme für die einzelnen Pflegebetriebe für sinnvoller als ein anonymes System. Dies funktioniere vorwiegend als ein Ventil für Mitarbeiter, die sich überfordert und hilflos fühlen. Trotzdem fbefürwortet sie das sogenannte Critical Incident Reporting System, dass viele Berufsgruppen bereits seit Jahren benutzen. "Immerhin werden die Fehler in Pflegebetrieben hier wenigstens dokumentiert", und dass sei schon viel wert, sagt Knüppel: "Es gibt sonst keine vernünftige Gesundheitsberichterstattung in Deutschland, weil man sonst ja politische Schlüsse ziehen müsste."

Zum Beispiel, die Arbeitsbedingungen in der Pflege verbessern und den Stellenabbau stoppen - mit diesen Forderungen ist der DBfK zusammen mit ver.di erst vergangenen Monat an die Gesundheitsministerin herangetreten. Die wollte auf der Pressekonferenz aber nicht so gerne über Personalabbau in der Pflege sprechen. Stattdessen lobte sie lieber das Online-System: "Damit können wir über direkte Kommunikation mit den Betroffenen herausfinden, was gut und was nicht gut funktioniert". Gut funktioniert wohl nicht allzuviel. Das Feld "Positive Faktoren" bleibt in den Berichten oft leer. Vor allem muss "positiv" in der Pflege anscheinend immer relativ betrachtet werden, wenn man solche Einträge liest: "Positive Faktoren: Angehörige übernehmen den Wechsel der Inkontinenzeinlage selbst".

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