Lesen und wegwerfen

Angriff auf Springers Boulevardblatt „Fakt“: Die neue Tageszeitung „Nowy Dzień“ will den polnischen Zeitungsmarkt aufmischen und mit Gute-Laune-Geschichten vor allem junge Leser abwerben

Aus Warschau Gabriele Lesser

Mit dem Neuen Tag beginnt in Polen eine neue Zeitrechnung. So jedenfalls will es der Medienkonzern Agora, der seit gestern die Zeitung Nowy Dzień herausgibt – mit einer Startauflage von knapp einer Million Exemplaren. Optimismus und gute Laune soll das Blatt verbreiten. „Die Leser haben eine ordentliche populäre Zeitung verdient, eine, für die sie sich nicht schämen müssen“, erklärt Chefredakteur Jerzy Wójcik. „Vielleicht ist das altmodisch, aber wir glauben, dass man mit Worten die Welt ändern kann.“

Mit diesem Anspruch will sich der Verlag Agora bewusst von den Boulevardzeitungen Super Express und dem Springer-Blatt Fakt absetzen, ähnlich wie das Flaggschiff des Verlages, die renommierte Gazeta Wyborcza. Ganz so ernst soll es im Nowy Dzień nicht zugehen. Im Werbespot für das Blatt wirbeln Zeitungsseiten in den winterblauen Himmel Warschaus. „Wozu brauchst du eine alte Zeitung?“, heißt es dazu, und die jungen Leute werfen die alten Blätter einfach in die Luft. „Lies die neueste Tageszeitung Polens. Sie hat alle Informationen, die dich interessieren. Aufregend und spannend wie nie zuvor!“

Nowy Dzień erscheint ohne Lokalausgaben. Die Zielgruppe sind 15- bis 34-jährige Leser in großen Städten, denen die seriösen Zeitungen zu ernst, die Boulevardzeitungen aber zu primitiv sind. Tatsächlich wirkt die Erstausgabe des Nowy Dzień eher wie ein ambitioniertes Anzeigenblatt. Polens neuer Präsident Lech Kaczyński erzählt von seinem Urlaub auf Sizilien, Stella McCartney stellt ihre neue Kollektion für junge Frauen vor, und Agnieszka Jaros vom Institut für Ernährung gibt Tipps gegen Grippe. Dazu: viel Werbung. Bei jungen Polen hat bislang das von Axel Springer vor zwei Jahren gestartete Fakt die Nase vorn.

Entscheidend ist allerdings der Preis. Mehr als einen Złoty (25 Cent) gibt die Zielgruppe für eine Zeitung nicht aus. Dies musste Fakt bereits erfahren. Als das Boulevardblatt in einigen Regionen mit dem Preis nach oben ging, brach dort prompt die Auflage ein. Die Käufer griffen wieder zum Super Express, der – gezwungen durch die Konkurrenz mit dem Springer-Blatt – seinen Preis ebenfalls auf einen Złoty senken musste.

Medienexperten in Polen sind skeptisch, ob das erfolgreiche Verlagshaus Agora auch mit seiner neuesten Investition aufs Siegertreppchen steigen wird. Zwar hat die Gazeta Wyborcza in diesem Jahr bereits einen Reingewinn von knapp 30 Millionen Euro erwirtschaftet, doch mit dem Neuen Tag greift Agora diesmal direkt den kapitalstarken Medienriesen Springer an. Das Bild-Pendant Fakt brauchte nach dem Start nur wenige Monate, um die bis dahin führende Gazeta Wyborcza abzuhängen. Mit einer verkauften Auflage von 493.000 Exemplaren täglich liegt Fakt auch im September in Führung. Doch die Auflage sinkt sein Monaten – und Gazeta Wyborcza holt auf. Im September verkaufte sie 462.000 Exemplare täglich, 30.000 weniger als der neue Marktführer.

Zwar bestreitet die Verlagsführung, dass der Neue Tag den beiden Boulevardzeitungen Polens Leser und Werbekunden abjagen will. Vielmehr handle es sich um ein „Blatt der Mitte“, mit dem man Leser erreichen wolle, die bisher keine Zeitung nach ihrem Geschmack auf dem polnischen Markt finden konnten. Doch schon kurz nach dem Start von Fakt hatte Agora zum Gegenangriff geblasen. Der Verlag wollte ein eigenes Boulevardblatt herausbringen, doch das Konzept überzeugte nicht, und der Plan verschwand in der Schublade – angeblich. Unter größter Geheimhaltung wurde jedoch weitergearbeitet.

Im polnischen Werbemarkt ist schließlich rund eine Milliarde Euro jährlich unter den Printmedien zu verteilen. Im vergangenen Jahr konnte sich die Gazeta Wyborcza mit knapp 180 Millionen Euro den Löwenanteil sichern. Fakt bekam gerade mal 20 Millionen ab. Davor lag noch der Super Express mit 23 Millionen und die seriöse Rzeczpospolita mit 37 Millionen. Der Markt ist heiß umkämpft. Gerüchten zufolge sind bereits fünf weitere Tageszeitungen geplant. Neben dem Nowy Dzień entwickle der Agora-Verlag angeblich noch zwei weitere überregionale Blätter. Auch Springer Polska sitzt wieder in den Startlöchern. Im nächsten Jahr, so heißt es, will der Verlag eine polnische Variante der Hamburger Welt auf den Markt bringen. Schon jetzt würden Nullnummern produziert.

Auch Michal Solowow, Eigentümer der Hauptstadtzeitung Życie Warszawy („Leben Warschaus“) und einer der reichsten Männer Polens, kündigte an, im Mai nächsten Jahres mit einer überregionalen Zeitung auf den Markt zu kommen. Dann würden 16 Blätter um Leser und Werbekunden konkurrieren. Welche Zeitungen die Leser dann inbrünstig von sich werfen, wird sich erst noch herausstellen.