Kommentar: Ein Slogan als Messlatte
Eine neue Werbebotschaft preist Berlin als einzigartig und vielfältig. Dabei droht der Stadt ihre einzigartige Vielfalt gerade verloren zu gehen.
Den Wettbewerb um den kreativsten Spruch für die hauptstädtische Imagekampagne "be Berlin" hat die 17-jährige Schülerin Klara Martens gewonnen. Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) enthüllte am Donnerstag ein Großplakat mit ihrer Siegerzeile "Sei einzigartig, sei vielfältig, sei Berlin" am Roten Rathaus. Wowereit sprach von einem "überzeugenden Dreiklang". Er verdeutliche, dass in Berlin so viele Menschen unterschiedlicher Herkunft leben. Rund 2.000 Berliner hatten sich am Wettbewerb beteiligt. Vier Wochen konnten Berliner über die Webseite sei.berlin.de ihre Botschaften einreichen. Begleitet wurde die Siegerehrung von einem Protest streikender Gewerkschafter des öffentlichen Dienstes. Mit Pfiffen und "Klaus, geh nach Haus!"-Rufen brachten sie ihren Unmut über das ihrer Meinung nach unzureichende Angebot des Senats bei den Tarifverhandlungen zum Ausdruck. Wowereit reagierte und sagte - ganz im Sinne der Kampagne - "sei Gewerkschafter, sei Querulant, sei Berlin". DDP
Er ist nur eine weitere Werbebotschaft für die Stadt. Und doch ist er ein Glückfall. Denn mit ihrem Gewinnerslogan "Sei einzigartig, sei vielfältig, sei Berlin" ist der 17-jährigen Erfinderin weit mehr gelungen als die x-te Variation eines Reklamedreiklangs. Sie hat treffend die Qualitäten Berlins benannt - und die Messlatte für den Umgang mit der Stadt angemessen hoch gelegt.
Denn die Vielfalt Berlins ist genauso einzigartig wie bedroht. In Stadtteilen wie Prenzlauer Berg und Mitte, deren freie Räume kreative Ideen einst geradezu herausforderten, werden längst die letzten Häuserlücken zugeplant. Es fehlt jeglicher Platz zum Ausdenken - und Buntes wird zurechtgestutzt.
Ein typisches Beispiel ist die Strandbar im Monbijoupark. Vor gerade sechs Jahren kam eine Theatergruppe auf die Idee, Sand ans Spreeufer zu kippen, Strandkörbe aufzustellen und Drinks zu verkaufen. Ein einzigartiger Trendsetter. Die Mutter aller Strandbars gibt es heute noch. Doch statt die Originalität des Ortes zu wahren, hat man das Ufer glatt saniert. Körbe und Sand gibt es nicht mehr, nur Gartentische in Reih und Glied. Es sieht aus wie in Düsseldorf.
Ähnliches in ungleich größerer Dimension droht unter dem Label "Mediaspree" an den Ufern in Friedrichshain-Kreuzberg. Das Chaos dort ist einzigartig - und lockt junge Menschen aus ganz Europa. Als bleibenden Wert hat es die Stadtplanung dennoch nicht erkannt.
Überraschende Vielfalt, das kann jeder Botaniker bestätigen, gedeiht dort, wo niemand abgezirkelte Beete geplant hat. Das widerspricht jeglichem Planungs- und Verwertungsinteresse. Um das zu verstehen, müssten Stadtplaner eine enorme Gedankenleistung vollziehen. Sie wäre einzigartig. Und stünde genau deshalb Berlin gut zu Gesicht.