"Sportschau" als Gewohnheitsrecht: Der Brauch der Woche

Die "Sportschau" ist ein über Jahrzehnte verankertes Fernsehereignis. Doch gibt es deshalb ein Recht auf Fußballzusammenfassungen am frühen Samstagabend?

Wieviel Bein darf sein? Auch diese Frage wurde über die Sportschau schon gestellt - allerdings eher in Bezug auf Moderatorinnen. Bild: ap

Am 4. Juni 1961, einem Sonntag, wurde im ersten Programm der ARD erstmals eine Sendung namens "Sportschau" ausgestrahlt. Es war in einer Welt, die so gut wie keine anderen Fernsehsender kannte, kein Pay-TV, keine Trikotwerbung, es gab noch nicht einmal die Bundesliga. Die startete erst zwei Jahre später.

In den folgenden 25 Jahren wurden die Liga und ihre Sendung ein Paar, der eine kaum mehr ohne den anderen zu denken. Es war eine Welt, in der es Ernst Huberty mit seiner sonoren Freundlichkeit gab, in der 1971 die Erfindung des "Tors des Monats" ein Ereignis war. Was es nicht gab, waren Gewinnspiele und Datenbanken und Werbepausen. Fernsehtaugliche Reklame durch Trikotwerbung führte 1973 Eintracht Braunschweig ein.

In einem Vierteljahrhundert, bis kurz vor dem Ende der alten Bundesrepublik, wurde die "Sportschau" als Monolith zum Ritual. Am sechsten Tag der Woche mussten Großeinkauf und Autowäsche und Rasenmähen erledigt sein, bevor am frühen Abend die "Sportschau" begann. Woche für Woche mit ausgewählten Spielberichten, zuverlässig und nüchtern präsentiert, von "Alle Spiele - alle Tore" war nicht die Rede. Und natürlich gab es keine Frauen, die moderierten.

1988 brach das Privatfernsehen in diese Welt ein. RTL startete "Anpfiff" mit dem großbebrillten Moderator Uli Potofski. Die Sendung war endlos lang, es gab Studiopublikum und Liveschaltungen. Wem das zu viel war, der blieb bei der "Sportschau", denn da RTL nicht flächendeckend zu empfangen war, durfte die weiter Bundesligafußball zeigen. Sie tat es wie gehabt gediegen, die Kommentatoren überließen es den Spielen, beim Publikum für Begeisterung oder Enttäuschung zu sorgen.

1992 übernahm Sat.1 mit "ran" den Fußball exklusiv. Es beckmannte und kernerte fortan kräftig, viel Werbung umkringelte die Berichte notorisch emotionsgeladener Kommentatoren. "ran" erreichte quantitativ nicht den Publikumserfolg der "Sportschau", aber die Sendung wurde akzeptiert. Bis 2001. Da unternahm der Rechtemakler Leo Kirch - wie nun wieder – den Versuch, das seit 1991 existierende, aber zu wenig abonnierte Bezahlfernsehen Premiere zu pushen, indem der frei zugänglicher Fußball in den Abend verschoben wurde. "ran" begann nicht mehr um 18.30 Uhr, sondern um 20.15 Uhr. Die Fanwelt bebte. Es war, als gäbe es ein Gewohnheitsrecht auf Fußball vor acht Uhr abends, vor der "Tagesschau", vor dem Abendessen, vor dem Ausgehen. "ran" nach acht wurde nicht geguckt. Punkt. Als die Quoten fast auf sieben Prozent sackten, gab Sat.1 das Experiment auf.

Zwei Jahre später kehrte die Bundesliga zur ARD zurück. Die passte ihre schöne olle Sendung den neuen Zeiten an. Seit 2003 gibt es auch in der "Sportschau" sehr viel Werbung und Gewinnspiele und Geplapper, immerhin auch alle Spiele, wie die private Konkurrenz es etabliert hatte. Moderiert wird von denen, die schon "ran" moderierten. Es beckmannt wieder, seit 2004 erweitert Monica Lierhaus die Diskussionen über Moderatorenqualitäten um die Frage nach Rocksaum und Beinfreiheit.

Diese Zeiten könnten ab der Saison 2009/10 vorbei sein. Zwar hat das Kartellamt unlängst den Deal zwischen Kirch und der DFL abgelehnt, der zeitnahen und frei zugänglichen Spielausschnitten im Fernsehen jenseits des Pay-TV ein Ende machen sollte. Aber das letzte Wort ist nicht gesprochen. Durch die Diskussion um Bestandsschutz für die "Sportschau" geistert die Idee einer "Mini-Sportschau", die komprimiert Spielausschnitte präsentieren könnte, ein wenig so wie früher also. Die ARD selbst beteiligt sich nach eigener Auskunft nicht an solchen Überlegungen. So oder so wird der Kernspieltag Samstag auf fünf Spiele schrumpfen, dafür der Sonntag auf drei Spiele anwachsen.

Womit die Frage bleibt, wie viel Recht auf Gewohnheit der Fußballfan hat. Die "Sportschau" ist eines der wenigen über Jahrzehnte verankerten und dadurch ritualisierten Fernsehereignisse. Aber selbst wenn es Bundesliga am Samstag wieder bei RTL, Sat.1 oder dem DSF gäbe, dessen Domäne seit 2003 die Zusammenfassung der Sonntagsspiele ist, hielte sich die Empörung womöglich in Grenzen. Die Zeiten, in denen die "Sportschau" sechseinhalb Millionen Zuschauer und 50 Prozent Marktanteil hatte, sind lange vorbei. In der Vorsaison lag der Schnitt bei 5,49 Millionen und 26,2 Prozent, Tendenz leicht sinkend. Die Puristen unter den Fans sind durch die Eventisierung des Fußballs auch im Öffentlich-Rechtlichen ohnehin längst geschlagen. Das einzige, an dem sie gerade festzuhalten suchen: Die Sendung muss vor acht Uhr laufen. Das war immer so, deshalb soll es so bleiben.

Es ist wie die verklärte Sehnsucht nach der D-Mark. Und mag mit einer diffusen Hoffnung zu tun haben, dass man, solange es die gute alte "Sportschau" aus der guten alten Zeit zur gewohnten Zeit gibt, noch nicht rettungslos im Chaos dieser Welt verloren ist. Diese nostalgische Illusion ist sogar bis ins Kartellamt gesickert. Anders lässt sich kaum erklären, dass man dort die Versorgung mit Fußballbildern zu einer bestimmten Uhrzeit für eine Art Grundrecht hält.

Am Anfang konnte davon nicht die Rede sein: Zusammenfassungen in der ARD gab es zunächst am Samstag um 22 Uhr, dann ab Ende Oktober 1963 um 17.45 Uhr. Der Sendungstitel "Sportschau" für die Samstagssendung kam eineinhalb Jahre später hinzu. Er war ursprünglich für die Sonntagssendung reserviert - und die zeigte Ringen und Turnen und Pferdesport. So war das, bis die "Sportschau" am Sonntag, den 24. November 1963, begann, überhaupt Ausschnitte von Bundesligaspielen des Vortags ins Programm zu nehmen. Zeitnah war das nicht, aber der Beginn einer langen Beziehung. Und wie auch immer es im Sommer 2009 weitergeht, an diesem Samstag eröffnet das Brauchtum noch einmal eine neue Saison.

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