Web-TV-Serie "Preußisch Gangstar": HipHop und HartzIV
Realistischer ist als jedes Reality-TV: Der Kinofilm "Preußisch Gangstar" startet jetzt als Web-TV-Serie. In Drei-Minuten-Häppchen auf Myspace.
Drei Freunde in der Provinz. Die Lehrer nerven. Die Eltern auch. Der Chef sowieso. Die Kumpels stellen keine blöden Fragen. Die Partys sind das einzige, was noch Spaß macht. Drogen sind leicht zu haben, Gewalt Teil des Alltags und Kickboxen ein Hobby. Die kleinen Fluchten sind selten. Die Perspektiven sind mau.
"Preußisch Gangstar" war 2007 ein Kinofilm. Und ist jetzt eine Web-TV-Serie, deren neue Folgen ab heute jeweils dienstags und donnerstags auf MySpace zu sehen sein werden. In den jeweils um die drei Minuten langen Häppchen findet das lange Format eine neue, wahrscheinlich sogar geeignetere Gestalt, um die Zielgruppe zu erreichen.
Denn vor allem ähnlich perspektivlose Jugendliche, die seltener das Kino als das Internet besuchen, dürften sich wiederfinden in "Preußisch Gangstar", gerade weil die beiden FilmemacherInnen Irma-Kinga Stelmach und Bartosz Werner keinen Dokumentarfilm machen wollten über ihre im brandenburgischen Buckow lebenden Protagonisten. Stattdessen ist ihnen mit Hilfe ihrer Laiendarsteller ein beklemmend realitätsnaher Blick auf das Leben von Heranwachsenden zwischen Schule und Beruf, zwischen Hartz IV und Hoffnung gelungen: Tino bastelt am Hauptschulabschluss, Oli jobbt in der Dorfdisco, und Nico hofft auf eine Rapper-Karriere. Es ist sein HipHop-Pseudonym - Preußisch Gangstar -, das Film und Web-Serie den Namen gibt.
Die ersten neun Folgen, die im Netz zu sehen sein werden, sind um wenige Einstellungen erweitert, die für den Film keine Verwendung fanden, aber vor allem sind sie eine Verdichtung der Kinofassung, zugeschnitten auf die Geschichte von Rapper Nico, seine Probleme mit Arbeitsamt und Exfreundin, mit seinen unkontrollierbaren Gewaltausbrüchen.
Die grundsätzliche Qualität des mehrfach preisgekrönten Spielfilms, der realistischer ist als jedes Reality-TV, bleibt auch im Internet erhalten: "Preußisch Gangstar" ästhetisiert weder einen grauen Alltag noch erlaubt er dem Zuschauer, sonderliche Sympathie für seinen Protagonisten zu entwickeln. Trotzdem fasziniert der Film, weil man nicht nur weiß, sondern auch spürt, dass er wahrhaftiger ist als die meisten Dokumentationen; weil er konsequent auf eine oberflächliche filmische Zurschaustellung, auf eine dramatische Zuspitzung, auf einen wie auch immer gearteten Spannungsaufbau verzichtet. Gedreht wurde mit natürlicher Beleuchtung und an Originalschauplätzen. Es gibt keinen Soundtrack, nur Realton und die HipHop-Songs von Robert Ohde, der den Nico spielt und in seinen Raps das Lebensgefühl der drei in Worte fasst.
"Preußisch Gangstar" entstand quasi ohne Budget, aber mit viel Liebe zum Detail. Das Drehbuch wurde zusammen mit den Hauptdarstellern über Monate hinweg erarbeitet. Auch die visuelle Gestaltung und der dramatische Aufbau sind lange nicht so zufällig, wie sie bisweilen wirken: Die Kamera rückt ganz bewusst ab von den Figuren, versteckt sich immer wieder hinter Mauervorsprüngen und Ästen, blickt durch Fenster und Türrahmen aufs Geschehen, erschwert dem Zuschauer dadurch systematisch die Identifizierung und degradiert ihn zum Voyeur, um einen gefühligen Zugang zu erschweren. "Preußisch Gangstar" war und ist der Versuch, die Realität möglichst exakt auf die Leinwand zu bringen, gerade mit dem Wissen, dass der Dokumentarfilm Wirklichkeit verfälscht. Mittlerweile aber hat die Realität selbst dieses Projekt eingeholt: Robert Ohde sitzt seit April in Frankfurt (Oder) im Knast.
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