Nicht mal der Knurrhahn knurrt

AUSSTELLUNG Der Schweizer Medienkünstler Hannes Rickli zeigt in der Schering Stiftung die Ausstellung „Fischen lauschen“. Man lernt aber mehr über Apparaturen und Technik als über das Unterwasser-Plaudern

Stattdessen höre ich Eisen klirren – leise im Rhythmus von Wellen, wie ein Blick auf den Bildschirm vermuten lässt

VON HELMUT HÖGE

Eine vornehme Adresse: Unter den Linden. Man muss klingeln, um in die Galerie der Schering Stiftung zu kommen. Sie dient nach eigenen Angaben „der Förderung von Wissenschaft und Kultur mit Fokus auf den Naturwissenschaften“. Der Raum für die Ausstellung ist abgedunkelt, an den Wänden leuchten kleine und große Bildschirme sowie eine Doppelprojektion.

In der Mitte steht ein Stahlgerüst für die Projektoren und Kabel. Eine Kunsthistorikerin erklärt einer Lehrerin das Projekt, derweil einige Schüler Schattenspiele vor der Projektionsleinwand veranstalten. Die beiden Frauen gehen von Bildschirm zu Bildschirm. Es sieht aus, als würde eine Aquariumsführerin von Becken zu Becken gehen, um einer interessierten Besucherin deren Inhalt zu erklären.

Der Inhalt, das ist in diesem Fall die postmoderne Kunst des Zürcher Medienkünstlers Hannes Rickli. „Fischen lauschen“ heißt die aktuelle Ausstellung in der Stiftung, die noch bis zum 23. März andauert. Man sieht und hört wenig in der Ausstellung, und doch vermittelt sie viel Wissen – häufig jedoch in Form von Technik. In dem Projekt hat der Schweizer Datenmaterial einer Forschungsstelle im norwegischen Spitzbergen gesammelt, welches das akustische und optische Geschehen im Wasser dokumentiert.

Technik statt Inhalt

Der langjährige Leiter des Aquariums im Deutschen Meeresmuseum Stralsund, Karl-Heinz Tschiesche, erforscht bereits seit Jahren die „Fischsprache“. Er hängt dazu nachts Mikrofone in die Becken. Sein Bericht „Seepferdchen, Kugelfisch und Krake“ ist ein schönes kleines Werk. Von Ricklis großer Mehrkanal- Audio-Videoinstallation kann man das leider nicht sagen. Hier hat die Technik sich gewissermaßen an die Stelle des Inhalts gesetzt, der Künstler als Content-Manager spricht dann auch nur von Daten, die übertragen werden – eben von Spitzbergen aus, genauer: von der nach dem Polarforscher Koldewey benannten Station im Ny Alesund.

Der verhaltensbiologische Forschungsstützpunkt ist eine Außenstelle der Biologischen Anstalt Helgoland, die ihrerseits ein Vorposten des Bremerhavener Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung in der Helmholtz-Gemeinschaft ist.

Christoph Hoffmann von der Biologischen Anstalt sagt zur Verhaltensforschung: „Das Interessante für mich ist zum einen der geisteswissenschaftliche Aspekt – mit dem Begriff der Kommunikation im Zentrum. Wenn Menschen kommunizieren, erkennt man das leicht. Bei Fischen von Kommunikation zu sprechen verlangt zum andern aber nach neuen Kriterien. Diese müssen zuerst definiert werden.“ Und er fährt fort: „Wir lernen dabei auch etwas über unsere eigenen Vorstellungen. Forschung an Tieren liefert oftmals den Anlass für Aussagen, was Menschen ausmacht. Auf einer weiteren Ebene spielt der Lebensrhythmus des Tieres eine Rolle. Das Ziel des Forschungsprojekts muss also mit dem Leben des Tieres zusammengebracht werden.“ In den Forschungsperioden werde, damit man nicht in das Leben der Tiere eingreift, während sieben Tagen einfach das ganze Geschehen, akustisch wie visuell, aufgezeichnet. So komme man zu riesigen Datenmengen. Auf einer dritte Ebene interessiere ihn der Umgang mit dieser Datenflut.

Auf Spitzbergen geht es der Helgoländer Arbeitsgruppe unter der Leitung des Fischökologen Philipp Fischer aber nicht um die akustischen Lebensäußerungen der arktischen Meerestiere, sondern um die Erforschung ihrer Habitate und Migrationen.

Um dafür die notwendigen konstanten Messreihen zu erhalten, wurde vor der Küste die Unterwasserstation RemOs installiert, die, mit Messsonden und Kameras bestückt, aktuelle Daten wie Stereometriebilder (Bilder zur Raumbeschaffenheit), Temperatur, Trübheit oder Salzgehalt des Wassers ans Festland sendet. Über Remote und Datenstreaming kann aus großer Distanz auf diese Daten zugegriffen werden. Der Künstler Rickli hat sie für seine „Schau“ in der Galerie der Schering Stiftung archiviert. Daneben waren aber vor der Küste von Spitzbergen auch noch sechs akustische Sensoren neben die Sonden der Fischforscher unter Wasser installiert. Davon kann man sich nun mit einem Kopfhörer überzeugen.

Ich erwarte mindestens Geräusche von einem Knurrhahn, der, na ja, wie der Name schon sagt … Stattdessen höre ich Eisen klirren – leise im Rhythmus von Wellen, wie ein Blick auf einen der Bildschirme vermuten lässt. Wahrscheinlich sind das die Trosse, an denen die Sonden hängen – und Ricklis Mikrofone. Auf den anderen Bildschirmen erkenne ich eine Bucht mit einer kleinen Siedlung – einmal nachts hell erleuchtet und einmal an einem grauen Tag. Im Sekundenrhythmus baut sich jeweils ein neues Bild auf und eine weitere Welle umspült einen merkwürdig geröteten runden Felsbrocken am Strand.

Kabeljaukrieg

Spitzbergen hat reiche Kohlevorkommen und gilt seit einiger Zeit als größtes Labor der Welt für die Arktisforschung. Zudem war oder ist es noch Zentrum des dritten sogenannten Kabeljaukriegs der Isländer, die die 200-Meilen-Zone der Norweger um Spitzbergen nicht akzeptieren. Da müsste es doch eigentlich genug Stimmen zum Lauschen geben. Dem ist jedoch nicht so.

Aber kann man das Rickli vorwerfen? Der die akustische Kommunikation ja nur als „Daten vielspurig synchron ausspielt und damit eine vielschichtige Gleichzeitigkeit einer tausend Kilometer entfernten Forschungsrealität in den Raum der Schering Stiftung Berlin transportiert“, wie es in einer Informationsbroschüre zur Ausstellung heißt. Der Projektemacher ist zuerst und zuletzt ein Rhetoriker.

Vielleicht wird dieser Aspekt ja bei einer Tagung am 01. und 02. März aufgegriffen, bei der dem Künstler mehrere Wissenschaftler zur Seite stehen. Bei der Veranstaltung im Einstein-Saal der Berlin-Brandenburgischen Akademie ist unter anderem der pensionierte Leiter des Berliner Max-Planck-Instituts für Wissenschaftsgeschichte, Hans-Jörg Rheinberger, zu Gast – er ist Übersetzer von Jacques Derrida und Jacques Lacan. Rheinberger bedauerte kürzlich erst, dass er sich während seiner zehnjährigen Tätigkeit in einem gentechnischen Labor nicht ein einziges Mal seinen Modellorganismus Bakterie unter dem Mikroskop angeschaut hat. Er spricht passenderweise zum Thema „Fragile Daten“. Ihm folgen am darauf folgenden Tag der Leiter der Helgoländer Station auf Spitzbergen, Philipp Fischer, und der wissenssoziologische Erforscher der Biologischen Anstalt Helgoland, Christoph Hoffmann. Der Schweizer Wissenschaftsforscher kommt aus den Geisteswissenschaften und widmet sich nun den Kommunikationswegen von Fischen. Beide sprechen zum Thema „Mit Daten umgehen“. Derzeit sieht es derweil danach aus, dass die Künstler in Berlin nun zu den Naturwissenschaftlern mit ihren Projekten kommen.

Die Biologie ist zur neuen Leitwissenschaft geworden, und dort konkurriert man – quasi darwinistisch gesinnt – um die knappe Ressource Aufmerksamkeit (und, das sei an dieser Stelle erwähnt, um Pharmagelder). In den Kulturwissenschaften spricht man bereits von einem Animal Turn. In dieser Hinsicht gibt die Ausstellung wie gesagt so gut wie nichts her. Eher ist sie eine gediegene Inspirationsquelle für die Mediamarkt-Kunden vom Alexanderplatz.

■ „Fischen lauschen“. Schering Stiftung, Unter den Linden 32–34. Mo. bis Sa. 11 bis 18 Uhr, Eintritt frei.