Kolumne Parallelgesellschaft: Der Morgen danach

Der Präsident im Wartestand und die Hoffenden: ein Projekt mit Missverständnissen.

Schon in der Nacht der Auszählung, aus zeitverschoben europäischer Sicht gesprochen, gab es ja manche, die unkten: Na, jetzt haben wir ihn alle gewählt - unsereins hat ja quasi rund um die Uhr so empfunden, als stünden wir selbst als Aufpasser an den Stimmzettelurnen -, aber das wird ja schon wieder nix. So gewaltig habe doch Barack Obama gar nicht gewonnen, nur wenige Prozent trennten ihn am Ende vom Kriegsveteranen und seiner Eishockeymama. Man darf hinter dieser Haltung gern das vermuten, was schon Walter Benjamin vor 80 Jahren als These in die Welt hob: Die Linke mag nur eines mehr als das Gewinnen - das Verlieren. Sie liebe die Niederlage, denn erst in ihr spüre sie sich als im Staub liegende Menschheit, die von den Übermächtigen an der Auferstehung gehindert werde. Der Philosoph nannte diesen Gemütszustand melancholisch, und der Unterschied zur Trauer sei, dass man aus einer Melancholie nicht zu handeln imstande sei, sie grundiere, ins Depressive gehend, alles andere.

Nun sind ja längst Sandkörner im Getriebe der Obamanie. Die Gleichen, die in Kalifornien den Popstar aus Chicago wählten, watschten die Homos ab - ihre Bürgerrechte wurden beschnitten: Die Liebe homosexueller Paare ist von der Mehrheit en passent entwertet worden. Klar, der Kampf geht weiter, und es hat ja, was die Rassismusfrage in den USA anbetrifft, fast Jahrhunderte gedauert, ehe auf den Trümmern von Onkel Toms Hütte ein Weißes Haus errichtet werden konnte. Die Homos und ihre Rechte kommen eben später dran, andere mussten sich ja auch gedulden, möchte man sagen. Wobei es schwer fällt, im Moment monströser Enttäuschung einen auf Geschichtsphilosophie zu machen - so von wegen: Der gute Lauf der Dinge wirds richten. In Kalifornien jedenfalls gab es, ungern gehört von den Linken Europas, Unruhen, Empörung und Wut.

Schätzungsweise wird die noch weiter wachsen, denn die neue Regierung wird wahrscheinlich klug genug sein, jetzt keinem linksradikal anmutenden Programm Zucker überzuziehen: Man will schließlich nicht wie Clinton und die Seinen vor knapp 16 Jahren so ins Böse straucheln, dass schon in Bälde wieder die Bush-Erben ans Ruder kommen können. Man wird auf Moderates halten und nicht gleich alles im Hier und Jetzt sofort erledigen können.

Die Fantasie könnte doch auch in eine solche Richtung gehen. Erst einmal, beinah unabhängig von Projekten und ob diese schnell ins Werk gesetzt werden, darf man sich freuen. Was die USA, ach was: Amerika, vor gut einer Woche zelebrierte, war wirklich bewegend. Wer die erlösenden Tränen von Afroamerikanern sentimental fand, hat entweder kein Herz oder die Macht des Rassismus nie verstanden. Das ist schon eine Menge für sich. Ähnliche Hoffnungen wie Obama verkörperte in Deutschland zuletzt Willy Brandt - 1969 sollte endlich die Party losgehen. Schluss mit Muff und Erstickungsnot.

Es waren diverse Umstände, die sie verhagelten, auch Linke trugen zu ihnen bei. Es war alles nicht eigentlich genug, nicht heilsbringend im Wahren. Dass die graswurzeligen Campaigner Brandts 1969 aus ihrer Enttäuschung zehn Jahre später eine Partei namens die Grünen gründeten, darf als späte Genugtuung verstanden werden. Quasi: ein Projekt, in dem der moralische Überschuss der Besondersgutmeinenden landete.

Was Obama stiftete, wird nicht verloren gehen, schätze ich. Es geht doch nie etwas verloren. Und es ist, religiös fast empfunden, so etwas wie Saat gelegt worden. Vor ihr haben all die biederen Eishockeymütter, Pietisten, Biedersinnigen und Bush-Adepten noch mehr Furcht als vor dem Gewählten selbst. Sie ahnen: Amerika ist jetzt anders. Diese Saat könnte sprießen und blühen. Sie kommt cool daher und hoffentlich nicht allzu besserwisserisch im Verhältnis zu den aktuell Minderheitlichen. Sie mögen sich zügeln, Hochmut kommt vor dem Fall, nicht wahr.

Der Kampf geht, auch an all den Morgen danach, weiter, immer, heilungslos. Die Welt bleibt immer unfertig.

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Einst: Postbote, Möbelverkäufer, Versicherungskartensortierer, Verlagskaufmann in spe, Zeitungsausträger, Autor und Säzzer verschiedener linker Medien, etwa "Arbeiterkampf" und "Moderne Zeiten", Volo bei der taz in Hamburg - seit 1996 in Berlin bei der taz, zunächst in der Meinungsredaktion, dann im Inlandsressort, schließlich Entwicklung und Aufbau des Wochenendmagazin taz mag von 1997 bis 2009. Seither Kurator des taz lab, des taz-Kongresses in Berlin,und des taz Talks, sonst mit Hingabe Autor und Interview besonders für die taz am Wochenende. Interessen: Vergangenheitspolitik seit 1945, Popularkulturen aller Arten, besonders des Eurovision Song Contest, politische Analyse zu LGBTI*-Fragen sowie zu Fragen der Mittelschichtskritik. RB Leipzig-Fan, aktuell auch noch Bayer-Leverkusen-affin. Und er ist seit 2011 mit dem in Hamburg lebenden Historiker Rainer Nicolaysen in einer Eingetragenen Lebenspartnerschaft, seit 2018 mit ihm verheiratet. Lebensmotto: Da geht noch was!

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