Wie Trickfilme in die Magersucht führen können: Wespentaillen im Kinder-TV
Immer mehr Trickfilmheldinnen sind extrem sexualisiert und haben längere Beine als Barbie, so eine Studie. Solche Körperideale können Magersucht auslösen.
"Kim Possible arbeitet wie eine Geheimagentin und besiegt immer wieder ihre Feinde", erzählt Melanie, 13, aus Thüringen, die sich eigentlich schon ein bisschen zu alt für Trickfilme fühlt. Dann beschreibt sie das Aussehen von Kim, die bei jungen Mädchen in Deutschland laut Umfragen die beliebteste Figur im Fernsehen ist: "Kim trägt ein schwarzes enges Top, hat lange rot-braune Haare, und ist superdünn - wie Barbie."
Damit reiht sich die Kinderserie "Kim Possible", zu sehen bei Super RTL, in jene Produktionen ein, die jungen Mädchen ein ungesundes Körperbild vermitteln. Eine weltweite Studie des Internationalen Zentralinstituts für das Jugend- und Bildungsfernsehen (IZI) zeigt: Zwei von drei weiblichen Figuren haben unnatürlich lange Beine und extrem dünne Taillen. "Kinderkörper sind das definitiv nicht mehr", sagt IZI-Leiterin Maya Götz.
Götz hat bei Figuren wie der rothaarigen Bloom in der Serie "Winx Club" oder den puppenhaften Mädchen von "Bratz" gemessen, dass teilweise nicht einmal ein Rückgrat in ihre Körper passen würde. Das Idealbild der Modewelt mit den Maßen "90-60-90" ist hier bis ins Groteske überzogen. Mit ihren Kurvenkörpern, gekleidet in Bikinis und bauchfreie Tops, spazieren sie in High Heels über den Bildschirm und erleben die Abenteuer, von denen junge Mädchen träumen.
Eigentlich werde aber der Traum von männlichen Zeichnern und Entwicklern der Figuren erfüllt, sagt Götz. Den Ursprung der Sexualisierung von Kinderserien sieht die IZI-Leiterin in der japanischen Manga- und Animekultur, wo gesellschaftlich verpönte Sexualisierung auf den Comicbereich ausgewichen ist. "Das sind Fantasien von Erwachsenen", so Götz. Seit rund zehn Jahren schwappen sie auf den weltweiten Markt für Kinderserien über.
Die Medienwirkungsforschung ist zwar immer noch darüber uneins, inwiefern sich Gewalt oder Sex auf Rezipienten auswirken. Studien zeigen jedoch: Schon 6- bis 9-Jährige sehen im Schnitt knapp eineinhalb Stunden pro Tag fern. Wie die Trickfilmheldinnen aussehen, bleibe meist lange im Gedächtnis haften, so Götz. "Der eigene Körper muss dann defizitär erscheinen."
Laut einer Studie des Deutschen Instituts für Ernährungsmedizin und Diätetik in Aachen zeigt mehr als jedes fünfte Kind - Jungen und Mädchen - in Deutschland im Alter zwischen 11 und 17 Jahren Symptome einer Essstörung. Auch Anna-Katharina Wietasch, leitende klinische Psychologin der Psychiatrischen Uniklinik Ulm warnt deswegen vor den unnatürlichen Körperbildern in Trickfilmen. "Wenn ich so erfolgreich wie mein Vorbild im Fernsehen sein möchte, muss ich auch schlank sein" - dies sei eine Botschaft der Serien. Nicht jedes Mädchen werde dadurch zwangsläufig magersüchtig. Andere Faktoren wie genetische Dispositionen, die Sozialisierung der Kinder und die Lernprozesse seien wichtig. Aber wenn Kinder in der Familie nicht gelernt hätten, dass man auch durch Freundschaften oder gute Noten "attraktiv" sein kann, können die schlanken Vorbilder gefährlich werden. "Wenn das Selbstwertgefühl sinkt - wie oft bei Pubertierenden - können Essstörungen entstehen", warnt die Psychologin.
Deswegen fordert Maya Götz vom IZI die Programmdirektoren auf, Trickfilmserien mit übermäßig sexualisierten Figuren abzulehnen. "Der Trend zu diesen Serien ist problematisch, aber es fehlt an Sensibilisierung", so Götz.
Mädchen, so eine Umfrage des IZI unter 6- bis 12-Jährigen, würden ohnehin "normale" Körper bevorzugen. Auch Melanie aus Thüringen findet die Figuren der Serie "Bratz" unsympathisch. "Das sind doch nur so Barbiepuppen mit dick geschminkten Lippen", sagt die 13-Jährige. Viel lustiger sei Sponge Bob - ein viereckiger, gelber Schwammjunge, der überhaupt keine Taille hat.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen