Debatte Georgien, die Nato und Russland: Freunde der Nato, mäßigt euch!
Das westliche Verteidigungsbündnis wird derzeit vielfach und zu Unrecht als Retter angerufen. Ebenso gerne wird vergessen, dass Georgien der erste Aggressor war.
Georgien muss in die Nato!" Auch diese Zeitung war wiederholt in den letzten Tagen von solchen Schlagzeilen bestimmt. Doch sind sie klug?
Welche militärischen und ökonomischen Hoffnungen verbinden sich mit solchen Losungen? Gelten sie grundsätzlich einer menschenrechtlich und demokratisch orientierten Außenpolitik, oder zielen sie nicht vor allem auf eine frei interpretierbare imperiale Aufteilung/Neujustierung der Welt nach dem Zusammenbruch des Sowjetsystems? Sollen sich die westlichen Demokratien von desperaten nationalistischen Regimen - wie dem eines Michail Saakaschwili in Georgien - qua Bündnispflicht in Kriege hineinziehen lassen? Oder glaubt man vielleicht, die "jungen Demokratien" qua Einbindung ins Bündnis besser kontrollieren zu können und sich darüber ganz ungeniert geostrategisch näher an die Ressourcen des imperialen Konkurrenten Russland heranschieben zu können?
Andreas Fanizadeh, geb. 1963, lebt in Berlin und leitet seit Oktober das Kulturressort in der taz. Zuvor war er Redakteur im Auslandsressort der "Wochenzeitung" in der Schweiz. Er ist Mitbegründer des Id-Verlages.
Ginge es in der jetzigen Kaukasuskrise in erster Linie um Demokratie, Menschen- oder Völkerrecht, so müsste zu allererst die georgische Seite akzeptieren, dass Osseten oder Abchasien nicht zu ihr gehören wollen und Krieg kein Mittel ist, solche Konflikte zu lösen. Dass Saakaschwili und die Nato so tun, als hätte jetzt die russische Schutzmacht den 1992 ausgehandelten Waffenstillstand gebrochen, mögen viele westliche Medien fleißig nachbeten. Aber eine Lüge wird nicht dadurch wahrer, dass man sie immer wieder wiederholt.
Der von US-amerikanischen Beratern umgebene Saakaschwili hat den militärischen Angriff gegen eine abtrünnige Zwergprovinz führen lassen. Man kann über Sinn und Verstand dieser Kriegshandlung debattieren, nicht aber darüber, wer hier der Aggressor war. Das war eindeutig Georgien.
Dies richtigzustellen, hat nichts mit Sympathie für ossetische Mini- oder russische Großimperien, eher mit ein klein wenig Wahrheitsliebe zu tun. Und: Im Verhältnis zu Georgien sind auch die Osseten nur Zwerge. Wer also im Falle Georgiens jetzt nach der Nato schreit, handelt nach der gleichen Logik wie Osseten und Russen.
Osseten und Abchasen allein als fünfte Kolonne Moskaus zu begreifen, ist ebenso falsch wie die Annahme, Saakaschwili sei ausschließlich eine Marionette Washingtons. Wer die außenpolitische Konfrontationslogik überwinden wollte, muss sich den innenpolitischen Realitäten der Kontrahenten zuwenden. Das Problem nennt sich Nationalismus, religiöser und rassistischer Überlegenheitswahn sowie übersteigertes Konkurrenzdenken. Überall auf der Welt sprechen die ökonomisch-territorialen Konflikte davon, und gegen dieses Gift ist auch der Westen bekanntlich keineswegs gefeit. Wer nun Georgien allein zum russischen Opfer stilisiert, will, dass die Lage weiter eskaliert, und verspricht sich offensichtlich Gewinn davon.
Wenn man die US-amerikanische Regierung und die westlichen Militärs sprechen hört, könnte man meinen, dass es genau darum gehe. Über Georgien provoziert die Nato einen neuen Kalten Krieg mit Russland. Offenbar herrscht der Glauben vor, Russland sei ökonomisch und militärisch zu schwach, um ernstlich in einen solchen eintreten zu können. Ein riskantes Spiel mit ungewissem Ausgang auf zentraleuropäischem Boden.
Russlands Führung klingt jedenfalls, als sei sie für ein neues Wettrüsten bereit, auch um den Preis, dass dadurch die Mittel für eine wohlfahrtsstaatlichere Entwicklung im Innern abgezogen werden und die weitere Demokratisierung blockiert würde.
Allen voran die antirussischen Führer der neuen Nato-Ostblockstaaten erweisen sich dabei als Gefangene des alten autoritären Denkens. Groß geworden im Warschauer Pakt und mit der Ideologie der Blockkonfrontation betreiben sie oftmals weiterhin eine Politik autoritär-nationalistischer Zuspitzung. Russland wurde als omnipotentes Übel gegen den Westen eingetauscht.
Für neue Kalte Krieger wie etwa Polens Präsidenten gibt es unterhalb der Rettung des Vaterlands keine Politik. Schwankend zwischen Minderwertigkeitskomplexen und Testosteron-Attacken, bieten Führungen wie die polnische eine ideale Umgebung für die US-amerikanischen Raketenabwehrsysteme gegen Russland. Nach dem Mauerfall hat sich die symbolische Frontlinie des Kalten Kriegs also gerade mal um ein Land nach Osten verschoben.
Es fehlt im westlichen Bündnis zurzeit eine klare Stimme gegen die militärisch betriebene Hegemonialpolitik des angloamerikanischen Blocks. Der viel gescholtene Gerhard Schröder und seine rot-grüne Bundesregierung setzten im Verhältnis zu Russland noch ausdrücklich auf einen Wandel durch Handel. "Einbindung und Integration" hieß die Strategie gegenüber dem großen Land im Osten. Unter Kanzlerin Merkel ist davon immer weniger zu spüren. Aus kleinlichen ideologischen Gründen hat ihre Partei erst gegen den EU-Beitritt der Türkei opponiert. Und nun stützt ihr Kabinett den aggressiven Kurs von Nato und USA gegenüber Russland. Dabei hat schon der Irakkrieg gezeigt, dass Briten und US-Amerikaner, über alle Parteien hinweg, gewillt sind, Faust- als Kriegsrecht zu betreiben.
Wer also ernsthaft will, dass sich die Logik ändert, mit der Russland in Georgien agiert, muss selbst etwas dazu beitragen. Der Westen kann nicht behaupten, man müsse das Kosovo aus Jugoslawien (respektive Serbien) herauslösen, Osseten und Abchasier müssten aber gegen ihren Willen Georgier bleiben. Und die Freunde der "humanitären Intervention" müssten vor allen Dingen einmal dafür sorgen, dass ihre Verbündeten auch menschenrechtliche Standards gegenüber Oppositionen und nationalen Minderheiten einhalten. Man kann im Ringen zweier ungleicher Imperien durchaus auch die russische Seite verstehen, ohne deswegen allzu große Sympathie für die Moskauer Autokratie aufzubringen.
Prinzipiell gilt: Wer die Ideologie der Ethnie sät, erntet völkische Kriege, Massaker und Vertreibung und am Ende zumeist ein Protektorat. Wie eine Niederlage im völkischen Krieg aussieht, mussten die Serben wegen angeblicher Hufeisenpläne im Kosovokrieg erfahren. Die Nato hat Serbiens Infrastruktur in Schutt und Asche gelegt. Und im Kosovo-Reservat geht bis heute nichts ohne die westliche Schutztruppe. Gleichzeitig zerstören nun russische Truppen Anlagen in Georgien. Überall Trümmerhaufen: So sehen sie aus, die humanitären Interventionen zum Wohle von Osseten und Kosovaren.
Die georgische Seite handelt aus dem gleichen Machtdenken heraus wie die russische. Und beides sind ehemalige Sowjetstaaten mit einem postkommunistischen Typus von Gesellschaft. Aber wahrscheinlich ist der Stalinismus einmal genauso wundersam über die Georgier gekommen wie einst die Hitlerei über Österreich. Geschichtsvergessenheit und nationale Eiferei: vielleicht ist es das, was gut zu dieser Nato passt.
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