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Bundeswehr in AfghanistanDie Stimmung kippt

Bisher waren die deutschen Soldaten stolz darauf, dass die Afghanen sie nicht als Besatzer sehen. Doch seit Ende 2007 hat die Zahl der Anschläge auf die Bundeswehr stark zugenommen.

Männer im Panzer als Freund und Helfer?

KUNDUS/KABUL/MASAR-I-SCHARIF taz Die Sonne geht schnell unter in Afghanistan. Um kurz nach sieben ist es am Freitagabend dunkel in Masar-i-Scharif. Einige hundert Soldatinnen und Soldaten stehen schweigend um das gemauerte Halbrund, das dem Militärlager als Gedenkort dient und über dem heute die Fahnen auf Halbmast wehen.

WUT IN KABUL

Hunderte Afghanen sind in einem Vorort von Kabul aus Wut über die angebliche Tötung zweier Kleinkinder bei einer Razzia ausländischer Soldaten auf die Straße gegangen. Die Demonstranten zeigten Journalisten am Montag die blutigen Leichen der knapp zwei Jahre alten Kinder, die zusammen mit ihrem Vater und einer Frau bei einem Einsatz in den frühen Morgenstunden erschossen worden sein sollen. Ausländische Einheiten sollen das Haus angegriffen haben. Wie ein Einwohner berichtet, sprengten die Soldaten das Eingangstor eines Hauses auf und eröffneten das Feuer. Anschließend seien drei Männer abgeführt worden. Die Nato bestritt, in den Vorfall verwickelt zu sein. Bei einem Zwischenfall an einer Straßensperre mit deutschen Nato-Soldaten wurden am Donnerstag drei Zivilisten, darunter zwei Kinder, erschossen.

Die Bundeswehr ist in Afghanistan am Montag erneut Ziel eines Angriffs geworden. Unbekannte beschossen nördlich der Stadt Kundus eine deutsche Patrouille mit Handfeuerwaffen. Zudem seien "Explosionen unbekannter Art" in der Nähe wahrgenommen worden. Bei dem Angriff sei niemand verletzt worden. AFP

Brigadegeneral Jürgen Weigt, Chef des deutschen Isaf-Kontingents in Afghanistan, hält eine Rede für Micha M. Der 29 Jahre alte Hauptfeldwebel starb zwei Tage zuvor, nachdem seine Patrouille bei Kundus auf eine Bombe gefahren war. "Lohnt es sich, für Afghanistan zu sterben?", fragt Weigt. Seine Antwort lautet: "Das ist die falsche Frage." Ein Soldat lebe für seine Aufgabe.

Aber was ist noch genau die Aufgabe? Keine Woche war so wie die vergangene für die Bundeswehr in Afghanistan. Seit Monaten steigt die Zahl der zivilen wie militärischen Opfer bei Anschlägen und Kämpfen. Doch nun wurde erstmals seit Mai 2007 wieder ein deutscher Soldat getötet: 28 tote Deutsche in Afghanistan, davon zwölf "durch Fremdeinwirkung" zählt das Verteidigungsministerium nun. Seit Monaten sagen Beobachter, dass nicht nur Taliban und Kriminelle aller Art es auf die Bundeswehr abgesehen hätten. Die Stimmung, heißt es, kippe insgesamt - selbst gegenüber den als friedfertig geltenden Deutschen.

Und nun beschossen nur einen Tag nach Micha M.s Tod - höchstwahrscheinlich - deutsche Soldaten erstmals eine Familie, deren Wagen sich - wahrscheinlich - unvorschriftsmäßig einem Checkpoint genähert hatte. Eine Frau und zwei Kinder sind tot, drei weitere verletzt. Die Staatsanwaltschaft ermittelt. Die Bundeswehr gibt keinen neuen Erkenntnisstand preis. Eine Woche zuvor war ein Schäfer bei Feisabad, der die Soldaten für Viehdiebe hielt und angriff, das allererste Opfer der Bundeswehr in Afghanistan gewesen. Am Checkpoint, wo die Frau und ihre Kinder starben, handelten die Soldaten in Panik. Mit Sicherheit nicht aus Absicht. Aber bestimmt mit schwerwiegenden Folgen.

Zufällig sind elf deutsche Journalisten im Lager Kundus, als dort die Nachricht über Lautsprecher hallt, dass eine Patrouille sechs Kilometer entfernt auf einen Sprengsatz gefahren ist. Den Presseoffizieren, die das Medientrüppchen betreuen, frieren die Gesichtszüge ein. Vorerst wird jedoch das Besuchsprogramm fortgesetzt. Es folgt ein weiterer Vortrag über die erfolgreiche Arbeit der Bundeswehr in Afghanistan.

So stolz ist die Bundeswehr, dass sie - in Abgrenzung zu den US-Amerikanern im Süden des Landes - gute Kontakte zur Bevölkerung pflegt, dass sie aus dem Fahrzeug winkt, wo die "Amis" nur waffenstarrend durchpreschen. "Die Bevölkerung will, dass wir hier sind. Sie will das", sagt der junge Offizier. Die in diesen Tagen "verschärfte Sicherheitslage", erklärt er, "ist eine Reaktion auf das Funktionieren von Isaf". Die Aufständischen seien verunsichert.

Kaum eine Stunde später kommt Oberst Christian Meyer, der Kommandeur des Provincial Reconstruction Teams (PRT), ins klimatisierte Vortragszelt und erklärt, der Schwerverletzte sei soeben in der Lagerklinik nebenan verstorben. Da wird das Programm dann doch unterbrochen. Die Journalisten möchten sowieso gern mit ihren Redaktionen telefonieren.

Die Patrouille, an der sie nun eigentlich teilnehmen sollten, fällt aus. Niemand äußert echtes Bedauern. Es sind 39,2 Grad im Schatten. Unablässig werden neue Wasserflaschen aus Plastik geöffnet, die in dicken Packen überall herumliegen. Das Wasser kommt aus den Vereinigten Arabischen Emiraten.

So stolz ist die Bundeswehr, dass die Afghanen die Deutschen mögen. Es gehe voran, die Afghanische Nationalarmee (ANA) mache gute Fortschritte, Schulen und Brunnen würden gebaut. Doch so wenig wie die Journalisten, die aus den Camps nicht herauskommen, merken die einfachen Soldaten etwas davon. Sie haben keine Erfolgserlebnisse, denn sie bleiben ja nur vier Monate. Die Einsatzdauer wurde von sechs Monaten verkürzt, weil die Leute in schlechtem Zustand nach Hause kamen. Selbst Führungskräfte bleiben bloß ein Jahr.

So sehr hat sich die Lage in wenigen Monaten verändert, dass, wer Ende 2007 da war, sich jetzt sagen lassen muss, er habe ja keine Ahnung, was abgehe. "Deichbruch" und "Deichbruchbunker" heißen die Alarmrufe im PRT Kundus, wenn das Lager mit Raketen oder Mörsergranaten beschossen wird. Vier- oder fünfmal hat es den "Deichbruch"-Ruf allein im August gegeben.

In 17 Kilo schweren Splitterschutzwesten sitzen die Journalisten je zu viert in "Fuchs"-Transportpanzern. Sie werden vom Kabuler Flughafen zum Isaf-Hauptquartier im Camp Warehouse gebracht. In der Kantine des Militärflughafens hatte eine US-amerikanische Blechbläserband das Essen untermalt. Launig wurde sie bejubelt.

Durch die zwei Luken des "Fuchs"-Panzers quillt jetzt der allgegenwärtige Staub so dicht, als würde er mutwillig hineingeblasen. Innen stehen die beiden Soldaten, die mit Waffe im Anschlag die Route sichern.

Nur durch das winzige Heckfenster dürfen die Journalisten etwas von Kabul sehen - wenn sie etwas sehen. Denn auch ihre Brillen mussten sie verstauen, was der Transportsoldat mit Ausführungen darüber garnierte, wie sich bei einem Anschlag splitternde Brillengläser in die Augen bohren. In der Mitte der Straße rast der Panzerkonvoi durch Kabul. Ganz genauso, wie es von "den Amis" gemacht wird.

"Wir wollen nicht stehen bleiben. Wenn wir stehen bleiben, das ist das Schlimmste, was uns passieren kann", sagt der Soldat. Denn dann könne sich jeder mit einem Sprengsatz nähern, wie er wolle. Die Familien von Unfallopfern werden von der Bundeswehr mit Geld entschädigt.

General Hans-Lothar Domröse, Chef des Stabes im Isaf-Hauptquartier, lässt den Kuchen - "vermutlich auch aus Dubai importiert" - verteilen, der vom kleinen Festakt morgens übrig geblieben ist. Da wurde die Verantwortung für die Kabuler Sicherheit von der Isaf an die afghanische Armee übergeben. "Es ist objektiv ruhiger und besser in Afghanistan, als Sie fühlen - vielleicht auch, als ich fühle", sagt Domröse. Gemessen daran, dass Isaf inzwischen 52.000 Soldaten umfasst, sei die Anzahl von Vorfällen pro Soldat "etwa gleichgeblieben". Nein, er wolle damit nicht sagen, dass demnach die Lage umso sicherer werden müsste, je weniger ausländische Soldaten im Lande seien. Aber wenn nun mehr Personal an mehr Checkpoints in mehr Ortschaften stünde - "da wehrt sich der Drogenhändler mit dem Kofferraum voll Opium auch mal."

Mehr Isaf-Soldaten will Domröse offensichtlich gar nicht. Vielmehr soll die afghanische Armee weiter aufgestockt werden - neues Ziel sind nun 122.000 Soldaten bis 2012, also gut das Doppelte des heutigen Stands. Die müssen freilich auch irgendwann einmal alle von der afghanischen Regierung bezahlt werden - und nicht mehr von der amerikanischen. "Die ANA ist unsere Rücktrittsversicherung", sagt Domröse - wenn die Armee steht, kann Isaf gehen.

Doch bevor Afghanistan auch nur in der Nähe dessen ist, was die internationale Gemeinschaft versprochen hat, müsse der Kampf gegen die Korruption gelingen und der Aufbau der Wirtschaft beginnen. Selbst Kabul habe nur ein paar Stunden Strom am Tag - "das ist ein bisschen popelig, was da bislang gelaufen ist", sagt Domröse. Die Wirtschaftsförderung "läuft nicht gut". Die afghanische Fluglinie etwa komme "nicht auf die Füße, weil alle mit eigenen Maschinen fliegen".

Was Domröse von der Regierung des afghanischen Präsidenten Hamid Karsai hält, lässt er nicht offen. Etwa für neue Gefängnisse seien "Riesensummen" geflossen - "die sind nie angekommen".

Es findet sich kaum jemand, der der Regierung Karsai ein glückliches Fortbestehen bei den Wahlen im kommenden Jahr wünscht. Die Wählerregistrierung beginnt in diesem Herbst. Es findet sich allerdings auch kaum jemand, der davon ausgeht, dass die Wahlen 2009 fair und demokratisch sein werden. "Sie reden also noch von ,Wahlen'", antwortet ein Offizieller auf eine Journalistenfrage. "Haben Sie den Eindruck, dass das ,Nation Building' funktioniert?", wird ein anderer gefragt. "Nö", sagt der. Auch der Bundeswehr sei klar, dass Afghanistan in Kabul und Rest, in Stadt und Land, in die Zonen der Kriegs- und Drogenfürsten zerfalle.

Im Bauch des Airbus der Bundeswehr, mit dem die Journalisten am Samstagabend nach Köln-Wahn zurückkehren, kehrt auch der Leichnam von Hauptfeldwebel Micha M. heim. Die Zeitungen in Deutschland haben an diesem Tag schon berichtet, dass es die Deutschen waren, die die Familie am Checkpoint beschossen haben.

Schon am Morgen darauf geht bei Kundus der nächste Sprengsatz unter einem Bundeswehrkonvoi hoch - dieses Mal hat die Patrouille Glück. Nur ein Wagen wird beschädigt.

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6 Kommentare

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  • JL
    Jakob Licht

    An Alois Stiegeler:

    warum unterstellen Sie mir, ich wollte den Frieden "herbeibomben"? Selbst die Bundeswehr "bombt" dort unten nicht, sie fliegt höchstens Aufklärungsflüge.

    Außerdem (wie ich bereits sagte): der Krieg im Irak ist die eine Sache, der Einsatz in Afghanistan eine komplett andere. Dort gab es nie einen funktionierenden Staat, der durch den Einmarsch fremder Truppen zerstört wurde (und das Land ins Chaos stürzte). Dort war nämlich schon Chaos - und brutale Unterdrückung.

    Also ist die Stationierung einer demokratischen Armee (keines Söldnerheeres), die den Wiederaufbau absichert, für mich kein Unterdrückung und auch keine Besatzung. Im Gegenteil, ich glaube, auch die Bevölkerung ist froh, daß sie jemand vor den Taliban beschützt (auch wenn die Stimmung kippt).

    Aber Sie weichen meiner Frage aus: was, bitteschön, soll die Alternative sein? Zivile Helfer OHNE Schutz?

  • A
    Alois.Stiegeler

    An meinen Vorredner Namens Licht:

    Was Sie sich wünschen, ist nicht das Problem. Mir wäre ein weltoffenes Afghanistan mit Frauenemanzipation und Demokratie auch lieber. Aber man kann es 1. nicht herbeibomben; 2. Das militärische Engagement des Westens macht die Taliban stark. Was schlussfolgern wir daraus? Noch mehr Militär? 3. Wenn der gesellschaftspolitische Zustand eines Landes Anlass für eine Militäraktion wird, haben wir längst das Völkerrrecht verlassen und viele Aufgaben am Hals. 4. Die terroristische Gefahr, die 2001 von Afghanistan in Richtung Westen ausging war der ANlass des militärischen Eingreifens. Inzwischen ist das Land in dieser Hinsicht keine Gefahr mehr für uns. Vielmehr hat es Bush geschafft, den Irak in diese "Situation" zu bringen.

  • JL
    Jakob Licht

    zu Jens Schlegel: "Dieser Artikel akzeptiert, dass verschiedene Länder die Macht in einem anderen Land übernommen haben. Er ignoriert, woher die Taliban kamen.." - die Taliban kamen daher, woher auch die Nazis kamen: aus dem Dunkel, aus der menschlichen Vorgeschichte, der Barbarei.

    Ich möchte nicht mit Menschen reden, die Frauen lebendig begraben - oder Schulkinder erschießen, nur weil sie lernen wollen. Diese Leute sind keine "Lösung", deswegen braucht man sich auch keine Illusionen zu machen, daß es besser wird, wenn die ISAF abzieht. Mit Sicherheit nicht.

    Die einzige Chance ist, den Leuten dort zu zeigen, daß man etwas Positives zustandebringt (was die Opfer unter der Zivilbevölkerung aufwiegen könnte); und damit ist man viel zu langsam. DAS ist das Problem, und deswegen verzweifeln die Leute. Weil nichts Positives zustandekommt.

  • W
    wernerinitaly

    Also, ich kann mir nicht helfen: ich kann die Afghanen einfach nicht als Feinde begreifen. Im Gegenteil stelle ich mir vor, was passieren würde stünde die vereinigte asiatische Armee an jedem Kontrollposten in Deutschland und kontrollierte vorbeikommende Einheimische - knallte ab und an auch mal einen davon ab...

    Da ginge wahrscheinlich auch noch dem letzten Gartenzwergfan das Messer in der Tasche auf und bei den Afghanen wird das auch nicht anders sein.

     

    Auch wenns den generälen nicht gefallen mag. aber nur ein paar mehr tote Soldaten - und zwar möglichst bald - werrden Deutschland auf den einzigen vernünftigen möglichen Weg zurückbringen und der ist: raus aus Afganistan. Eigentlich schade um die jungen Leute.

  • J
    Jingles

    huch, wann is die BW denn auf neonfarben umgestiegen?;)

  • JS
    Jens Schlegel

    "Mit Sicherheit nicht aus Absicht." Wer schwer bewaffnet in ein fremdes Land geht, Angst hat, umgebracht zu werden, der wird diese Waffe benutzen. Alles andere ist blauäugig!

     

    "Die Familien von Unfallopfern werden von der Bundeswehr mit Geld entschädigt." Ach so, dann ist ja alles gut, das Kind ist Krüppel, der Vater tot - aber die Familie bekommt was - 100€, 1000€, 10000€?

     

    Auf jeden Fall besser, als wenn ein Deutscher stirbt.

    Oder gar der Panzer kaputt geht. Soll die Bevölkerung sich doch auch eine 17 Kilo Splitterschutzweste kaufen.

     

    "Selbst Kabul habe nur ein paar Stunden Strom am Tag - "das ist ein bisschen popelig, was da bislang gelaufen ist", sagt Domröse." Haben sicher alles die Taliban zerstört, amerikanische Bomben treffen nur Feinde.

     

    Dieser Artikel akzeptiert, dass verschiedene Länder die Macht in einem anderen Land übernommen haben. Er ignoriert, woher die Taliban kamen. Ohne jeden Hinweis, ob aus dieser Situation eine andere Lösung wachsen kann. Eine reine Darstellung der Besatzersicht.

     

    Die Bundeswehr hat den Auftrag, Deutschland zu verteidigen und dass kann und darf nicht am Hindukusch geschehen.