Kommentar Dialog EU-Russland: Schluss mit Kuscheln

Moskau liefert zwar Gas, aber ohne den Handelspartner EU gingen in Russland über kurz oder lang die Lichter aus. Zeit für eine Neueinschätzung der eigenen Kräfte.

Kurz vor dem Gipfel am Freitag in Nizza sendet Russland ein Signal der Entspannung: In einem Interview mit der französischen Zeitung Le Figaro bot der russische Präsident Dmitri Medwedjew eine Partnerschaft mit Europa "in allen Bereichen" an. Zudem sei Russland dazu bereit, auf die Stationierung von Kurzstreckenraketen des Typs "Ikkander" in Kaliningrad zu verzichten, wenn die USA ihre Stationierungspläne für die Raketenabwehr in Polen und Tschechien aufgäben.

Im Gegensatz zur Europäischen Union ist Russland auf ein neues Partnerschaftsabkommen nicht sonderlich erpicht. Die EU möchte vor allem, dass Energielieferant Russland sich vertraglich im Rahmen einer Energiecharta enger verpflichtet und den heimischen Energiemarkt öffnet. Am liebsten wäre es der EU, wenn sich bei der Kooperation in den "gemeinsamen Räumen" (Wirtschaft, Sicherheit, Recht, Demokratie, äußere Sicherheit, Kultur und Bildung) alles en détail regeln ließe.

Russland lehnt dies ab. Man könne auch mit dem alten Vertrag weiterleben, der sich verlängert, wenn kein neues Abkommen das alte ersetzt, lautete lange Zeit die russische Position. Von der Wertegemeinschaft, die im Abkommen von 1997 noch angestrebt wurde, hat sich Russlands "souveräne Demokratie" längst verabschiedet.

Zwar will auch Russland einen neuen Vertrag, dieser soll aber weder politische Forderungen enthalten noch zu Demokratie gemahnen. Auch die gegenseitigen Verpflichtungen möchte man recht unverbindlich halten. Ein neues Vertragswerk sollte Russland als gleichberechtigtem Partner Reverenz erweisen.

Seit dem letzten EU-Russlandgipfel im Juni haben sich die Rahmenbedingungen jedoch verschoben. Durch den Krieg gegen Georgien verhalf Russland der EU nolens volens zu einer einheitlicheren Stimme im Umgang mit dem Problemnachbarn. Alleingänge auf bilateraler Ebene, mit denen Russland eine gemeinsame EU-Politik unterlief, sind nicht mehr so einfach zu bewerkstelligen. Auch die Sensibilität für die Energieabhängigkeit ist in der EU gewachsen, ebenso die Bereitschaft, sich nach Alternativen umzuschauen. Überdies sinkt der Ölpreis, auf dem das russische Wirtschaftswunder beruhte und der die Großmachtsphantasien speiste. Vielleicht bewegt dies die russische Regierung zu einer moderateren Haltung gegenüber dem Westen und einer realistischeren Einschätzung der eigenen Kräfte.

Spitzt sich die wirtschaftliche Lage auch angesichts der Finanzkrise zu, wird Russland versucht sein, den antiwestlichen Kurs noch zu verschärfen. Innenpolitisch muss der Westen ohnehin als identitätsstiftendes Feindbild herhalten. Je weniger der Staat den Bürgern materiell bieten kann, desto rigider dürfte die ideologische Abgrenzung ausfallen.

Eine engere Kooperation zwischen der EU und Russland bei der Krisenbewältigung kann Moskau daher vor schlimmeren Folgen bewahren. Die Störmanöver aus dem Osten werden dadurch nicht unterbunden. Dabei ist die EU wirtschaftlich, technologisch und demografisch im Vergleich zu Russland ein Schwergewicht, das über ein 15faches Bruttoinlandsprodukt verfügt. Russland liefert Europa zwar Gas, ohne die EU als wichtigstem Handelspartner gingen in Russland über kurz oder lang aber die Lichter aus.

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Jahrgang 1956, Osteuroparedakteur taz, Korrespondent Moskau und GUS 1990, Studium FU Berlin und Essex/GB Politik, Philosophie, Politische Psychologie.

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