piwik no script img

Abchasien und Südossetien anerkanntRussland provoziert den Westen

Für Merkel ist Russlands Politik völkerrechtswidrig. Doch Moskau lässt sich davon nicht einschüchtern. Medwedjew erkennt die Unabhängikeit der abtrünnigen Gebiete an.

Schlägt Warnungen aus dem Westen in den Wind: Russlands Präsident Medwedjew. Bild: dpa

MOSKAU/WARSCHAU taz Russland hat die Unabhängigkeit der beiden von Georgien abtrünnigen Republiken Südossetien und Abchasien anerkannt. Um 15 Uhr Moskauer Ortszeit verkündete der russische Präsident Dmitri Medwedjew im ersten Kanal des staatlichen russischen Fernsehens, dass er ein entsprechendes Dekret unterzeichnet habe. Dem war eine Sitzung des russischen Sicherheitsrates in der Sommerresidenz des Präsidenten in Sotschi vorausgegangen.

Medwedjew begründete den Schritt mit den kriegerischen Ereignissen im Kaukasus. Die Unabhängigkeit der Republiken sei die einzige Möglichkeit, "das Leben der Menschen dort zu schützen", sagte ein verkrampfter Kremlchef mit versteinerter Miene. Mehrfach hätten die Völker Südossetiens und Abchasiens "um die Unterstützung ihrer Unabhängigkeit gebeten". Russland respektiere den freien Willen der Völker und habe auf der Grundlage des in der UN-Charta formulierten Selbstbestimmungsrechts gehandelt.

Allerdings, so räumte der Kremlchef ein, sei die Anerkennung der Unabhängigkeit keine leichte Entscheidung gewesen. Die Staatenwelt solle nun dem russischen Beispiel folgen. Der Kremlchef wies das russische Aussenministerium an, mit den neuen "Staaten" diplomatische Beziehungen aufzunehmen. Doch kommt in Südossetien die "Souveränität" einer unverblümten russischen Annexion gleich. In Abchasien stehen die Dinge anders. Dort begreift man die Unabhängigkeitserklärung auch als eine Chance, sich von Russland zu emanzipieren, was noch zu einigen Konflikten führen dürfte.

Waleri Galtschenko, Vorstandsmitglied der Kremlpartei Vereinigtes Russland, fürchtet keine weitreichenden Reaktionen aus dem Westen auf den völkerrechtswidrigen Akt des Kreml: "Der Westen wird gar nichts machen. Und sollte er es doch versuchen, bekommt er selbst Sanktionen. Zum Beispiel werden wir das Gas abdrehen." Auch der Vizechef des außenpolitischen Ausschusses der Duma, Alexei Ostrowski, begrüßte den Schritt als einen weiteren Machtzuwachs Russlands. Die Entscheidung des Kreml hätte allen Staaten vor Augen geführt, dass sie Russland achten müssten, meinte Ostrowski.

Moskau spielt mit den Muskeln und präsentiert einen trainierten Oberkörper. Darunter sind jedoch die dünnen Beinchen eines maroden Staates, der sich besser nicht auf Abenteuer einlassen sollte. Premier Wladimir Putin sah im Zusammenbruch der UdSSR die "größte Katastrophe des 20. Jahrhunderts". Mit Südossetien hat er einen winzigen Teil heim ins Imperium geholt.

Das amerikanische Kriegsschiff "McFaul" verließ gestern nach der Löschung von humanitären Hilfsgütern den georgischen Hafen Batumi und nahm Kurs auf die Hafenstadt Poti. In Missachtung des Waffenstillstandsplanes zwischen EU und Russland haben russische Truppen Poti nicht geräumt. Jetzt wies der russische Generalstab darauf hin, dass sich an Bord der "McFaul" 50 taktische Tomahawk-Raketen befänden. Zugleich kündigte Moskau an, die Zusammenarbeit mit der Nato wegen des Streits mindestens ein halbes Jahr aussetzen. "Die Nato missachtet fortlaufend die Friedensrolle, die Russland in Südossetien besitzt", hieß es.

In Estland schlug Bundeskanzlerin Angela Merkel am Dienstag eine fast panische Angst vor Russland entgegen. Der kleinste der drei baltischen Staaten glaubt, ein ähnliches Problem wie Georgien zu haben. Denn Moskau wirft Tallinn immer wieder vor, die russische Minderheit zu diskriminieren. Kurz vor Merkels Besuch warf Estlands Präsident Toomas Hendrik Ilves der Nato vor, keinen ausgearbeiteten Verteidigungsplan für das Baltikum zu haben.

Merkels Ziel bei ihren Besuchen in Estland und Litauen aber war, einerseits den osteuropäischen Staaten entgegenzukommen, andererseits aber den Gesprächsfaden nicht abreißen zu lassen. Die Anerkennung von Südossetien und Abchasien durch Russland sei völkerrechtswidrig und "absolut nicht akzeptabel", sagte sie in der estnischen Hauptstadt Tallinn. "Dieses widerspricht nach meiner Auffassung dem Prinzip der territorialen Integrität."

Ähnlich wie Merkel äußerten sich gestern auch Vertreter zahlreicher andere EU-Staaten. Allerdings unterschieden sich die Statements im Ton. So bezeichnete Frankreich die Anerkennung Südossetiens und Abchasiens durch Moskau lediglich als "bedauerlich". Frankreich sei der "territorialen Integrität Georgiens" in seinen international anerkannten Grenzen verbunden.

Die Angst vor Russland könnte zu einer Spaltung in der EU führen. Die östlichen Mitgliedstaaten von EU und Nato halten die Vermittlungsbemühungen des Westens im Georgienkrieg für zu lasch. So forderte der estnische Präsident Ilves vor allem "Härte" gegenüber Russland. Einen weiteren "Dialog" mit Moskau hält er derzeit für unmöglich. Vielmehr sollten jedwede Gespräche eingestellt werden, solange der ausgehandelte Friedensplan nicht voll umgesetzt sei. Auch die Verhandlungen über den neuen Partnerschaftsvertrag zwischen der EU und Russland sollten eingefroren werden.

Nicht viel anders äußerte sich Ministerpräsident Andrus Ansip, der Merkel gegenüber die geplante Ostsee-Gas-Pipeline zwischen Russland und Deutschland kritisierte. Die drei baltischen Staaten sowie Schweden und Polen, vor deren Küsten die Pipeline verlaufen soll, fordern schon seit längerem eine Stornierung des Projekts. Sie fürchten, dass Moskau seine Macht als Gasmonopolist ausnutzen und ihnen aus politischen Gründen den Gashahn zudrehen könnte. Die osteuropäischen Staaten werfen der EU vor, ihre Expertise zu wenig zu berücksichtigen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

19 Kommentare

 / 
  • L
    Laura

    Mal etwas anderes: Was für eine Rolle für Deutschland möchte Merkel? Warum hält sie Deutschland aus diesem Konflikt nicht heraus? Was für ein Interesse hat eigentlich Merkel daran, Deutschland als Moralapostel darstehen zu lassen?Warum schickt sie - wie heute in den Nachrichten verkündet wurde - 10 Militärbeobachter nach Georgien? Und wenn mir jetzt diese Fragen jemand damit beantwortet, Deutschland müsste Verantwortung übernehmen, dann werde ich lachen.

  • J
    Jewgenij

    Moskau will seine Grenzen austesten und der Westen kann nur darauf militärisch oder auch diplomatisch reagieren. Der Westen hat Winterschlaf gehalten all die Jahre und nun sieht er sich vor Problemen.

     

    Das Anerkennen der Republiken Südossetien und Abchasien war eine trotz Reaktionen Moskaus in Richtung Westen, weil der Westen findet in diesem Konflikt keinen Nenner und auch keine wirkliche Lösung. Der Retter in der Not war Frankreich aber auch Frankreich kann zur Lösung des Konflikts nicht beitragen außer einem läppischen sechs Punkte Plan über den noch immer gezankt wird. In der Kuba Krise gab es einen glücklichen Ausgang, weil im letzten Moment doch die Diplomatie stattgefunden hat oder die Diplomatie in der Kaukasus Sache ihren Nenner findet bin ich mir nicht sicher. Deutschland hat noch immer Königsberg nicht vergessen und kann Königsberg von Russland Vordern. Der Weltatlas muss neu geschrieben werden, wenn es so weiter geht.

  • B
    baiki

    Ich stimme Nobilitatis zu. Vergleiche mit dem Kosovo sind generell berechtigt, dann kann man aber ebensogut mit der Tschetschenien-Karte kontern, wo Putin dann wiederum den Georgiern vorgeführt haben könnte, wie man das Problem mit sezessionswilligen `Minderheiten´ löst.

     

    Sehr interessant an dem Konflikt ist sowieso, aktuelle `Meinungsströmungen´ (oder Trittbrette, auf denen es sich bequem fahren lässt) festzustellen. Ich glaube, die sicherste Position ist unverhohlener Anti-Amerikanismus, so gesehen in der heutigen ARD-Maischberger-Diskussion. "Amerika ist schuld" läuft immer, Ängste der Osteuropäer werden als lästige Hindernisse für die (West-)EU dargestellt. Gleichzeitig wird mancherorts ein Bild vermittelt, als sollte man Russland noch tröstend in den Arm nehmen - der Westen war ja so unfreundlich. Ja, wie bitte? Ist Russland nicht der Staat, dessen politische Hauptakteure den Zerfall der super-imperialistischen Sowjetunion mit ihren zig Millionen Menschenopfern bedauern? Der die wirtschaftlichen Entwicklungen autonomer Ex-Sowjetstaaten systematisch und bis zur Verletzung des Völkerrechts boykottiert (wie die völlig legitim TBC-Pipeline, kommt noch)? Tschetschenien, Politkowskaja? Verteilen dessen Soldaten, die so genannten Friedenstruppen, nicht gerade eifrig Minen in Kern-Georgien und besetzen völlig außerhalb jedes internationalen Rechts Städte wie Poti? Ach entschuldigung, die USA sind schuld, wie konnte ich es vergessen.

  • M
    Mor

    Ich hab ein kleines Problem mit der Leseart des Westens... Ja, Russland ist ein ziemliches mafiadurchwachsenes System und Nein, ich bin nicht fur die Russen, blos weil sie vor fast einem Jahrhundert ein Revolution gemacht haben...(genausowenig bin ich fur Frankreich ;))

     

    Aber das Problem der Argumentation Merkels & Co ist, dass sie bei Kosovo für die Unabhängigkeit sind, bei Südossetien nicht...blos weil die ölpipline aus dem Nahen Osten an Russland vorbeigeschummelt werden soll und die Nato (Nordatlantlantische Allianz...weder Afgahnistan noch Georgien liegen am Nordatlantik) mal wieder ihr Budget rechtfertigen muss und die Muskeln spielen lassen will...

     

    ich verteigige keineswegs Russland...aber auch nicht Georgien, die USA oder Deutschland (bzw die EU)

     

    Ich finde sowohl die Annerkennung Kosovos als "sicherer Staat" als auch dieses Kettenrasseln ziemlich dumm, von allen beteiligten. Die ganze Gegend ist ein Pulverfass, und wir alle spielen mit dem Feuer... und hier ware as an jedem (EU, USA und Russland, Georgien Südossetien und Abchasien, diplomatisch Feuerwehr zu spielen.

    just my 2 cents

  • JB
    Joachim Bovier

    DAS REICH DES BÖSEN IST WIEDER ERWACHT

    Russland zeigt sein wahres Gesicht, die alte Fratze der aggressiven Machtpolitik, die wir aus den Zeiten von Stalinismus und Kommunismus kennen. Das kam nicht überraschend für jeden, der die Entwicklung des Landes seit dem Machtantritt Putins mit offenen Augen und ohne Naivität verfolgt hat. An die Stelle der kommunistischen Diktatoren sind nun mafiöse KGB Strukturen getreten - das hat in der Sache nichts geändert.

     

    Zulange hat der Westen mit einer verhängnisvollen Appeasementpolitik allzu große Nachgiebigkeit gezeigt. Russlands Kanonenbootpolitik testet folgerichtig die Grenzen des Möglichen, indem faktisch die abtrünnigen georgischen Provinzen annektiert wurden. Es ist jetzt an der Zeit den Russen die Antwort zu geben, die allein sie offenbar verstehen: Entschlossen dagegen halten, Beistandspakt der NATO mit Georgien und der Ukraine und deren sofortige Aufnahme in das nordatlantische Bündnis. So wie mit Star Wars und Nachrüstung der Kommunismus niedergerungen wurde, werden wir mit entschlossenem Handeln erneut erfolgreich sein. Deutsche Politik muss sich jetzt aber klar und unzweideutig an die Seite der in ihrer Freiheit bedrohten Länder Osteuropas stellen.

  • V
    vic

    Ach, wie oft wurde und wird das arme Völkerrecht misshandelt in jüngster Zeit. Von jener Seite jedoch störte Merkel das bisher nicht. Nein, sie ist sogar mit dabei.

    Die Unabhängikeit der abtrünnigen Gebiete ist in Ordnung, wenn die das wünschen. Russland kann sich aus Kern-Georgien wieder zurückziehen, und alle können in Frieden leben.

    Deutschland sollte ein vernünftiges Verhältnis zu seinem größten Nachbarn pflegen. Das scheint mir viel wichtiger zu sein als das Verhältnis zum größten Agressor USA.

  • KS
    Konstantin Schneider

    Europäische Politik darf sich nicht dem Revanchismus verschreiben. Insofern sollten die Balten auch dazu angehalten werden, die russische Minderheit als völlig gleichberechtigte Bürger zu respektieren.

  • M
    moewenort

    Bei aller (sicherlich oft berechtigten) Kritik an westlichen Fehlern und an Sakaschwili ( der scherlich alles andere als ein Demokrat ist).Wie kann man allen Ernstes die Politik dieses Atokraten-Regimes in Moskau auch nur irgendwie rechtfertigen? Das heutige Russland hat sich in etwa so entwickelt als wenn wir uns allen Ernstes nach der Wiedervereinigung einen ehemaligen Stasi Oberst wie Mielke zum Bundeskanzler gewaehlt haetten. wir jammern oft rum ueber die Fehler nach der Wiedervereinigug. Vergleicht man aber Ostdeutschland mit Russland hat sich bei uns seit 1989 demokratisches Denken wenigstens entwickeln koennen.

  • A
    anke

    Krokodilstränen! Würden Frau Merkel und Mister Bush das Völkerrecht wirklich ernst nehmen, hielten sie sich an die Präambel der Charta der Vereinten Nationen. Die Charta nämlich ist angeblich die wichtigste Rechtsquelle des Völkerrechts, und in ihrer Präambel steht geschrieben, welcher Zweck verfolgt werden soll damit.

     

    Es geht dem Völkerrecht in erster Linie angeblich um die Vermeidung von Kriegen, die wiederum Voraussetzung für die Wahrung der menschlichen Grundrechte und der Menschenwürde sind und außerdem die Basis für Gerechtigkeit und sozialen Fortschritt darstellen. Die Vereinten Nationen, die sich als Garanten des Völkerrechts ausgeben, wollen ihren eigenen Regeln zufolge mit der Friedensicherung einen [Zitat:] „besseren Lebensstandard in größerer Freiheit“ erreichen, und zwar für alle Völker dieser Erde. Dass die Freiheiten und der Lebensstandard für Präsidenten und KanzlerInnen reserviert wären, steht nicht in der Charta.

     

    Im Sinne ihrer Ziele müssen sich die Mitglieder der Vereinten Nationen dazu verpflichten, [Zitat:] „Duldsamkeit zu üben und als gute Nachbarn in Frieden miteinander zu leben, [...] den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren, [...] zu gewährleisten, dass Waffengewalt nur noch im gemeinsamen Interesse angewendet wird, und [...] den wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt aller Völker zu fördern.“ Große Ziele sind das, die jeder vernünftige Mensch guten Gewissens unterstützen kann. Leider muss man bislang ein souveräner Stat sein, wenn man den vereinten Nationen angehören will. Die Völker, die dem Völkerrecht zu seinem Namen verholfen haben, und die Nationen, die angeblich vereint werden in der Charta, müssen also unter einer irgendwie gearteten Obrigkeit organisiert sein, um sich offiziell zur Friedensliebe verpflichten zu dürfen.

     

    Südossetien und Abchasien sind bislang keine Staaten. Ihren Völkern wird die Souveränität durch die Georgier verweigert, und zwar mit militärischer Gewalt. Georgien hingegen ist ein Staat. Einer allerdings, der sich mit der Bombardierung Südossetiens bezüglich des Völkerrechts als nicht sonderlich vertragstreu erwiesen hat. Wenn Saakaschwili nun hilfesuchend in Richtung Westen schaut und von dort Unterstützung für sein militärisches Vorgehen erwartet, dann tut er das nur, weil er weiß, dass dem Westen das Völkerrecht ebenso gleichgültig ist, wie allen anderen Mächten dieser Erde. Vor allem, wenn es den eigenen Interessen im Weg steht. Russland hat sein Tschetschenien, die USA haben ihren Irak und die Europäer haben Kroatien. Und alle zusammen haben sie die Hoffnung, sie könnten Weltmacht spielen. Anderswo.

     

    Deutschland soll sich neuerdings nach Ansicht seiner Politiker als „selbstbewusste Mittelmacht“ profilieren. (Offenbar liegen die letzten deutschen Machtpleiten inzwischen weit genug zurück.) Zu diesem Zweck muss die Kanzlerin darauf bestehen, dass Jellineks Drei-Elemente-Lehre auch in Zukunft ihre Gültigkeit behält. So, wie das Volk der Herero 1905 durch kein Völkerrecht davor bewahrt wurden, von seinen deutschen Kolonialherren zu zwei Dritteln ausgerottet zu werden, so schützt noch heute kein Völkerrecht die Kurden, die Tschetschenen oder die Tibeter vor den Machtansprüchen ihrer jeweiligen Herren. Von Afrika oder Südamerika noch gar nicht zu reden. Das Völkerrecht sollte also besser Staatenrecht heißen. Noch ehrlicher wäre es allerdings, es gleich das Recht der Machthaber zu nennen.

     

    Wie dem auch sei. Fakt bleibt: Das Völkerrecht berechtigt nicht nur zur Machtausübung, es verpflichtet auch zum Friedenserhalt. Wer sich also darauf berufen will, der sollte weder einen Krieg heraufbeschwören, noch sollte er Leute politisch oder gar militärisch unterstützen, die genau das tun. Er läuft sonst Gefahr, als Heuchler zu gelten. Vertrag ist schließlich Vertrag, und zwar von vorn bis hinten. Die Präambel jedenfalls gehört immer auch dazu. Sollen sie doch keine Präambeln verfassen, die Herren und Damen Chefs, wenn sie sich nachher nicht daran halten wollen! Sich mit Phrasen zu schmücken, die nicht schlechtwettertauglich sind, schadet jedenfalls der Gaubwüdigkeit ganz enorm.

  • M
    manfred (56)

    Wenn die Anerkennung Südossetiens und Abchasiens durch Rußland völkerrechtswidrig ist, war auch die Zerschlagung Jugoslawiens, die besonders intensiv durch Kohl und Genscher betrieben wurde, völkerrechtswidrig. Dann war auch die Anerkennung des Kosovo völkerrechtswidrig. Dann ist die andauernde Anexion Nordirlands, Schottlands und Wales' durch die Engländer völkerrechtswidrig. Dann ist die gerade in der letzten Zeit immer wieder geforderte Souverenität Tibets völkerrechtswidrig, denn sie verletzt die territoriale Integrität Chinas. Und was ist mit der territorialen Integrität Rußlands in Bezug auf Tschtschenien? Und dann wäre da noch die Abspaltung eines Teiles Zyperns durch das NATO-Mitglied Türkei. Und wie ist das im Irak? In Iran? Fragen über Fragen...

     

    Frau Merkel sollte besser den Mund halten.

  • IM
    Ian McBrandenburg

    Zweifellos muss man sich in den wesentlichen Punkten den Vorrednern anschließen, beide Seiten spielen hier mit gezinkten Karten, der Wortlaut von Medwedews Verlautbarung hätte auch vor ein paar Monaten von westlicher Seite in Bezug auf den Kosovo fallen können und ist, gerade mit Blick auf den Versuch der Legitimation sogar ähnlich gefallen.

     

    Leider muss man hier auch der Presse einen Vorwurf machen. Sie konzentriert sich nämlich schon wieder viel zu schnell auf die Machthabenden und deren elendiges, verlogenes Geplänkel und vergisst dabei allzu schnell das, was im Moment Georgier, Osseten und Abchasier eint: Das Leid!

    Denn, Herrn Saakashvilli und sein Gefolge mal ausgenommen, der Bevölkerung geht es verdammt schlecht.

    Und an dieser Stelle ist es für mich unverständlich, dass die EU hierbei die 'humanitären' Missionen der NATO unterstützt, wissend, dass dies für Russland eine Provokation darstellt und nicht den für alle Parteien besseren Weg über die UN geht, denn hier wäre ja der neutrale Helfer, zumal UNHCR und UNICEF ja schon Alarm geschlagen haben und auf eine schnelle Lösung drängen.

     

    Und eines noch an die Adresse derjenigen, die jetzt schon wieder vom Kalten Krieg reden:

     

    Die politischen Verhältnisse heute sind andere! Zu Zeiten des Kalten Krieges gab es zwei klar definierte Lager. Heute ist mindestens eine weitere Weltmacht hinzugekommen, nämlich China, und deren Position ist klar: China braucht ums Verrecken keinen größeren Konflikt auf der Welt, denn dies würde Chinas Aufstieg in der Weltgemeinschaft erschweren.

    Und China hat zwei Machtmittel, die eine, nämlich die westliche Seite erheblich schwächen könnten:

     

    1. US-Staatsanleihen, die den Dollar binnen weniger Stunden wertlos machen können, wenn China diese verkauft

    2. Wenn China die Produktion von Industriegütern aussetzt, sieht es auch in Europa mau aus.

     

    Zwar hält sich China im Moment noch ein wenig bedeckt, da auch die Lösung der Tibet-Frage nicht ganz koscher war, sobald es aber zu ernsthaften Eskalationen kommt, wird China schlichtend eingreifen müssen und dies auch mit hoher Wahrscheinlichkeit tun.

     

    Trotzdem bleibt es mir unverständlich, dass in diesen Überlegungen, und ich nehme mich dort explizit nicht aus, viel zu wenig über die einzelnen Schicksale von Menschen, und zwar von hunderttausenden, Millionen aber auch über das Schicksal von uns Allen, die wir zentrale Probleme des 21. Jahrhunderts nicht mehr in imaginären Blöcken, sondern nurmehr gemeinsam lösen können, nachgedacht wird.

  • N
    neologica

    Weder bei der Anerkennung des Kosovos, noch in diesem Fall bei der Anerkennung Abchasiens und Süd-Ossetiens geht es den beteiligten Nationen um das Völkerrecht.

     

    Anstelle des Völkerrechts tritt das Recht des Stärkeren. Dieses äußert sich dadurch, dass eben, wenn man nur mächtig genug ist, nie völkerrechtlichen Präzedenzfälle entstehen, sondern lediglich "Einzelfälle" von der stärksten Macht "im Spiel" definiert werden.

     

    Deshalb sehen die westlichen Staaten den Fall Kosovo nicht als Präzedenzfall an und können sich jetzt wieder in einem anderen Kontext auf das dem Kosovo-Fall objektiv missachtete Völkerrecht berufen.

     

    Genauso läuft auch Russland nicht in Gefahr durch eine Anerkennung im Falle Abchasiens/Süd-Ossetiens seinen ansonsten vertretenen Standpunkt der Priorität der territorialen Integrität gegenüber dem Selbstbestimmungsrecht der Völker aufgeben zu müssen. D.h. Russland wird in diesem Fall seine Vorbehalte aufgeben, sich aber gestützt auf seine militärische und strategische Macht das Recht herausnehmen das ganze als Einzelfall zu deklarieren.

     

    Das Völkerrecht gilt also weiterhin, jedoch nur für die, welche ihre Ansprüche nicht schnell und "effektiv" in die eigenen Hände nehmen könne.

     

    Für jeden friedliebenden Menschen ist dies eine besorgniserregende Entwicklung, für die meisten beteiligten Staatschefs nur ein realpolitisches Machtspiel. Das hätten die Verantwortlichen, die so schnell bereit waren das Kosovo anzuerkennen bedenken sollen. Man besitzt nur eine "völkerrechtliche Definitionsmacht", wenn der Gegner wirklich in jeder Hinsicht unterlegen ist. Dabei spielt es letztlich keine Rolle wie solche Schritte begründet werden und was alles in diesen Regionen vorher passiert, denn auch diese Dinge lassen sich je nach Standpunkt beliebig interpretieren.

     

     

    P.S.: @nobilitas, der Unterschied zwischen dem Kosovo und den beiden georgischen Provinzen liegt eben nicht im Republik-Status, da auch das Kosovo innerhalb der SFR Jugoslawien keine Republik war und somit, auch nach den Kriterien der von der EU damals eingesetzten Badinter-Komission, kein verfassungsmäßiges Sezessionsrecht hatte. Auch ist Ihre Sicht der Vertreibungen in Abchasien/Ossetien ein wenig einseitig, da nach der Unabhängigkeit Georgiens die ersten Schritte in diese Richtung auch damals von der georgischen Seite kamen. Dies gibt natürlich der anderen Seite nicht das Recht genauso zu verfahren, aber ein Blick auf das komplette Bild eines Konflikts zeigt oft, dass die Dinge komplizierter sind, als es zu aller erst den Anschein macht.

  • G
    Galler

    Ich bin der Meinung es ist eine Returkutsche für den Kosovo.

    Georgien hat ein Recht auf auf beide Provinzen verspielt.

  • N
    Nobilitatis

    Was ist anders im Kosovo als in Abchasien und Südossetien? Ja, wie oft ist die Frage schon gestellt worden.

    Es gibt mehrere mögliche Antworten. Ein Beispiel ist der bis 1989 bestehende Republik-Status in Jugoslawien. Die anderen Republiken sind ja anerkannterweise unabhängig von der Republik Serbien.

    Das Kosovo ist auch von Serbien nicht gebeten worden, sich zu reintegrieren. Albaner mag Serbien nicht, nur das Kosovo als "Wiege Serbiens". Im Kosovo sollen die Serben aber einbezogen werden. Im Gegensatz dazu mussten die "separatistischen" Regierungen in Südossetien (1/3 Georgier) und Abchasien (48 % Georgier) erst die Georgier vertreiben, um zum gewünschten Ergebnis zu kommen (unabhängig davon, was die georgische Regierung versucht hat, denn einmal geht es um Menschen [selbstbestimmungsrecht der Völker] und andermal um möglicherweise verbrecherisch handelnde Regierungen).

     

    Was sind denn die Kriterien, nach denen man sich von anerkannten Staaten loslösen kann? Das sollte Rußland beantworten, unter Beachtung der Anwendbarkeit auf autonome Gebiete in Rußland. Bis zu einer Antwort betreibt Rußland nur Imperiale Politik zulasten des internationalen Rechts. Genau wie bei der Beutekunst.

  • D
    Domas

    Und wenn man vom Kosovo spricht, sollte man auch den Zerfall Jugoslawiens betrachten.

    Haben da nicht die Schreihälse voreilig, die Unabhängigkeit Sloweniens und Kroatiens anerkannt.

     

    Das sind Kriegserklärungen und so macht es Russland in diesem Fall und Deutschland anderswo.

     

    Doppelmoral und die notleidenden ist die Manövriermasse.

     

    Da kommt dann auch die Empörung über Srebrenica zu spät.

  • HM
    Haral Müsegang

    Der Westen hat schon immer mit zweierlei Maaß gemessen: Was seine Potentaten und Verbündeten durften, hat er bei seinen Gegnern theatralisch angeklagt. Von Mubutu über Todessschwadrone in Mittel- und Südamerika bis Osama Bin Laden hat er bis jetzt jeden Terroristen, Staatsverbrecher; Kleptokaten und Massenmöder unterstützt:

     

    Von der Förderung von Drogenbaronen (Norjega, "Nordallianz", "Mudchjahedin") bis zu Vernichtungskriegen (Vietnam), Staatszerschlagung (Jugoslawien) und mit Lügen legitimierten Angriffskrieg (Irak) hat er jede erdenkliche Schweinerei unterstützt oder angeführt.

     

    Dabei ist er in letzter Zeit auf den Dreh gekommen dies alles mit seinen selbstgleichgeschalteten Medien (Fox News-CNN Gleichschaltung zum Irakkrieg) seinen Gegner vorzuwerfen. Besonders die Menschenrechte, die er selbst mit Füssen tritt.

     

    Dieser Menschenrechts-Machavellismus ist zynisch und macht den Westen nicht besser als seine genauso verbrecherischen Gegner; jedoch wesentlich verlogener.

  • SK
    Sascha Klocke

    Dem kann ich nur beipflichten. Und nach dem Krieg, den wohl beide Seiten nicht so sauber geführt haben, haben die Südosseten eben so ein Recht, um ihr Wohl in Georgien zu fürchten, wie die Kosovaren in Serbien.

     

    Wenn man dem Kosovo Souveränität geben muss, dann ist es ja logisch, dass andere Regionen nachziehen. Und dann braucht man hier in Europa auch nicht so peinlich mit der Moralkeule gegen Russland schwingen... Westliche Doppelmoral wie wir sie kennen und lieben.

  • M
    Moritz

    Kann mir irgendjemand den völkerrechtlichen Unterschied zwischen dem Kosovo und Abchasien und Südossetien erklären?

    Warum krähte bei der Unabhängigkeitserklärung des Kosovo kein einziges deutsches Blatt von der territorialen Integrität Serbiens und jetzt ist es für Georgien das wichtigste Argument? Ist der Kosovo nicht ein viel größerer Teil des serbischen Staates gewesen als Südossetien und Abchasien des georgischen?

     

    Sieht für mich mal wieder nur nach dumpfen Politspielen aus, bei denen sowohl die europäische, als auch die georgische und russische Bevölkerung nach Strich und Faden belogen und falsch informiert wird.

  • SI
    Steffen Ille

    Es hat einige Menschen gegeben, die davor warnten, den Kosovo völkerrechtswidrig anzuerkennen.

    Daß es nicht lange dauern würde, bis andere Staaten sich dies zu Nutze machen würden, war vorherzusehen.

    Bei allen unterstellten guten motiven, den Kosovo anzuerkennen war weltpolitisch verantwortungslos. Und der Westen muß sich nun, nicht zu Unrecht, vorwerfen lassen, mit zweierlei Maß zumessen. Warum sollte denn Rußland ein Völkerrecht respektieren, das EU und USA nicht respektieren?

    Diese Entwicklung war vorhersehbar - wurde also in Kauf genommen.