„Eine riesige Resonanz“

VORTRAG Wie Ludwig Roselius die Böttcherstraße zum Zentrum der NS-Forschung machte

■ 35, promovierte über den Haithabu-Ausgräber Herbert Jankuhn und forscht derzeit über die Bremer NS-Vorgeschichtsforschung.

taz: Herr Mahsarski, Sie schreiben, bei den „Nordischen Things“ in der Böttcherstraße habe es es „hochkarätige Vorträge völkischer Fachwissenschaftler“ gegeben. Inwiefern kann NS-Volkskunde als „hochkarätig“ bezeichnet werden?

Dirk Mahsarski: Es gab bei diesen jeweils zu Pfingsten 1933 und 1934 durchgeführten Großveranstaltungen zwei Gruppen von Teilnehmern: die Laienforscher, die wie Herman Wirth mit seiner Atlantis-Forschung eine Pseudowissenschaft betrieben, und hoch angesehene Fachleute wie der Prähistoriker Gustav Schwantes aus Kiel, die auch später noch in der Bundesrepublik hohe Reputation genossen. Nur wird vergessen, dass sie von den selben völkischen Prämissen wie die Laienforscher ausgingen.

Wie stark beeinflusste der Germanenkult den NS-Alltag?

Er war in jeder Faser dieses Alltags präsent: bei allen Schulungen, in der Werbung oder in Unterhaltungsfilmen wie der „Feuerzangenbowle“, in der der sehr positiv besetzte Geschichtslehrer den „neuen Geist“ verkörpert. Aber auch bei der Freiwilligen-Anwerbung für die Waffen-SS in Skandinavien und den Benelux-Ländern waren germanische Symbole wichtig.

Wie viele Teilnehmer hatten die Böttcherstraßen-Things?

Die überlieferten Listen sind zum Teil lückenhaft, aber es waren mehrere Hundert. Im „Haus Atlantis“, an dem der Böttcherstraßen-Erbauer Ludwig Roselius das Odin-Kreuz hatte anbringen lassen, füllten die Things diverse Säle. Unter den Teilnehmern waren mehrere Regierungsmitglieder wie Landwirtschaftsminister Walther Darré und Hans Frank, der Reichsminister ohne Geschäftsbereich und spätere Generalgouverneur von Polen. Auch der SA-Stabschef in spe Viktor Lutze kam.

War die Böttcherstraße ein Hotspot der völkischen Forschung oder doch eher ein Nebenschauplatz?

Kurzfristig war sie durchaus der Hotspot. Die völkische Laienforschung hatte eine wahnsinnige Resonanz, aufbauend auf der Heimatforschungs-Euphorie des 19. Jahrhunderts.

Allgemein heißt es, spätestens mit Hitlers Böttcherstraßen-Rede 1936 sei Ludwig Roselius beim NS-Regime in Ungnade gefallen.

Er verlor bei Hitler an Ansehen und Einfluss, aber von „Ungnade“ kann keine Rede sein. Roselius war weiterhin in einflussreichen Gremien wie dem Zentralausschuss der Reichsbank vertreten, er blieb förderndes SS-Mitglied und war in der NS-Öffentlichkeit als Ehrengast verschiedener Sonderausstellungen nach wie vor präsent. Diskussionen darüber, ob völkisches Gedankengut mit expressionistischen Mitteln wie in der Böttcherstraße ästhetisch ausgedrückt werden könne, gab es freilich von Anfang an. Aber das hatte nicht zur Folge, dass Roselius selbst kein Nazi mehr sein wollte.

Interview: Henning Bleyl

20 Uhr, Haus der Wissenschaft, Sandstraße