Warenkunde: Die doofe, dumme Werbung
Was bisher in Ware und Werbung aufgeteilt war, leistet heute das Produktdesign: und bringt uns damit um den Plot der Werbung.
H eute soll über die Werbung gelästert werden. Aber nein, sie soll nicht angeklagt werden, weil sie manipuliert oder verdummt oder aggressiv macht. Das sei anderen überlassen. Dafür sei hier davon die Rede, dass sie einfallslos und langweilig, geradezu bieder geworden ist. Nicht nur gab es in den letzten Jahren kaum Kampagnen, die Diskussionen, gar Skandale ausgelöst haben oder zumindest durch scharfen Witz oder Überraschung auffielen, sondern auch neue Ikonografien und Bildästhetiken sucht man vergebens. Die digitalen Möglichkeiten der Gestaltung wurden bereits vor zehn Jahren genutzt und sind seither kaum raffinierter geworden. Immer wieder stößt man also auf dieselben surreal anmutenden Effekte, aber besonders intelligent sind die Lichtblitze, metamorphotischen Formen, Hyper- und Unschärfen sowie Verfremdungen fast nie eingesetzt.
Dass mittlerweile so wenig Impulse von der Werbung ausgehen, mag angesichts der Dynamik der Konsumkultur verwundern, hat aber letztlich einen einfachen Grund. Schuld daran ist eine Entwicklung, die man früher als kopernikanische Wende bezeichnet hätte und die heute als turn zu beschreiben wäre (für den es nur noch einen passenden Namen braucht). So hat in vielen Branchen das Marketing die Federführung beim Produktdesign übernommen: Statt erst einzugreifen, wenn ein bereits entwickeltes Produkt vermarktet werden soll, geben Marketingmanager nun von vornherein vor, welches Image ein Produkt ausstrahlen, welche Werte es verkörpern und welche Emotionen es wecken soll. Der Schwerpunkt ihrer Arbeit hat sich von der Werbung in die Produktgestaltung und Warenästhetik verlagert. Je stärker aber die Produkte (und ihre Verpackungen) den Konsumreiz auslösen, desto eher lässt sich auch Werbung in Zeitschriften, im Kino oder auf Billboards vernachlässigen. Waren ehedem gerade einige der besten Kampagnen aus einer Not zur Kompensation geboren, ja mussten sie ein rückständiges, schwächelndes oder riskantes Produkt attraktiv erscheinen lassen, so entscheidet heute das Konsumgut selbst über seinen Markterfolg.
Es genügt also nicht mehr, eine Ware gut zu bewerben - und umgekehrt braucht es für ein überzeugend gestaltetes Produkt kaum noch zusätzliche Werbung. Was sonst ein Slogan, ein Plot oder ein aufreizendes Bild leisten, gelingt ihm vielmehr dank seiner Form oder Materialität, aufgrund einer multisensorischen Inszenierung oder infolge einer originellen Verpackung. In ihm ist also kompakt versammelt, was bisher auf Ware und Werbung aufgeteilt war. Erst recht nebensächlich ist der point of sale geworden. Schufen die Verkäufer zur Blütezeit der Warenhauskultur, am Anfang des 20. Jahrhunderts, noch mit museal-aufwändigen Kulissen Illusionen, die zum Kauf verlockten, so hat der heutige Kunde das gute Gefühl, alle Poetisierungen und Überhöhungen mit dem Produkt gleich miterwerben zu können. Statt nur als Reliquie einer Inszenierung zu erscheinen, bietet die Ware diese an sich selbst.
Damit stellt das Produktdesign eine erstaunliche Konzentrationsleistung dar. Diese ist umso bemerkenswerter, als in einem anderen Bereich im selben Zeitraum eine entgegengesetzte Entwicklung stattgefunden hat. So waren die meisten Kunstwerke im 19. Jahrhundert noch für sich alleine rezipierbar; man konnte sie unabhängig vom Umfeld in ihrer Bedeutung erschließen, ja sie waren selbst der Ort des Illusionären. In der Moderne jedoch erschließt sich der Sinn der Werke oft nicht mehr aus ihnen selbst; vielmehr bedarf es der Manifeste oder Katalogtexte, um das jeweils Besondere wahrzunehmen. Als Arnold Gehlen in den 1960er-Jahren die "Kommentarbedürftigkeit" der modernen Kunst konstatierte, bedauerte er zugleich, dass die Werke unvollständig geworden seien, ihre Bedeutung also nicht mehr anschaulich und unmittelbar erfahrbar, sondern gleichsam ausgelagert sei.
Vieles in der modernen Kunst verlangt aber nicht nur nach begleitender Prosa, einer Form von Werbetext, um interessant zu werden, sondern gewinnt auch erst durch den Ort der Ausstellung an Wert: Kein Readymade wäre ohne die Aura des musealen Raums als Kunst erkennbar. Für sich alleine ist es ein banaler Alltagsgegenstand.
Vor dem Hintergrund der gegenläufigen Entwicklung innerhalb der Konsumgüter erscheint die Dekonzentration der Kunst als Rückschritt, als Verlust an Professionalität. Dafür darf man umgekehrt die Hoffnung haben, dass Werbung für Waren künftig noch unwichtiger und daher auch seltener werden wird. Dass sie bereits jetzt oft einfallslos und langweilig ist, wäre dann also kein Grund zur Klage, sondern vielmehr Vorbote einer Zeit, in der die Produkte stark genug sind, um für sich selbst zu sprechen.
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