piwik no script img

EuGH schleift GewerkschaftsrechteSogar das Streikrecht in Gefahr

Europas Gerichtshof verschiebt die Balance zwischen Binnenmarkt und nationalem Recht mehr und mehr zugunsten der EU-Regeln. Selbst das Streikrecht ist gefährdet.

Sie haben kaum Mittel gegen Lohndumping. Bild: ap

Unternehmen, die einen Kindergarten oder eine Straße bauen, müssen auch in Zukunft keine anständigen Löhne zahlen. Zugleich dürfen bundesdeutsche Gewerkschaften nicht mehr einfach streiken. In beiden Fällen kommt das Stoppsignal aus Luxemburg. Ausgesendet haben es die 27 Richter des Europäischen Gerichtshofes (EuGH). Sie stoppen jede sozialpolitische Initiative, mit der die Freiheit von Kapital und Warenverkehr eingegrenzt würde. Gewerkschaften und Arbeitsrechtler sind aufgeschreckt, haben aber keine Lösung: "Die Sache wird allmählich gefährlich", sagt Martin Höpner vom Kölner Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung.

Wie das konkret aussieht, konnte man im Frühsommer erleben. Da entschied der Bundesrat gegen die Länder Berlin, Rheinland-Pfalz und Bremen. Diese wollten die Tariftreue privater Firmen zur Voraussetzung für die Vergabe öffentlicher Aufträge machen, um einen Mindestlohn zu garantieren. CDU und FDP lehnten ab und verwiesen auf den EuGH.

Dieser hatte mit dem so genannten Rüffert-Urteil Tariftreue und Mindestlöhne in die Schranken verwiesen - im Namen von Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit. In ihrem Urteil untersagten die fünf Richter der Zweiten Kammer, staatliche Aufträge ausschließlich an Unternehmen zu vergeben, die korrekte Tariflöhne zahlen.

"Rüffert" ist kein Ausrutscher. Seit längeren verschieben EuGH und EU-Kommission die Grenzen zwischen europäischem Binnenmarkt und nationalem Recht nach und nach in Richtung der EU-Regeln. Höppner findet "den Wandel zugunsten der vier Grundfreiheiten des Binnenmarktes atemberaubend". Gemeint sind freier Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital. Höppner: "Es kann nicht sein, dass die europäischen Grundfreiheiten über dem Recht deutscher Gebietskörperschaften stehen, öffentliche Ausschreibungen an Mindeststandards zu koppeln."

Auch die gewerkschaftsnahe Zeitschrift Mitbestimmung macht diese schleichende Liberalisierungspolitik per Gerichtsbeschluss zum Thema, und die Vertreter des Europäischen Gewerkschaftsbundes wirken alarmiert: "besorgniserregend", "ziemlich beunruhigend", "können wir nicht wichtig genug nehmen".

Neben dem Rüffert-Urteil (C-346/06) liegen Gewerkschaftern zwei weitere EuGH-Entscheidungen schwer im Magen: Die lettische Baufirma Laval un Partneri hatte von der schwedischen Gemeinde Vaxholm den Auftrag erhalten, das Schulgebäude zu renovieren. Gewerkschafter blockierten die Baustelle und wollten die lettische Firma zwingen, den von den Tarifparteien festgelegten Mindestlohn zu zahlen. Die lettische Regierung sah in den Protesten einen Verstoß gegen die Freiheit der Dienstleistungen und bekam vom EuGH Recht (C-341/05).

Nicht anders im Fall Viking Line (C-438/05). Die finnische Reederei wollte ihre einheimische Besatzung durch Esten ersetzen und die Löhne senken. Dies hätten Seeleutegewerkschaft und Internationale Transportarbeiter-Föderation kampflos hinnehmen müssen, so die Luxemburger Richter. Kollektive Aktionen würden durch die EU-Grundsätze der wirtschaftlichen Freizügigkeit begrenzt.

In den Entscheidungen sehen Kritiker einen "Dammbruch". In der Bundesrepublik hat das Streikrecht sogar Verfassungsrang. Das Grundgesetz kollidiert also mit den in den europäischen Verträgen vereinbarten unternehmerischen Grundfreiheiten - und dabei ist nicht allein das Streikrecht in Gefahr. Höppner: "Letztlich schränken alle sozialen Rechte die Freiheit des Kapitalismus ein." Aber dazu seien sie schließlich da.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

3 Kommentare

 / 
  • WH
    Wolfgang Höfft

    In dem Beitrag wird von einem "Streikrecht" gesprochen und sogar behauptet, dies sei "verfassungsrechtlich geschützt". Zu Unrecht.

     

    In Deutschland gilt kein Streikrecht sondern ein gesetzliches Streikverbot.

     

    Die Rechtsgüter, die seit 1870 durch § 253 StGB geschützt werden, genießen seit 1949 daneben die verstärkende Rückendeckung der Verfassung in Gestalt von Grundrechten  nämlich des Art. 14 GG (Vermögen) und des Art. 2 Abs. 1 GG (Vertragsfreiheit).

     

    Art. 9 GG, in den manche ein Streikgrundrecht hineinprojizieren, komplettiert dies System des Rechtsschutzes gegen Streiks, indem er in seinem Absatz 2 das Verbot seiner Veranstalter ausspricht:

     

    Vereinigungen, deren Zwecke oder deren Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten, sind verboten.

     

    Hermann von Mangoldt (1895 - 1953) stellt zu Art. 9 Abs. 3 GG im Hinblick auf Art. 9 Abs. 2 GG und ein etwaiges Streikrecht in Das Bonner Grundgesetz, 1953, Anm. 4 zu Art. 9, dem damals führenden GG-Kommentar, fest:

     

    "Daß der Verfassunggeber auch Vereinigungen, deren Zwecke oder deren Tätigkeit gegen die Strafgesetze verstoßen, durch die Bestimmung [gemeint ist Art. 9 GG] schützen wollte, kann nicht angenommen werden. Wie schon oben in Anm. 2 vermerkt, wird daher davon auszugehen sein, daß die Schranken des Abs. 2 auch für Abs. 3 gelten."

     

    Prof. von Mangoldt war Mitglied des Parlamentarischen Rates gewesen, er war Direktor des Instituts für internationales Recht an der Universität Kiel. Und speziell zu einem etwaigen Streikrecht führt er a.a.O. aus:

     

    "Insbesondere steht kein Satz des Grundgesetzes Gesetzen entgegen, die Streiks untersagen oder ihre Veranstaltung einschränken."

     

    Und seit 1994 wird kollektive Erpressung mit erhöhter Strafe gem. § 253 Abs. 4 StGB belegt: 1 - 15 Jahre Freiheitsentzug. Jeder, der dem Streikaufruf einer Gewerkschaft folgt, erfüllt die Voraussetzungen dieses Absatzes 4.

    Die wegen kollektiver Erpressung durch Streikteilnahme Strafbaren sind stets zugleich auch wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung (§ 129 StGB) strafbar.

     

    Das Recht, durch Gesetz begründetes Recht zu brechen, ist kein möglicher Inhalt eines Rechts. Solange ein vom Gesetzgeber wirksam erlassenes Gesetz nicht aufgehoben ist sondern gilt, vermag kein dem Gesetz verpflichtetes Rechtspflegeorgan ein Recht zu begründen, dies Gesetz zu brechen. Für den rechtswidrigen Richterspruch Gesetzesgeltung zu beanspruchen, wäre verfassungswidrige, nach § 339 StGB strafbare richterliche Anmaßung, die keine Rechtsquelle darstellt und im Rahmen der Rechtsanwendung von keinem Rechtsanwender als Rechtsquelle behandelt werden darf! Kriminelles Unrecht wird nicht dadurch zu Recht,  daß ihm ein Richter ein Rechtmäßigkeitsattribut wie "rechtmäßig" oder "legitim" beifügt.

     

    Ein Streikrecht gibt es definitiv nicht.

  • M
    Mediascanner

    Es wird also ein Recht geschrieben und eine Rechtfertigung geschaffen, um mit "rechtsstaatlichen Mitteln", also Polizeikräften, gegen zukünftige Streikende vorzugehen zu können, um Gewerkschaften auf Schadensersatz zu verklagen? Streikende machen sich strafbar, weil das deutsche Streik-/Tarifrecht unter dem EuGH-Urteil/-Recht steht? Liberalisierung vor Menschenrechten, die in Verfassungen der Staaten geschrieben stehen. Was passiert dort in Brüssel und in Strassbourg? Wir bekommen viel zu wenig über die Medien mit. Null Transparenz - es wird immer gefährlicher für die Demokratie, kein Dialog mehr. Tatsachen werden hinter verschlossenen Türen geschaffen.

  • A
    askmewhy

    Es bleibt zu hoffen das das Schlimmste nicht eintritt, nämlich das sich alle Grundrechte den vier Säulen des Binnenmarktes unterordnen müssen.

     

    Freien Transfer von Kapital, Waren und Personaldienstleitungen ohne Rücksicht auf Persönlichkeitsrechte hat in Europa eine lange Tradition wie z.B.: im Römischen Reich, und da nannte man das ganze Sklavenwirtschaft.