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Zahlentheoretiker über das Fantastische in der Mathematik"Physiker haben geistige Schranken"

Im Jahr der Mathematik erklärt der Zahlentheoretiker Peter Ripota, warum man das Fach lieben sollte, 2 mal 2 durchaus 5 ergeben kann und worin der Sinn der Astrologie besteht.

Hui, Mathe kann Spaß machen! Zumindest wenn "Mathe" heißt, dass man einen Ball in einem Luftstrom balanciert, wie im Gießener Mathematikum. Bild: dpa

taz: Herr Ripota, warum ist Mathematik für viele Schüler ein Hassfach?

Peter Ripota: Sie dürfen Mathematik nicht mit dem verwechseln, was in der Schule unterrichtet wird. Da wird Rechnen gelehrt, das ist etwas anderes. Das Wesentliche an der Mathematik ist aber das Schöpferische, dass man sich selbst etwas Neues ausdenkt und dann die Konsequenzen erforscht. Das kann man in der Schule nicht machen.

Also ist Mathematik spannend, nur der Unterricht nicht?

So ungefähr. Klar müssen Schüler auch lernen, was man im täglichen Leben braucht. Sie sollten später schon ihre Telefonrechnung überprüfen können. Aber vielleicht sollte man im Unterricht ein bisschen mehr das Fantastische betonen, damit die Schüler auch staunen können. Das ist ein wenig so, als würde man im Kunstunterricht Michelangelos David lediglich als "gekrümmten Marmor" beschreiben. Das ist es nicht alleine.

Sie haben einmal geschrieben, dass sie Mathematik für eine Kunstform halten. Ist Mathematik keine Wissenschaft?

Wissenschaft beobachtet die Realität und stellt dann fest, dass etwas der Fall ist, oder auch nicht. Das letzte Kriterium ist also die Wirklichkeit. Ohne Wirklichkeit kann es keine Wissenschaft geben und umgekehrt: Wenn die Wissenschaft die Wirklichkeit nicht beachtet, dann ist sie keine Wissenschaft. Die Mathematik hat aber keine Realität, sondern nur etwas Selbstgeschaffenes. Natürlich können Sie sagen, es gibt Dreiecke da draußen - aber die mathematischen Dreiecke gibt es dort nicht.

Hat Kunst nicht immer etwas mit Kreativität zu tun. Mathe dagegen mit Regeln.

Mathe ist genauso von der Kreativität und der Intuition abhängig. Vergleichen Sie es mit dem Schachspiel: Dort gibt es Regeln, die Sie beim Spielen einhalten müssen, auch wenn diese Regeln willkürlich sind. Trotzdem können Schachspieler sehr kreativ sein, sie können Maschinen besiegen, oder den nächsten Zug des Gegners vorwegnehmen, indem sie intuitiv seine Spielweise und seine Taktik voraussehen.

Halten Sie mathematische Regeln denn auch für willkürlich?

Ja. Es gibt natürlich Bereiche, in denen die Regeln so sehr etabliert sind, dass man sie schwer ändern kann. Theoretisch könnte man es aber.

Praktisch gelten Matheregeln aber als etwas, was man sich nicht ausgedacht hat, sondern was eben so ist, in der Wirklichkeit sozusagen.

Aber Zahlen gibt es nicht in der Wirklichkeit, also in der Natur, man muss sie abstrahieren. Mathe lässt sich auch mit Architektur vergleichen: Architekten erschaffen etwas mit Materialien, die sie sich selbst ausgesucht haben. Es gibt nur ein Gesetz, nämlich dass das Gebäude nicht zusammenfallen darf. Auch in der Mathematik gibt es nur ein Gesetz, nämlich dass es keinen Widerspruch geben darf - sonst fällt alles zusammen.

Welchen Einfluss haben wissenschaftliche Dogmen auf den Mathematikbetrieb?

Wenn Sie von einem bestimmten Common Sense in der Wissenschaft abweichen, wird Ihre wissenschaftliche Existenz zerstört, dafür gibt es viele Beispiele. Wenn Sie an Einstein zweifeln, sind sie weg von der Universität. Das Gleiche gilt für das Anzweifeln des Urknalls.

Sie tun beides.

Ja, aber ich bin kein Wissenschaftler, das ist der Vorteil.

Als Wissenschaftler wären Sie unten durch?

Ich habe einen Bekannten, der war im Max-Planck-Institut für Plasmaphysik beschäftigt. Der war auch ein Skeptiker. Zum Teil haben die Kollegen ihn dann nicht mehr gegrüßt. Ein Kollege ist auf einmal nicht mehr mit ihm in die Kantine gegangen, weil er bestimmte Aspekte von Einsteins Thesen angezweifelt hat.

Warum?

Weil die Menschheit Heilige braucht, und Einstein ist ein Heiliger. Und es gibt eine gewisse Orthodoxie in der Wissenschaft, bestimmte Richtungen, in die man geht. Forschung, die davon abweicht, wird entweder unterdrückt - oder es gibt zumindest kein Geld dafür. Wenn ich gerne ein Gegenmodell zum Urknall erforschen möchte, dann bekomme ich diese Forschung eben nicht finanziert. Oder es werden Publikationsmedien verweigert, was für einen Wissenschaftler ziemlich tödlich ist.

Und warum etabliert sich eine bestimmte Meinung?

Das hängt stark mit dem jeweiligen Zeitgeist zusammen. So wie Einstein mit seiner Relativitätstheorie großen Erfolg hatte in einer Zeit, in der alles im Umbruch war, und einstige absolute Werte verworfen wurden. Oder man nimmt einmal die Mengenlehre, die Ende des 19. Jahrhunderts begründet wurde. Die Mengenlehre spiegelt ja eigentlich den Kapitalismus wider. Eine Menge ist ein abgeschlossener Bereich, von jedem Element kann man feststellen: Es gehört dazu oder es gehört nicht dazu. Auch Ausdrücke wie "Filter" sind sehr bezeichnend: Man filtert heraus, wer dazugehört und wer nicht. Das ist typisch Kapitalismus: Mein Besitz, dein Besitz, und dazwischen eine scharfe Grenze.

Sie sagen, dass es Mythen in der Wissenschaft gibt, von denen manche die Forschung voranbringen und manche Sie behindern. Zum Beispiel?

Ein Mythos, der die Forschung überhaupt möglich gemacht hat, ist der Glaube an einen allmächtigen Gott. Nach dem Motto: Wenn ein Gott die Welt geschaffen hat, dann hat er sich bestimmt etwas dabei gedacht und sich auch an Regeln gehalten. Das Suchen nach diesen Regeln ist Wissenschaft.

Sie haben Mathematik und Physik studiert und für ein Wissenschaftsmagazin geschrieben, aber sie beschäftigen sich auch mit Astrologie und schreiben Bücher übers Kartenlegen. Passt das überhaupt zusammen?

Nur die Wissenschaftler denken so. Die finden das natürlich schrecklich. Die Esoteriker dagegen freuen sich, dass ich auch Physiker bin.

Woran liegt das?

Esoteriker sind sehr offen, zu offen eigentlich, und oft zu unkritisch. Das Positive an den Esoterikern ist wiederum: Wenn eine neue Idee da ist, dann greifen sie die gerne auf. Physiker dagegen, ich sage das, weil ich viele Physiker kenne, haben ziemliche geistige Schranken.

Und was für Menschen sind Mathematiker?

Sehr vorsichtige. Sie müssen sich immer absichern. Der Extremfall war Kurt Gödel, der beste Freund von Einstein. Er hatte panische Angst davor, vergiftet zu werden, war richtig paranoid. Vielleicht liegt das daran, dass ein Mathematiker immer wahnsinnig aufpassen muss, dass er nichts übersieht.

Also sind in Mathe wenig Freigeister unterwegs?

Nein, Mathematiker haben sich immer auch philosophische Gedanken gemacht. Die spielen nur einfach keine so große Rolle, weil man sie nicht formal nachweisen kann. Gödel hat sich zum Beispiel einen Gottesbeweis ausgedacht. Wenn man sich mit der Unendlichkeit befasst, dann tut man dass nicht so nebenbei.

INTERVIEW: LANA STILLE

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1 Kommentar

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  • A
    anke

    Das Wesentliche an der Mathematik ist das Schöpferische, behauptet Peter Ripota, und das klingt erst einmal ganz gut. Dann allerdings kommt es, wie es kommen muss: Es wird zwischen der eigenen Position und allen anderen unterschieden, aber weniger um der Konsequenzen willen, die es angeblich zu erforschen gilt, als vielmehr zur Mehrung des eigenen Ruhmes.

     

    Mathematik, wird zum Beispiel behauptet, sei keine Wissenschaft, weil das letzte Kriterium der Wissenschaft die Wirklichkeit sei, wohingegen die Mathematik keine Realität, sondern nur Selbstgeschaffenes besäße. Als wäre Selbstgeschaffenes nicht auch eine Realität – und oft sehr viel bindender, als jedes Naturgesetz!

     

    Mathematische Regeln mögen ja tatsächlich etwas Abstraktes und Willkürliches sein. Ich möchte aber den Mathematiker erleben, der nicht die Realitäten seines Faches ganz genau beobachtet mit dem Ziel festzustellen, ob etwas der Fall ist, oder nicht. Wer sich jenseits des Konsens bewegt, gelangt auch in der Mathematik rasch an die Grenzen des Machbaren. Wer beispielsweise die Existenz mathematischer Dreiecke bestreiten wollte, sollte sich bei Zeiten nach einer anderen Erwerbsquelle umsehen. Es sei denn, er ginge mal eben zurück in die Zeit vor Christi Geburt und widerlegte Euklid (oder aber Aristitheles) und außerdem alle, die unter dessen Füßen sowie auf dessen extrem breiten Schultern stehen. Man nennt das, glaube ich, die normative Kraft des Faktischen. Theoretische Möglichkeiten bezahlen einem auch in der Mathematik nicht einmal die tägliche Erbsensuppe.

     

    Das ungeschriebene Gesetz, demzufolge ein (Gedanken-)Gebäude nicht zusammenfallen darf, gilt zweifellos für alle Bereiche menschlichen Denkens. Ob ein Widerspruch ein Widerspruch ist, bestimmt allerdings nie derjenige, der die These aufstellt. Ob ein Widerspruch ein Widerspruch ist, beurteilen immer die Anderen. Mag sein, das ist der Grund für die extreme Vorsicht gerade der Mathematiker. Die Mathematik, schließlich, hat nicht nur jede Menge Heilige, sie hat sogar ihre eigenen Götter.