„Es soll einem die Augen herauskrallen“

DOKUMENTARFILM Regisseurin Anja Salomonowitz kommt mit einem neuen Film zum Forum: „Die 727 Tage ohne Karamo“ thematisiert die massiven Schwierigkeiten binationaler Paare mit den österreichischen Behörden: Die Betroffenen erzählen diesmal selbst

■ Die 36-Jährige studierte an der Wiener Filmakademie und der Hochschule für Film und Fernsehen Konrad Wolf in Babelsberg. Ihre Doku-Filme erhielten mehrfach Auszeichnungen, etwa den Caligari-Filmpreis bei der Berlinale 2007 und den Outstanding Artist Award des österreichischen Ministeriums für Kunst und Kultur 2010.

INTERVIEW DOMINIK KAMALZADEH

In Österreich bewegen sich binationale verheiratete Paare, von denen ein Teil aus einem nichteuropäischen Land stammt, durch einen kaum zu bewältigenden bürokratischen Dschungel. Oft scheitern die Beziehungen im aufreibenden Kampf gegen das Ausländerrecht. Anja Salomonowitz begleitet in ihrem Film „Die 727 Tage ohne Karamo“ 20 solche Paare. Wie schon in ihren bisherigen Arbeiten wählt die Filmemacherin dafür einen konsequent konzeptuellen Zugang: In stark komponierten Tableaus, aus denen nicht nur die Farbe Gelb hervorsticht, sondern in denen mitunter auch Geräusche überdeutlich zu hören sind, folgt sie ihren Protagonisten auf einer Odyssee durch die Behörden. Erzählt wird die immer gleiche Geschichte – aus dem Mund vieler.

taz: Frau Salomonowitz, „Die 727 Tage ohne Karamo“ arbeitet stärker mit Gefühlen und Menschen als „Kurz davor ist es passiert“ (2006), Ihr preisgekrönter Dokumentarfilm über Frauenhandel. Warum war es Ihnen diesmal so wichtig, die Protagonisten selbst im Bild zu haben, sich emotional zu engagieren?

Anja Salomonowitz: Für mich ist der Film die Advanced-Version von „Kurz davor ist es passiert“. Ich versuche zwar auch hier, die Struktur einer Geschichte freizulegen, aber gleichzeitig bekommen die Menschen mehr Gewicht. Es gibt einen inszenierten Rahmen, in dem sich die Spuren der Menschen finden: Was sie sagen und fühlen ist immer echt. Das finde ich wunderschön. Während der Interviews hab ich mich teilweise wahnsinnig geärgert. Da werden aufgrund der Gesetzeslage Familien zerrissen, auch solche mit Schwangeren und kleinen Kindern. Ich wollte, dass sich jeder ärgert, der diesen Film sieht.

Es gibt 20 Protagonisten, die die Ähnlichkeit ihrer Situation verbindet. Wie haben Sie dieses Konzept entwickelt?

Bei jedem neuen Casting haben sich ständig dieselben Geschichten wiederholt, unabhängig von Milieu, Bildungsgrad etc. Alle haben mit denselben Hindernissen zu kämpfen. Man kann sich da nicht herauskaufen, nicht mit Anwälten dagegen ankämpfen. Da lernen sich zwei Menschen kennen, im Afrikadorf oder in der Disco, sie beschließen, zu heiraten, und glauben, dass die Probleme damit aufhören. Aber dann fangen sie erst an. All diese Geschichten haben neuralgische Stellen, die ich herausarbeiten wollte, indem ich sie durch ein Kollektiv erzählen lasse.

Wie sind Sie bei der Recherche vorgegangen?

Der Film war eigentlich als Nachfolgefilm von „Kurz davor ist es passiert“ gedacht. Er hatte dabei das Pech, bei Förderstellen immer abwechselnd angenommen und abgelehnt zu werden. Ich habe mit einer NGO zusammengearbeitet, „Ehe ohne Grenzen“. Im Lauf der Jahre haben wir sicher 150 Paare interviewt, und ich wollte viele Menschen im Film vorkommen lassen, um die Masse von Betroffenen zu zeigen. Dann haben wir nach passenden Momenten gesucht: Die Hochzeit etwa, die ich zeige, ist real, nicht nachgestellt. Die Menschen sollten sich immer genau in der jeweiligen Situation befinden – das war Bedingung.

Die Settings sind also unterschiedlich stark inszeniert?

Bei der Hochzeit haben wir nur bei der Gestaltung geholfen. Ich habe die Leute immer ein paar Wochen im Alltag begleitet und daraus dann Szenen entworfen. Susi hat mir etwa erzählt, dass sie mit ihrem Kind jeden Tag rechnen übt. Irgendwann hat sie mir gesagt, wie lange ihr Mann Karamo schon weg ist. Dabei ist mir schon die Idee gekommen, das zu verbinden: Ich lasse sie die Dauer von Karamos Abwesenheit ausrechnen. Ich liebe aber auch die Szenen, in denen jemand ganz aus dem Rahmen der Situation herausfällt.

Warum ist der Film so gelb geworden?

Mir ist von Anfang an aufgefallen, wie mutig diese Leute sind – deshalb wollte ich ihnen eine Farbe geben, die etwas Trotziges hat, die knallig und ungewöhnlich wirkt, aber auch sonnig und fröhlich. Es soll einem die Augen herauskrallen und Sehgewohnheiten noch einmal verschieben. Ich wollte jedes Jammern vermeiden, der Film sollte stark und mutig wirken. Es sollte auch eine Farbe sein, die in den Räumen der Menschen vorkommt. Wir haben vielfach nur das verstärkt, was schon da war.

Der Staat verhält sich wie ein Dritter, ein Nebenbuhler oder Neider, der ständig eingreift.

Ja, in diesen Geschichten kollidieren Liebe und freier Wille mit dem Gesetz. Ich wollte den Film so aufbauen, dass man in die einzelnen Fälle hineinschlittert, dass man erlebt, wie diese Menschen ständig mehr tun müssen, um zusammenleben zu können. Oft ist es dann so, dass die Paare sich am Ende trennen, weil der Druck einfach zu hoch ist.

Der Film macht diesen Druck sehr anschaulich – meinen Sie das mit „hineinschlittern“?

Genau, man erfährt die Dinge Schritt für Schritt. Die Wörter formieren sich wie zu einem Rap, sie haben einen ganz bestimmten Rhythmus; wir haben im Schnitt darauf geachtet, dass der Film etwas sehr Musikalisches bekommt. Ich wollte den Druck, der auf den Menschen lastet, auch über das Sounddesign, über das Hervorheben bestimmter Geräusche, herausarbeiten.

Warum haben Sie darauf verzichtet, die Gegenseite, etwa einen Beamten, zu Wort kommen zu lassen?

Ich wollte nicht, dass das Problem an einer Person hängen bleibt. Das Ganze hat ja etwas Diffuses – es ist ein wenig so, wie wenn man bei einem Mobilfunkunternehmen anruft, aber niemand verantwortlich ist. Aber man kann die Verantwortung auch nicht auf eine Person schieben. Außerdem wollte ich die Menschen ihre Geschichte selbst erzählen lassen und sicherstellen, dass niemand sie unterbricht.

Als Advocatus Diaboli könnte man natürlich sagen: Diese Gesetze sind da, um Scheinehen zu verhindern. Warum haben Sie kein Beispiel für einen solchen Fall?

Lustig, dass Sie das fragen. Am Anfang des Projekts stand die Idee, lauter Scheinehen-Geschichten zu erzählen – also solche, in denen jemand eine andere Person durch eine Scheinehe gerettet hat. Ich habe mich dann aber dafür entschieden, von Menschen zu erzählen, die sich tatsächlich lieben, um mich filmisch einzuschränken. Aber mich darf man zu Scheinehen ohnehin nicht fragen – ich finde die ja super.

■ 8. 2., 19 Uhr, Delphi; 9. 2., 22 Uhr, CinemaxX; 11. 2., 12.30 Uhr, Arsenal; 15. 2., 19 Uhr, CineStar