SPD schließt Wolfgang Clement aus: Der Genosse der Bosse soll weg
Die Schiedskommission der NRW-SPD hat beschlossen, dass Ex-Superminister Wolfgang Clement sein Parteibuch zurückgeben muss. Der kündigt Berufung an.
39 Jahre war er SPD-Mitglied. Dann wurde er, wegen parteischädigenden Verhaltens, ausgeschlossen, weil er der SPD in dem harten Wahlkampf in Hessen in den Rücken gefallen sei. "Ich war 39 Jahre lang einer der aktivsten Mitglieder der SPD", kommentierte er bitter. Und: "Ich werde diesen Rausschmiss nicht widerstandslos hinnehmen."
Dies schrieb nicht der Agenda-2010-Vertreter Wolfgang Clement, dessen Parteiausschluss die Landesschiedskommission in NRW gestern beschloss. Diese Zeilen schrieb der SPD-Linke Detlev von Larcher, den die SPD vor drei Monaten vor die Tür setzte. Kann man diese beiden Fälle vergleichen? Sachlich gesehen auf jeden Fall. Clement hatte eine Woche vor der Wahl in Hessen in der Welt am Sonntag geraten, Andrea Ypsilanti wegen ihrer Energiepolitik nicht zu wählen. Von Larcher hatte in einem Leserbrief an die FAZ dazu ausgerufen, in Hessen für die Linkspartei zu votieren, um so Druck auf die SPD zu machen, endlich die Agenda-Politik zu beenden. Beides sind eindeutige Verstöße gegen die Parteisolidarität.
Nun ist der Fall Clement einzigartig. Noch nie in ihrer fast 150-jährigen Geschichte hat die SPD einen prominenten Ex-Minister ausgeschlossen. Doch um die zentrifugalen Kräfte zu verstehen, die in der SPD wirken, lohnt es, Clement und von Larcher zu vergleichen. Viele linke Ex-Sozialdemokraten bilden inzwischen die Parteielite der Linkspartei im Westen. Und die FDP hat Clement, den viele in der SPD für einen Lobbyisten der Atomindustrie halten, gestern ihre Parteimitgliedschaft angetragen. Die SPD ist zwischen Neoliberalen und Traditionsetatisten eingeklemmt. Hält sie diesen Spagat aus? Wo ist die Überdehnung erreicht? Das ist die politische Kernfrage im Fall Clement.
Allerdings ist Wolfgang Clement auch ein spezieller Fall. Sein Verhältnis zur Partei war schon lange vor dem Welt-Artikel spannungsgeladen. Seine Parteikarriere begann in den 80er-Jahren, damals als loyaler Vertrauter von Johannes Rau. In den 90ern wurde er erst Superminister in NRW, später Raus Nachfolger als Regierungschef. Damals schälte sich sein Profil heraus. Er galt als ungeduldig, hochfahrend, schnell entnervt, wo es um die SPD ging, dafür hatte er stets offene Ohren, wenn es galt, Belange der Industrie zu unterstützen. Er sperrte sich gegen die Ökosteuer, seine Wirtschaftspolitik in NRW ähnelt jener der CDU. Mit dem grünen Koalitionspartner verband ihn eine innige Abneigung.
Genau die gleiche Rolle spielte Clement 2002 als Arbeits- und Wirtschaftsminister in der Schröder-Regierung. Dort forcierte er - zum Entsetzen der SPD-Linken - den Ausbau der Zeitarbeit und die Einführung von Hartz IV. Er verschärfte die Zumutbarkeitsregeln für Arbeitslose, ermöglichte mehr Minijobs und unterstützte Privatisierungen. Schon 1998 hatte Arbeitgeberchef Hundt verlauten lassen: "Wir setzen auf ihn." Clement war der Genosse der Bosse. Und ein Sozialdemokrat, bei dem das Ich sehr groß und das Partei-Wir klein geschrieben wurde. So klein, dass er am 20. Januar 2008 in der WamS vor Ypsilanti warnte. Damit hatte er, das Aufsichtsratmitglied beim (Atom-)Energiekonzern RWE Power, den Bogen überspannt.
"Ich glaube nicht, dass mein Auschluss der SPD guttut." Das hat Detlev von Larcher gesagt. Clement sieht es ähnlich. Sein Ausschluss ist aber noch nicht rechtsgültig. So wird er, mit seinem Anwalt Otto Schily, vor die Bundesschiedskommission ziehen, um ein milderes Urteil zu erwirken. Denn Clement hat stets beteuert, mit "Leib und Seele Sozialdemokrat zu sein".
Ob der ewig Unduldsame dies weiterhin sein darf, darüber ist die SPD geteilter Meinung. Die Fronten verlaufen dabei keineswegs nur entlang der Links-rechts-Lagerlinien. So votieren Unterstützer der Agenda-Politik wie Erhard Eppler für Clements Ausschluss, während SPD-Linke wie der Umweltstaatssekretär Michael Müller wollen, dass er bleibt. Auffällig ist, dass Landespolitiker wie Ralf Stegner aus Kiel und der Stuttgarter SPD-Fraktionschef Claus Schmiedel für einen Auschluss von Clement sind - offenbar um allen Illoyalitäten im Wahlkampf vorzubeugen (siehe Kasten). SPD-Generalsekretär Hubertus Heil ließ gestern hingegen durchblicken, dass die Parteispitze es gerne sähe, wenn die Bundesschiedskommission für Clement entscheidet.
Das kunterbunte Meinungsbild in der SPD erklärt sich, weil es beim Fall Clement nicht nur um das endlose Pro und Contra zur Agenda 2010 geht. Ebenso wichtig ist die Frage, ob Parteisolidarität ein unverrückbarer oder doch ein dehnbarer Wert ist.
Der SPD-Linke Hermann Scheer, sonst durchaus meinungsfreudig, ist im Fall Clement recht zurückhaltend. "Ich bin ja selbst indirekt in das Verfahren involviert", so Scheer zur taz. In der Tat zielte Clements Warnung vor Ypsilanti auf ihn - auf Scheers ambitionierten Versuch, Hessen als Umweltminister zum Vorzeigeland alternativer dezentraler Energien zu machen, das ohne Kohle und Atom auskommt. Dies zeigt einen weiteren Aspekt des Falls Clement, der ein spätes Echo der Spaltung der SPD in den 80er-Jahren ist. Damals entdeckten die Scheers die Ökologie für die SPD, während die Clements Fürsprecher von Kohle, Atom und traditioneller Industriepolitik blieben.
Aber ist die SPD ohne Clement vorstellbar? Durchaus. Es gibt ja Peer Steinbrück, der dessen Rolle - barsch gegenüber der Partei, nahe bei den Unternehmern - passgenau übernommen hat.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen