Kolumne Laufen: Der Kampf um die Windmühle

Vielen Menschen ist Hänigsen kein Begriff. Klimaforschern, FC-Bayern-Fans und Kriminologen aber schon.

Lieber Uli, seit unserer nächtlichen Begegnung vor einigen Jahren in Hänigsen, bin ich dir noch einen Freundschaftsdienst schuldig. Diesen löse ich nun ein: Ich rate dir, deinen "Ich bin jetzt mal weg"-Trip durch die USA abzubrechen und schleunigst nach Hänigsen zurückzukommen.

Zu Recht werden Sie sich fragen, wo denn dieses Hänigsen liegt. Das ist einfach. Hänigsen liegt zwischen im Dreieck von Otze, Uetze, und Krätze. Das wusste ich lange Zeit auch nicht. Freunde von mir wohnen nämlich in Hänigsen, aber um ehrlich zu sein, hatte ich keine Ahnung wie das Dorf hieß. Mein Freund holte mich in einer großen Stadt am Bahnhof ab und fuhr mich zu sich nach Hause. Wir unterhielten uns über Gott und die Welt, irgendwann passierten wir Otze, dann kam ein kleines Wäldchen, eine Windmühle und wir waren da. Nach vielen Besuchen mit der Bahn, fuhr ich irgendwann zum ersten Mal mit dem Auto dorthin, und schon irrte ich nächtens in der Gegend herum. Anstelle nach Otze zu fahren, steuerte ich Uetze an. Schließlich fand ich den Weg über Krätze doch noch nach Hänigsen. Dort suchte ich die Windmühle. Denn nur von dort, das stand für mich fest, fand ich den Weg zu meinem Freund.

Zunächst glaubte ich mich an jeder Ecke zu erinnern. Ach ja, da bin ich mit meinem Kumpel schon einmal vorbeigekommen. Doch jeder Weg, jede Straße, die ich nahm, führte in eine Sackgasse. Langsam begann ich zu verzweifeln. Ich musste die Windmühle finden. Kein Mensch war mehr unterwegs.

Vor Jahren gab es in Hänigsen einen Mordfall. Unter Kriminologen ist dieser Ort weltberühmt. Durch den ersten Massen-DNA-Test konnte der Täter damals überführt werden. Sogar einen zweiten Toten gab es. Auf einer Parkbank. Kein Fremdeinwirken heißt es da. Aber wer weiß das schon. Trotzdem blieb für mich als Trost, die Aufklärungsquote war immerhin 50:50. Sportfans ist Hänigsen aber auch ein Begriff. Schließlich gab es im DFB-Pokal ein legendäres Duell mit dem FC Bayern München. Im Jahr 1984, ja liebe Leser, auch schon wieder so lange her. Sehr unglücklich verloren die Mannen vom TSV Friesen Hänigsen mit 0:8. Verwunderlich war der Sieg des FC Bayern München schon, denn damals wurde noch ohne "positiven Energiefluss", ohne Wellnesszone und Buddhafiguren auf dem Kabinendach gearbeitet. Geht doch.

Dann kam der rettende Engel in einem Taxi. Uli. Das Taxi fuhr an mir vorbei, ich hinterher und in einer einsamen Wohnstraße blieb es stehen. Uli stieg aus, das Taxi fuhr davon. Er hatte offensichtlich lange im Büro gearbeitet (bis zwei Uhr früh) und war toller Stimmung. Ich fragte nach meinem Freund. Ohne zu zögern zog er sein Handy aus der Tasche und fing an zu telefonieren. Zuerst klingelte er seinen 90 Jahre alten Vater aus dem Bett. Aber von meinem Freund hatte sein Vater noch nie gehört. Dann weckte er seine Schwester. Das heißt, zuerst seinen Schwager, der wiederum weckte sein Frau. Damit war das halbe Dorf schon wach. Am Telefon stellte sich heraus, dass die Schwägerin von Ulis Schwester mit der Schwester meines Freundes zum Fitnesstraining des TSV Friedrich Hänigsen ging. Na also. Noch nie war ich so dankbar über die alles verbindende Fitnesswelle. Endlich fand ich den Weg. Mit diesen Zeilen lieber Uli, möchte ich dir den Freundschaftsdienst wieder zurückgeben.

Hänigsen, müssen Sie wissen, ist auch bei den Klimaforschern kein weißer Fleck auf der Landkarte mehr. Zuerst war es eine Windhose, die das Dorf verwüstete. Dann zwei in kurzen Abständen folgende Gewitterregen. Vor wenigen Tagen waren es in einer Stunde 90 Liter auf den Quadratmeter. Kein Keller, ich sage dir, lieber Uli, kein einziger Keller ist trocken geblieben. Letzte Woche war Ausnahmezustand in Hänigsen. Wenn du noch zwei Monate in den USA bleiben willst, beginnen in deinem Keller die Frösche zu quaken. Mach also lieber, dass du heimkommst. Die alles entscheidende Frage allerdings, die sich stellt, kann ich nicht beantworten. Kann man in Hänigsen laufen? Das habe ich nicht probiert - es war ja stockdunkle Nacht.

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