Sechs Minuten mit dem UEFA-Funktionär: Das Wort hat - niemand
Ein verspäteter Flieger, zwei Interviewte auf dem Podium und fünf Fragen - die wohl kürzeste Pressekonferenz der EM 2008.
Fingerspitzengefühl sollen sie haben, die Schiedsrichter. Abwägen zwischen Gelber und Roter Karte, vorangegangene Fehlentscheidungen beachten, die Emotionen der Spieler verstehen. Fingerspitzengefühl - wie ein Zauberwort zur Beschreibung des Könnens des perfekten Schiedsrichters geistert es auch bei der EM 2008 über Stammtische und durch Kommentatorenkabinen. Zu selten, so der Vorwurf, werde auf dieses Mittel der Spielleitung zurückgegriffen. Die armen Spieler, die bösen Schiris.
Doch wer sollte ihnen vorleben, wie ein Abweichen von steifen Regeln möglich wäre? Die Uefa, die an der Spitze des europäischen Fußballs thront? Demnach lägen die Hoffnungen auf Uefa-Boss Platini - Michel, rette uns vor aller Prinzipienreiterei! Doch die Hoffnungen, dass ausgerechnet die Uefa zeigt, wie es ginge, werden stetig einfach nicht größer. Jede Trainingseinheit, die Spielvorbereitung, ja selbst die Einfahrt der Mannschaftsbusse ist minutiös durchgeplant. Flexibilität? Verboten.
So zeigte die Uefa ihren Schiedsrichtern auch auf der abschließenden Pressekonferenz am Abend vorm Halbfinalspiel Deutschlands gegen die Türkei allenfalls eines: wie es aussieht, wenn man auf Fingerspitzengefühl verzichtet. Als Joachim Löw und Mario Gomez erst mit 20-minütiger Verspätung auf diePressekonferenz kamen - der Flieger des DFB-Trosses hatte über dem Baseler Flughafen Warteschleifen drehen müssen -, hätte Platinis Fußballverband eine Abkehr von Starrsinnigkeit demonstrieren können. Und doch: Die Chance blieb ungenutzt. Ganze 6 Minuten ließ man den beiden Gehetzten. Schließlich war die Konferenz auf 25 Minuten angesetzt, da geht schon die Nachspielzeit von 1 Minute an die Grenze der Funktionärsverträglichkeit. Verlängerung ausgeschlossen.
Für Löw hieß das: vier Fragen, vier kurze Antworten. So erfuhr der gemeine Sportreporter, dass Deutschland "keine Verletzungssorgen" habe und der Trainer ein "spannendes und intensives Spiel" erwarte. Abschließend noch zwei brave, positive Sätze über den türkischen Gegner, das wars. Gomez Redebeiträge hielten sich ebenfalls in Grenzen: Ein einziges Mal kam der VfB-Stürmer zu Wort. Und tschüss: Schon musste sich das deutsche Duo auf Hinweis eines Uefa-Offiziellen wieder verabschieden. Sie wissen schon: der Zeitplan.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!