Erschossen, gesteinigt, lebend begraben

Zum Schutz der „Familienehre“ werden nach UN-Angaben weltweit jährlich Tausende Frauen getötet

BERLIN taz | Genaue Zahlen gibt es nicht. Viele Taten werden als Unfall getarnt, Mädchen oder Frauen werden in den Selbstmord getrieben, und manchmal werden die Opfer ins Ausland gebracht, um die Tat zu vertuschen.

In einer 2011 von Terre des Femmes mitherausgegebenen Studie zum Thema „Ehrenmorde in Deutschland 1996–2005“ wurden 78 Fälle untersucht. Auffallend ist, dass die Zahl der entsprechenden Prozesse steigt. Als ein Grund gilt die öffentliche Sensibilisierung gegenüber dem Thema.

Unter den 20 Morden und 10 Mordversuchen in Deutschland 2011 sind 4 männliche Opfer. 16 Täter kommen aus der Türkei, aus dem Libanon 3, aus dem Kosovo 2. Aus folgenden Ländern kommt jeweils ein Täter: Marokko, Liberia, Mali, Serbien, Mazedonien, Irak, Syrien. In einem Fall wird die Herkunft mit „arabischer Raum“ angegeben.

Nach Angaben der UNO werden jedes Jahr 5.000 sogenannte Ehrenmorde weltweit verzeichnet. Die Dunkelziffer liegt deutlich höher. Schätzungen gehen von bis zu 100.000 Morden pro Jahr aus. „Im Namen des Schutzes der ‚Familienehre‘ werden Frauen und Mädchen erschossen, gesteinigt, verbrannt, lebend begraben, erwürgt, erstickt und erstochen“, erklärte UN-Menschenrechtskommissarin Navi Pillay. Pakistan ist das Land mit den meisten „Ehrenmorden“. Einem Bericht der pakistanischen Menschenrechtskommission zufolge waren 28 von 36 in einem Monat registrierten Mordopfern weiblich.

Diese Morde sind im Wesentlichen ein Phänomen der Gesellschaften Nordafrikas, des Nahen und Mittleren Ostens und Zentralasiens. In vielen dieser Regionen lebt eine islamische Bevölkerungsmehrheit. Allerdings verfügt der „Ehrenmord“ in der islamischen Gesetzgebung, der Scharia, über keinerlei Basis. Er fällt somit in die Kategorie des Mordes, welcher laut Scharia die Todesstrafe zur Folge hat.

In vielen Fällen wird der Mord an einer Frau, die von einem männlichen Verwandten wegen Verletzung der Familienehre getötet wurde, geringer bestraft als andere Morde. In einigen Ländern, wie Syrien und Pakistan, existieren Gesetze, nach denen die Täter im Namen der Ehre kaum oder gar nicht bestraft werden, wenn sie glaubhaft machen können, dass das Verbrechen der Wiederherstellung der Familienehre diente.

Auch in Brasilien können Männer, die ihre Frauen aus Untreue ermorden, immer noch freigesprochen werden, auch wenn nach starkem Druck durch Frauenorganisationen dieser Teil aus dem Strafgesetz gestrichen wurde. Klauseln zur Verteidigung der Ehre finden sich auch in den Strafgesetzbüchern von Peru, Bangladesch, Argentinien, Ecuador, Ägypten, Guatemala, Iran, Israel, Jordanien, Syrien, Libanon, der Türkei, dem Westjordanland, Venezuela, dem Irak, Tunesien, Libyen, Algerien und Kuwait. EDITH KRESTA