Was Subventionspolitik für Bauern bedeutet: Zwei Bauern gegen Brüssel

Dienstag beraten die EU-Agrarminister über die Subventionspolitik. Biobauer Kai-Holger Dech könnte davon profitieren. Sein Kollege vom Großbetrieb in der Nachbarschaft befürchtet Einschnitte.

Eine Kuh wird im Schnitt vier Jahre alt, dann wird sie geschlachtet. Aber vorher gibt sie Milch, viel Milch. : dpa

So wird aus einem schlanken Mann mit blondem Zopf ein Bauer: Er zieht sich Thermohosen über die Jogginghose, einen Pulli übers T-Shirt, noch einen, noch einen, eine Jacke und eine Weste. Stiefel, und fertig. Kai-Holger Dech ist Biobauer in Hohenauen im Havelland, ganz im Norden, wo im Herbst Kraniche wohnen. Die Dechs, Kai, seine Frau Christine und ihre vier Kinder, wohnen schon seit 1989 hier. Die Wende hat sie aus dem südlichen Brandenburg zurück auf den Hof ihrer Großeltern gespült, sie haben ihn zurückgekauft, und dann gleich eine Kuh, zum Melkenüben. Der damals 25-Jährige mit dem abgebrochenen Wirtschaftsstudium und seine Frau, eine junge Wirtschaftsinformatikerin, haben einiges ausprobiert. Einen Kinderbauernhof, einen Reiterhof. Schließlich sind sie beim Gemüse gelandet, und ein paar Milchkühen.

Heute bewirtschaften sie 135 Hektar Land und sind Mitglied bei Demeter. Milch, Kohl und Kartoffeln liefern sie an einen Berliner Großhändler, an Händler auf Berliner Wochenmärkten und an den Lieferservice Märkische Kiste. Für ihren Spitz-, Rot- und Blumenkohl bekommen sie gute Preise. "Wir wirtschaften längst nicht mehr in einer Nische", sagt Christine Dech. Auch der Milchpreis sei mit 46 Cent pro Kilogramm in Ordnung.

Die Debatten um Milchquoten oder Subventionskürzungen verfolgen die Dechs zwar genau: "Weil es ungerecht ist, dass Riesenbetriebe viel Geld bekommen, obwohl sie vergleichsweise wenig Leute beschäftigen." Aber ihm persönlich sei das "völlig schnuppe", sagt der Bauer. Er wolle runter "von dem Zeug", und meint damit die Subventionen, die Anträge, die Kontrollen.

Rund 50.000 Euro bekommt er jährlich von der EU, Prämien für Flächen und aus Ökolandbauprogrammen sowie Ausgleichszahlungen dafür, dass viele seiner Flächen im Naturschutzgebiet liegen und nur extensiv bewirtschaftet werden können. Etwa 20 Prozent seines Umsatzes machten die Subventionen aus, es wird aber immer weniger. Und als Perspektive "will ich von dem leben, was ich hier anbaue". sagt er. Also packt er Donnerstagabend Lauch und Kohl in grüne Kisten, um sie Freitagmorgen nach Berlin zu fahren.

Seine Kisten lagert er an seinem Kuhstall, einem hölzernen Giebelbau. Der Stall ist leer, bis Weihnachten sind seine 30 Rinder tagsüber noch auf der Weide, erst abends lassen sie sich drinnen im Stroh nieder. Etwa sechs Jahre lang gibt sein Allgäuer Braunvieh Milch, dann werden die Kühe geschlachtet. Mit ihrem Mist düngen die Dechs ihre Felder, auf denen zwei bis drei Jahre Kleegras wachsen, danach Kohl, dann ein anderes Gemüse oder Kartoffeln - und im vierten Jahr geht es mit Getreide und Kleesaat von vorne los. "Ich könnte nicht mit einer Düngespritze über mein Land laufen", sagt Dech.

In den 80er Jahren hat er sich mit Gorbatschow beschäftigt, mit dem neuen Denken, mit dem, was in der DDR mit der Umwelt geschehen sei. "Seitdem will ich Sachen machen, die Sinn ergeben", sagt der 43-Jährige. Seinen Boden mal in Ruhe zu lassen, gehört dazu, aber auch Hecken pflanzen, wenn darin seltene Vögel brüten. Das will die Kommission in Brüssel künftig belohnen.

Für Amtsdirektor Gerd Jendretzky ein großer Quatsch. Der kleine Mann im dunklen Anzug sitzt elf Kilometer weiter nördlich von Dechs Hof in Rhinow in seinem Büro und regt sich auf. Über die wirklichkeitsfernen Bürokraten in Brüssel und Berlin, die nicht wissen, wie die Gegend hier funktioniert. Im Gegensatz zu ihm, der schon zu DDR-Zeiten Bürgermeister in einem Dörfchen in der Nähe war. Hier hält man zusammen, eine Hand wäscht die andere, "und ohne die Agrargenossenschaften geht doch sowieso nichts". Sie sind die größten Arbeitgeber weit und breit. "Wer beschäftigt denn sonst noch 40, 50 Leute?"

Diesen großen Betrieben Geld zu streichen, um es in die Entwicklung des ländlichen Raumes umzuleiten, also zu ihm, was soll das denn? Lange überlegt er, was er mit zusätzlichem Geld machen könnte. "Den Mittelstand fördern", sagt er schließlich. Der Mittelstand in Rhinow, das sind drei Frisöre, zwei Bäcker und ein Supermarkt, 1.800 Einwohner leben noch in dem Örtchen, 500 weniger als 1990.

Wolle man die Region beleben, müsse man diejenigen unterstützen, die noch hier seien. Wie zum Beispiel die Agrargenossenschaften. "Jungs wie dem Ebert Mittel streichen?" Da kann er nur den Kopf schütteln.

Zwei Kilometer westlich von Rhinow. Hinter dem Schreibtisch von Detlef Ebert hängt das Porträt einer Kuh. Sie blickt von der holzvertäfelten Wand auf einen Sperrholzschreibtisch herunter, auf eine Zimmerpalme, auf einen Computer und auf den Geschäftsführer der Agrargenossenschaft Stölln.

Ebert ist Herr über 1.700 Hektar Land, 1.900 Rinder und Chef von 42 Mitarbeitern. Sein Unternehmen produziert jährlich rund acht Millionen Kilogramm Milch und erwirtschaftet damit einen Bruttoumsatz zwischen vier und fünf Millionen Euro. Mit anderen Worten: Ebert führt einen riesigen Bauernhof, hervorgegangen aus einer noch größeren LPG der DDR. Landwirt sei er aus Leidenschaft, sagt er, aber er sei natürlich auch Manager. "Man muss seine Kennziffern kennen", sagt er, "dann braucht man auch keine Angst vor dem Markt zu haben." Ebert sieht nicht aus wie einer, der leicht Angst kriegt. Besorgt ist er aber derzeit schon. Stapelweise informieren ihn Faxe des Bauernverbandes über die Zumutungen, die Ebert in der nächsten Woche aus Brüssel erwarten. Dort, im fernen Westen, wollen die Agrarminister am Donnerstag eine Art "Zwischenreform" der EU-Landwirtschaftspolitik beschließen und sie bis ins Jahr 2015 hin regeln. Die Idee: Zahlungen an die Landwirte sollen an Leistungen etwa im Klima- oder Naturschutz gebunden werden. Und weniger Geld soll direkt an die Bauern gehen, dafür mehr in die Förderung des ländlichen Raumes.

Der ländliche Raum ist im Havelland leicht hügelig, auf sandigem Boden wächst vor allem Gras. "Gründlandwirtschaft", sagt Ebert. Er ist im Nachbarort geboren und zur Schule gegangen, hat zu DDR-Zeiten auf der örtlichen LPG gearbeitet und ist, auf Umwegen, vor acht Jahren wieder in dem Schuppen mit den Sperrholzmöbeln gelandet, in dem sein Büro untergebracht ist.

In seinem Kuhstall stehen 920 Milchkühe unter einem Wellblechdach. "Außen DDR, innen Hightech", sagt Ebert. Auf den Betonspaltenböden, durch die Kuhfladen flutschen und als Gülle im grünen Silo landen, liegen Gummimatten. Die Liegeflächen sind mit Sägespänen und desinfizierendem Kalkpulver bestreut. Still sind die fast 1.000 Tiere, und beinahe geruchlos. "Unsere Kühe haben es bequem." Sonst würde nicht jede, vermutet der 45-Jährige, im Schnitt 10.000 Kilogramm Milch im Jahr geben.

Es ist 13 Uhr, Mittagszeit, Melkzeit. Die Kuhherde gerät in Bewegung, langsam. Die Kühe steigen eine Rampe herauf, eine nach der anderen tritt in einen schmalen Ständer. Die Tiere sind auf ein Melkkarussell geklettert, ein Melker wischt ihre Euter ab, jede Kuh mit einem eigenen Lappen, und steckt das Melkgerät auf die Zitzen. Dabei dreht die Kuh langsam auf dem Karussell im Kreis, in zwölf Minuten ist sie einmal herumgefahren, leer gemolken und kann rückwärts aussteigen. Bis zu 240 Holstein-Friesian werden so pro Stunde gemolken. "Zwei Laktationsperioden halten sie durch", erläutert Ebert. Das heißt, eine Kuh wird etwa vier Jahre alt. Sie seien genetisch darauf gepolt, alles in die Milch zu stecken, da bleibe keine Kraft zur Regeneration. Wird eine Kuh nicht mehr tragend, "scheidet sie aus dem Betrieb aus". Sie wird geschlachtet.

Doch vorher gibt sie Milch, viel Milch. "Wir könnten ohne weitere Investitionen in Technik zehn Millionen Tonnen erzeugen", sagt Ebert stolz. Wenn nur die lästige Milchquote nicht wäre. Die behindere expansionswillige Landwirte schon sehr, sagt der Hausherr, die Hände in den Hosentaschen. Der Plan der Brüsseler Kommission, die Milchquoten Jahr für Jahr zu steigern und schließlich, 2015, ganz wegfallen zu lassen, findet er vernünftig. Weniger Milch auf den Markt bringen, um die Preise künstlich zu verknappen? Um weniger zu produzieren, hätte er nicht in die millionenschwere Melkanlage investieren müssen, nicht in den Ausbau des Stalles. Höhere Preise für den Liter Milch? Der Verbraucher zahle nicht mehr. Die Lösung sei doch einfach: Er produziert so viel Milch, wie er kann, verkauft sie an die Molkerei für den Preis, den der Markt vorgibt. Und was seiner Genossenschaft am Ende fehlt, zahlt Brüssel aus einem Milchfonds.

Für den wird in dieser Woche auch Landwirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) streiten. Bisher berechnen sich die Subventionen aus Brüssel nach der Größe des Hofes. Über 620.000 Euro hat die Stöllner-Agrargenossenschaft im vergangenen Jahr bekommen. Dass Brüssel bei den Großbetrieben kürzen will - "ohne die Zahl der Arbeitsplätze zu berücksichtigen" - findet Ebert ungerecht. Bis zu 22 Prozent weniger könnte er perspektivisch erhalten. "Dann müssen wir nach Überlebensstrategien suchen", sagt er.

"Überlebensstrategie", das Wort würden Christine und Kai Dech wohl nie benutzen. Vielleicht eher eine "Lebensstrategie" für sich, ihre Kinder und ihren Hof. "Ich hab Angst davor, dass hier mal jemand mit Gentechnik ankommt", sagt Kai-Holger Dech, "aber doch nicht davor, dass mir Brüssel Geld kürzt."

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