Standorte der Berliner Kreativwirtschaft: Kudamm ist am kreativsten
Jung, selbstbewusst und mittendrin - und dennoch außen vor: Erstmals untersucht eine Studie das "Standortverhalten" der Berliner Kreativwirtschaft. Dabei wird mit einigen Vorurteile aufgeräumt.
Ihre Aufträge erledigen sie am Macbook im Café, sie sind mobil, verdienen kaum Geld, machen aber ganze Stadtteile hip - so sieht das gängige Bild von den Kreativen in Berlin aus. Mit der Realität hat das aber wenig zu tun. "Man hat das Gefühl, sie ziehen um und stehen nie still", sagt Dietrich Henckel, Professor am Institut für Stadt- und Regionalplanung an der Technischen Universität Berlin. "Aber letztlich ist die Kreativindustrie eine ganz normale Branche." Henckel hat die erste Studie über die Berliner Kreativwirtschaft erstellt und am Mittwoch zusammen mit Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD) präsentiert.
Henckel befragte mehr als 9.000 Unternehmen zur Wahl ihres Standorts, zu Mietverhältnissen und Arbeitskultur. Zur kreativen Klasse zählt er allerdings nicht nur Designer, Architekten und Grafikbüros, sondern auch Verlage, Softwareentwickler und sogar Rechts- und Unternehmensberatungen. So verwundert auch nicht, dass der Kurfürstendamm laut Henckel mit 235 Firmen die kreativste Straße Berlins ist - vor der Friedrichstraße mit 150 und der Torstraße mit 74 ansässigen Unternehmen.
Wohin Kreative in der Stadt ziehen, ist je nach Unternehmen unterschiedlich. Designer siedeln sich bekanntermaßen am liebsten in Mitte, Prenzlauer Berg oder Kreuzberg an - die City West und die Gegend um den Potsdamer Platz hingegen ist weit weniger inspirierend. IT-Unternehmen dagegen sind zwar auch in der östlichen Innenstadt zu finden, vor allem in der Oberbaum-City rund um die Rotherstraße, aber auch außerhalb der Stadt: zum Beispiel am Borsigturm in Tegel, in Adlershof oder an der Allee der Kosmonauten in Marzahn.
Dass aber die kreative Klasse die Bezirke hip machen und dann weiterziehen würde, wenn die Mieten stiegen - diese These konnte Henckel nicht belegen. Immerhin sei gut ein Drittel der befragten Unternehmen noch kein einziges Mal umgezogen. Auch breche die Karawane an Meinungsmachern, Trendsettern und Raumpionieren nicht in bisher unentdeckte Gefilde der Stadt auf.
Eher sind es immer neue Galerien, Designerläden oder Architektenbüros, die sich neue Standorte erschließen, wie derzeit im Norden Neuköllns zu beobachten ist. Genauso räumt die Studie mit dem Klischee des bei der Arbeit Latte Macchiato schlürfenden digitalen Bohemiens auf: 77 Prozent der Teilnehmer der Onlineumfrage gaben an, nie im Café zu arbeiten.
In Auftrag gegeben haben die Studie das Immobilienunternehmen ORCO, das im vergangenen Jahr die städtische Wohnungsbaugesellschaft GSG und damit auch jede Menge Wohn- und Arbeitsraum für Kreative übernommen hat, sowie die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. "Wir möchten erreichen, dass Kunst nicht brotlos bleibt", begründet Stadtentwicklungssenatorin Junge-Reyer das Interesse ihrer Verwaltung an der Kreativwirtschaft.
Doch die Forderungen der Kreativen zu erfüllen dürfte eher Aufgabe ihres Kollegen, Wirtschaftssenator Harald Wolf, sein: Über die Hälfte der Teilnehmer wünscht sich mehr finanzielle Förderung. Denn bisher fallen viele nicht in die Kategorie der Förderwürdigen, weil ihre Unternehmen schlicht zu klein und ihr Umsatz zu gering ist.
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