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Anti-Atomkraft-TatortGorleben ist ein Krimi

Mit der "Salzleiche" (So., 20.15 Uhr) gelingt der ARD ein Anti- Atomkraft-"Tatort", bei dem nur die Aktivisten verblüffend alt aussehen. Die Story vereint gekonnt aktuelle Politik mit Pulp Fiction.

Kommissarin Lindholm (Maria Furtwängler) blickt auf die endgelagerte Leiche. Bild: ndr/nik konietzny/carles carabi

So war das mit dem Endlager wohl nicht gemeint: In den Salzhalden über dem Erkundungsschacht Gorleben liegt die Leiche des schon lang verschollenen Security-Mitarbeiters; sie ist eigentlich recht appetitlich anzuschauen. "Der Mann wurde gewissermaßen gepökelt", sagt der Polizist vor Ort.

Ein sonderbarer Kosmos ist das, in den Kommissarin Lindholm (Maria Furtwängler) ihre jüngsten Ermittlungen führen. In Gorleben kreist alles um die Gretchenfrage: Wie hältst du es mit dem Endlager? "Hier ist man dafür oder dagegen", stellt der örtliche Polizeihauptmeister Jakob Halder (Matthias Bundschuh) klar. Er selbst hat einst seine spätere Frau von den Schienen entfernt, auf denen sie gegen den Castor-Transport demonstrierte. Die Atomfrage, hier spaltet sie - oder schweißt unauflöslich zusammen.

Die Kommissarin aus dem ziemlich fernen Hannover fühlt sich den Menschen in Gorleben verbunden. Schließlich hatte sie einst als Tochter einer politisch bewegten Mutter ebenfalls für die "Republik Freies Wendland" gekämpft. Zum Beweis reicht sie Kinderfotos rum: "Süß, oder?" Doch mit dem Nostalgiegeplänkel will kein Einheimischer etwas zu tun haben: Zwischen politischem Widerstand und Paranoia bleibt kein Platz für Erinnerungsschnappschüsse.

Es ist ein punktgenaues Gesellschaftsbild, dass Regisseurin Christiane Balthasar hier vorlegt. Viel Platz räumt sie dem monströs verdichteten Politkonflikt in so einem so kleinen Ort wie Gorleben ein. Schade nur, dass die unterschiedlichen Figuren zum Großteil wie Relikte einer vergangenen Ära wirken. Junge Menschen, so wie man sie in großer Zahl bei den Demos des letzten Wochenendes sah, gibt es hier nicht mehr. Stattdessen stößt Ermittlerin Lindholm auf knorrig-wortkarge Veteranen im Kampf gegen den Castor - die Selbsterneuerung der Anti-AKW-Bewegung bleibt außen vor. Vielleicht sollte dieser "Tatort" einen Anstoß zu einer breiteren Diskussion geben - die sich nun in den letzten Monaten von selbst eingestellt hat.

Balthasar ist so oder so eine der risikofreudigsten Krimi-Regisseurinnen des Landes; immer wieder gelingt es ihr, dringliche gesellschaftspolitische Themen mit praller Pulp Fiction zu verknüpfen. So wie unlängst in der ZDF-Produktion "Fürchte dich nicht", einem feministischen Militärkrimi, in dem es um Psychopharmaka und Waffen ging. Im aktuellen Anti-Atomkraft-Tatort (Buch: Johannes W. Betz und Max Eipp) konfrontiert sie ihre Heldin nun während eines Undercover-Trips nach Barcelona mit der internationalen Nuklear-Mafia.

Trotz solcher gewagten Zuspitzung wird dabei nicht die Chance verspielt, mal ganz nüchtern das umkämpfte atomare Zwischen- und Endlager zu inspizieren. Mit dem Leiter der Betreibergesellschaft düst Kommissarin Lindholm gleich zu Anfang durchs Erkundungsbergwerk und hört sich Lobreden auf die Salzstollen an: "Was das Salz mal umschlossen hat", so der Chefgeologe sakral, "das gibt es nicht wieder her." Eine Leiche, freigelegt im Salz, ist da natürlich eine denkbar schlechte Werbung für ein zukünftiges Endlager - so wie übrigens dieser Politkrimi insgesamt.

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