5 Millarden für Kolonialverbrechen: Italien entschädigt Libyen
5 Millarden Dollar in 25 Jahren will Rom an Tripolis zahlen. Dafür hofft Berlusconi auf Absicherung von Öl- und Gaslieferungen sowie Hilfe beim Kampf gegen die illegale Einwanderer.
ROM taz "Mehr Erdöl, weniger illegale Immigranten": Auf diese Formel brachte am Samstag Italiens Premier Silvio Berlusconi die neue Ära in den italienisch-libyschen Beziehungen, die mit der Unterzeichnung eines Freundschaftsabkommens eingeläutet wurde.
Berlusconi war nach Bengasi gereist, um mit Libyens Revolutionsführer Muammar al-Gaddafi die Unterschrift unter den "Pakt der Freundschaft, Partnerschaft und Zusammenarbeit" zu setzen. Einem Ausbau der politischen und ökonomischen Beziehungen stand vor allem die koloniale Vergangenheit im Wege. Gaddafi forderte eine hohe italienische Entschädigungszahlung und deutliche Worte der Entschuldigung für die in Libyen begangenen Kolonialverbrechen.
Am Samstag fand Berlusconi vor Gaddafis Beduinenzelt endlich klare Worte. "Im Namen des italienischen Volkes empfinde ich es als meine Pflicht, mich zu entschuldigen und unseren Schmerz über das, was vor so vielen Jahren geschehen ist und viele eurer Familien gezeichnet hat, zum Ausdruck zu bringen."
1911 hatte Italien dem Osmanischen Reich die Kontrolle über Tripolitanien und die Kyrenaika entrissen. In den folgenden gut 30 Jahren fanden zehntausende Libyer den Tod, wurden als Widerstandskämpfer erhängt oder erschossen. Am blutigsten gestaltete sich das italienische Kolonialregime in den frühen Dreißigerjahren, als libysche Widerstandskämpfer einen Guerillakrieg gegen Mussolinis Truppen führten. Das faschistische Regime antwortete mit der Einrichtung von Konzentrationslagern, in denen etwa 40.000 Menschen umkamen. Der italienische Historiker Angelo Del Boca errechnete, dass am Ende jeder achte der damals 800.000 Einwohner des Landes durch italienische Hand getötet worden war. Die Kolonialherrschaft hatte die Dimension eines Genozids.
Dafür zahlt Italien jetzt, verteilt über 25 Jahre, eine Entschädigung von 5 Milliarden Dollar. Damit soll vor allem der Bau eine Küstenautobahn von der tunesischen zur ägyptischen Grenze finanziert werden. Außerdem sollen Stipendien für libysche Studenten und Entschädigungen für die Opfer italienische Landminen gezahlt werden.
Im Gegenzug hofft Italien, heute Handelspartner Nummer eins für Libyen, Öl- und Gaslieferungen aus Libyen "abzusichern"; der italienische Konzern ENI hat erst vor kurzem die Lieferverträge bis zum Jahr 2042 (Erdöl) bzw. 2047 (Erdgas) verlängert. Ebenso wichtig sind mögliche Infrastrukturaufträge im Straßenbau und beim Ausbau des Kommunikationsnetzes. Ziemlich weit oben auf der italienischen Prioritätenliste steht zudem die Kooperation bei der Bekämpfung der illegalen Immigration. Pro Jahr kommen etwa 20.000 "klandestine" Immigranten übers Mittelmeer. Der Großteil sticht von der libyschen Küste aus in See. Italien hofft, dass das unter der Regierung Romano Prodis unterzeichnete "technische Abkommen" über gemeinsame Seepatrouillen vor Libyens Küste und die Einrichtung von Auffanglagern auf libyschem Boden nun voll umgesetzt wird.
Der Historiker Del Boca kommentierte gegenüber der linken Tageszeitung Il Manifesto, die mit dem Abkommen ausgesprochene Erinnerung an die Konzentrationslager aus der Kolonialzeit sei offenbar schnell vergessen. Schließlich seien die anvisierten Auffanglager auch nichts anderes als "neue kleine Konzentrationslager".
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