Olympia erschüttert Fairness-Vertrauen: Zehn Dopingfälle, viele Fragezeichen

Nach diesen Olympischen Spielen ist der Glauben an den fairen Wettbewerb nicht nur bei den Zuschauern gebrochen. Auch vielen Athleten ist er abhanden gekommen.

Deklassiert die Konkurrenz mit einem Riesenvorsprung auf 200 Metern: Jamaikas Usain Bolt. Bild: reuters

PEKING taz Chinas Athleten, gezüchtet in den Reagenzgläsern der Dopinglaboratorien, dominieren die Wettkämpfe. Ein Sprinter aus Jamaika braucht beinahe halb so lange für die 100 Meter wie seine Konkurrenten. Ein Schwimmer aus des USA wird zum manischen Weltrekordjäger. Ist alles nur noch Doping? Waren die Olympischen Spiele die geschmackloseste Sportveranstaltung, die es je gegeben hat? Ist das das Ende des Sports?

Viele werden das so sehen. Andere haben sich das Vertrauen in den Sport bewahrt. Michael Phelps mag für die einen ein pharmazeutisches Phänomen sein, für viele Sportfans ist er der unbestrittene Star der Spiele. Usain Bolts Auftritte in Peking haben nicht nur die meisten Zuschauer im Stadion entzückt. Es gibt nicht wenige, die in ihm einen echten Helden sehen. Menschen, die Phelps und Bolt bewundern, verdrehen die Augen, wenn sie auf den Medaillenspiegel sehen. Den chinesischen Siegern vertrauen sie nicht.

Der Sport lebt vom Glauben der Zuschauer an den fairen Wettbewerb. Wie groß war die Freude in Deutschland doch über die zwei Goldmedaillen von Britta Steffen. Man nimmt ihr ab, dass sie fair ist. Bei ihren Siegen schwamm der Verdacht nicht mit. Ein Rennen zuvor ging Michael Phelps ins Wasser. Da war der Verdacht noch mit im Becken. Britta Steffens Trainer Norbert Warnatzsch wird vorgeworfen, zu DDR-Zeiten dabei gewesen zu sein, als minderjährigen Schwimmern Anabolika verabreicht wurden. Der Deutsche Olympische Sportbund will jetzt erst erfahren haben, was in den Akten steht. Warnatzsch durfte eine Olympiasiegerin formen. Vertraut ihr die Nation weniger, seit es den Verdacht gibt, dass Warnatzsch Kinder gedopt hat? Sie wird wohl einer der deutschen Stars der Spiele bleiben. Genauso wie Matthias Steiner. Ein Gewichtheber! Macht er wirklich etwas anders als die acht chinesischen Gewichthebersieger von Peking?

Während Steiner/Steffen daheim angehimmelt werden, stehen deutsche Verlierer in der Ecke und sinnieren über ihre Chancenlosigkeit. Tobias Unger, der deutsche Sprinter, findet die Auftritte Bolts regelrecht unsportlich. Er geht davon aus, dass der Jamaikaner gar nicht ernsthaft in ein Dopingkontrollsystem eingebunden ist. Ein deutscher Spitzenathlet wie Unger muss immer angeben, wo er sich gerade aufhält, damit Dopingkontrolleure ihn aufsuchen können. Unger mutmaßt, dass Bolt gar nicht weiß, wie so ein Formular aussieht. Der Sportler selbst hat das Vertrauen in den fairen Wettbewerb verloren. Was soll ihn noch motivieren?

Auch Melanie Seeger, eine deutsche Geherin, ist vom Glauben an eine faire Chance in ihrem Sport längst abgekommen. In ihrer Konkurrenz gewann Olga Kaninska Gold, eine Geherin aus einer Trainingsgruppe, "in der die Hälfte gedopt war", wie Seeger sagte. Dass in der russischen Leichtathletik systematisch gedopt wird, vermutet nicht nur sie. Der Deutsche Leichtathletikverband ist in ein strenges Kontrollwesen eingebunden. Russische Athletinnen werden selbst wenn sie überführt sind, von ihrem Verband noch in Schutz genommen. Auch Seeger hat das Vertrauen in einen fairen Wettbewerb verloren. Warum sollte sie noch auf den Trainingsplatz gehen?

Die gut überwachten deutschen Sportler müssen zusehen, wie Athleten, die so gut wie nie getestet wurden, bei internationalen Wettbewerben auftauchen. Auch Jamaika und Russland haben die Regeln akzeptiert, die im Kodex der Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) festgelegt sind. Dort steht auch, dass es die nationalen Verbände sind, die die Einhaltung zu gewährleisten haben, die für die Bestrafung der Athleten zuständig sind. Die Wada selbst ist nur eine beobachtende Dachorganisation, keine ausführende Behörde. Genau hier könnte die Lösung des Vertrauensproblems liegen. Die nationalen Verbände müssen entmachtet werden. Die Wada selbst muss Kontrollen anordnen und Sportler bestrafen. Zumindest für diejenigen, die international an den Start gehen, muss die Wada die alleinige Zuständigkeit bekommen. Eine Art Weltkader könnte gebildet werden. Wessen Name da auftaucht, untersteht dann direkt der Wada-Kontrolle. Viele kleine und arme Verbände, die der afrikanischen Läufernationen etwa, die sich keine nationale Antidopingbehörde leisten können, würden davon profitieren. Verdächtige Medaillenjägerverbände wie die der Chinesen könnten ihre Athleten nicht mehr decken.

Vielleicht können Sportlerinnen und Sportler wie Melanie Seeger und Tobias Unger dann wieder an ihren Sport glauben. Wenn die Athleten selbst ihre Wettbewerbe wieder für fair halten, wird bestimmt auch das Vertrauen des Publikums gestärkt. Es wäre ein neuer Anfang für den Sport. ANDREAS RÜTTENAUER

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