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Kolumne In FußballlandDas Ende der Bruddler

Warum eigentlich gibt es im Stadion immer weniger Pöbler und Meckerer?

Neulich habe ich mir in dem Moment die Frage stellen müssen, ob die Menschen inzwischen eigentlich besserer Dinge sind oder ob die Leute mit schlechter Laune nicht mehr zum Fußball gehen, als auf der Haupttribüne des Bochumer Stadions einer mit rotfleckigen Backen "Koller raus" brüllte und "Du Arschloch" hinterherzischte. Das machte er einige Male so, doch in der Forderung nach der Entlassung des Trainers drückte sich nicht nur das Missfallen mit der Spielweise des VfL Bochum aus, sondern unüberhörbar auch allgemeine Unbill über alles in der Welt.

So hatte ich das lange nicht gehört, obwohl doch die unten auf dem Rasen auch deshalb dem Ball hinterherrennen, damit oben auf den Rängen die unüberhörbare Minderheit der Schlechtgelaunten ihren existenziellen Groll ablassen kann. Schließlich stellen sich Kicker und Trainer dankenswerterweise in den Dienst der guten Sache, der Abfuhr von allerlei Misshelligkeiten des Publikums zu dienen.

Neben den Beleidigungen und Verwünschungen, die sich Fanblocks über den Platz hinweg an den Kopf werfen, hat es deshalb in den Stadien immer auch die Figur des singulären Pöblers gegeben, der mit der Eintrittskarte das Recht erworben zu haben glaubt, sich im Laufe der neunzig Minuten etwas Luft zu verschaffen. Vor allem fand man ihn - und es waren meistens Männer mittleren bis fortgeschrittenen Alters, die ohne Begleitung gekommen waren (wer geht schon gerne mit einem, der die ganze Zeit meckert) - bei weniger erfolgreichen Klubs.

Diese eigneten sich besser als Seriensieger, weil für den Meckerkopp nichts schlimmer ist als Tempo, Tricks und tolle Tore. Ein Fest hingegen ist ihm ödes Gekicke, Niederlagenserien und miese Stimmung. Dann hat er genug Anlass zu schimpfen und seine Beleidigungen gehen auch nicht im Getöse der Menge unter. Schließlich soll man seine garstigen Zwischenrufe durchaus hören. "Der hat doch nur einen Kopf, damit kein Wasser in den Hals läuft", ist eine feine Beleidigung, die aber einen Resonanzraum braucht. Am besten ist es, wenn der Spieler selber sie noch mitbekommt. Der Bochumer Profi Thorsten Legat, so weiß sein ehemaliger Trainer Hermann Gerland zu erzählen, hätte früher bei Heimspielen zumeist vor lauter Angst in der Halbzeit schlechter gespielt, in der er vor den besonders niederträchtigen Beleidigern spielte, die auf der Gegentribüne ihr Unwesen trieben.

Den Meckerkopp darf man daher auch nicht mit dem enttäuschten Fan verwechseln, der seine Spieler eigentlich liebt, aber dessen Zuneigung durch schlechte Leistungen gekränkt ist. Der Schlechtgelaunte hingegen braucht das Spiel, weil es ihn in seiner negativen Weltsicht bestätigt. Er ist zutiefst Misanthrop. Fußballspieler und Trainer sind nur Zielscheiben für seinen Menschenhass.

Der ehemalige Zweitligist Fortuna Köln hatte auf seinen früher spärlich besetzten Rängen erstaunlich viele Grantler und Bruddler versammelt. Offensichtlich lud der Klub in seiner andauernden Zweitklassigkeit im mental stets erstklassigen Köln zu Motzereien ein, wie sie sich der bienenfleißige, aber nicht überaus talentierte Andreas Brandts oft anhören musste. "Brandts, mach du doch den Einwurf, oder kannst du das auch nicht", war ein Zwischenruf, der mit besonders viel Gelächter bedacht wurde. Mich beeindruckte, dass Brandts den Ball trotzdem unfallfrei ins Spielfeld zu werfen vermochte.

Insgesamt haben die gehässigen Maulereien im Stadion jedoch dramatisch abgenommen, obwohl ich zugleich kaum glauben mag, dass die Zahl der Tieffrustrierten geringer geworden sein soll.

Ist beim Profifußball also der Kulturwandel bereits so weit vorangeschritten, dass dort nicht einmal Platz für den Übellaunigen ist? Ist jetzt alles nur noch Spaß? Wenn das so wäre, dann dürfte Bochum das Eiland der Unseligen sein, was, wer will, als eine Form von Traditionspflege sehen kann.

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