Plebiszit über Cannabis-Konsum: Schweizer stimmen übers Kiffen ab
Am Sonntag stimmt die Schweiz über die Straffreiheit des Cannabis-Konsums ab. Sie könnte das erste Land der Welt werden, das die vor 60 Jahren eingeführte Hanf-Prohibition abschafft.
Die Bundesverfassung wird wie folgt geändert: Art. 105a (neu) Hanf
1. Der Konsum psychoaktiver Substanzen der Hanfpflanze sowie ihr Besitz und Erwerb für den Eigenbedarf sind straffrei.
2. Der Anbau von psychoaktivem Hanf für den Eigenbedarf ist straffrei.
3. Der Bund erlässt Vorschriften über Anbau, Herstellung, Ein- und Ausfuhr von sowie Handel mit psychoaktiven Substanzen der Hanfpflanze.
4. Der Bund stellt durch geeignete Massnahmen sicher, dass dem Jugendschutz angemessen Rechnung getragen wird. Werbung für psychoaktive Substanzen der Hanfpflanze sowie Werbung für den Umgang mit diesen Substanzen sind verboten.
Während der Alkohol-Prohibition in den 1920er-Jahren mussten Farmer in den USA um ihre Apfelbäume fürchten. Weil aus Äpfeln Cidre hergestellt werden konnte, waren Apfelbäume dem Reich des Bösen zugeschlagen und wurden bisweilen gnadenlos gefällt. Zehn Jahre später waren Alkohol und Äpfel wieder o. k., nun stand eine andere Feldfrucht in der Schusslinie: Die Blüten der Hanfpflanze wurden als "Marihuana" und "gefährlichste Droge der Menschheit verboten.
Die kurzzeitig beschäftigungslosen Prohibitionsbehörden wurden dem "Federal Bureau of Narcotics untergliedert und mit Harry J. Anslinger der erste "Drogenzar" der USA installiert. Ein Zug aus einer Marihuana-Zigarette macht Menschen zu wahnsinnigen Mördern und animiert vor allem Schwarze, über weiße Frauen herzufallen, mit solcher Propaganda überzog Anslinger das Land und - nachdem man ihn 1948 in das neue Drogendezernat der UNO weggelobt hatte - den Rest der Welt. Wäre die UNO 20 Jahre früher gegründet worden, hätte dies möglicherweise zu einer globalen Apfelbaum-Verfolgung geführt, so aber wurde nun die Hanf-Prohibition in den internationalen Gesetzen festgeschrieben.
Dort hält sie sich nun seit über 60 Jahren, mit demselben Effekt wie die sehr viel kürzer währende Alkoholprohibition: Der Konsum sinkt nicht, sondern steigt - und damit auch die Profite der organisierten Kriminalität. Doch wo immer ein Land aus der gesellschafts- und gesundheitspolitisch kontraproduktiven Prohibition auszuscheren droht, stehen Anslingers Erben drohend und warnend auf der Matte. So auch dieser Tage in der Schweiz, wo die EidgenossInnen am 30. November aufgerufen sind, über die Legalisierung von Hanf abzustimmen. Vor einigen Monaten sagten Umfragen für die Volksinitiative "Für eine vernünftige Hanf-Politik mit wirksamem Jugendschutz" noch ein eine knappe Mehrheit - 45 bis 42 Prozent - voraus, mittlerweile gehen die Prognosen deutlich in die andere Richtung. Grund dafür sind unter anderem Propagandakampagnen wie die der rechtsnationalen SVP, die auf Großplakaten auf dem Kopf eines Jungen einen Apfel zeigt, der von einer Injektionsspritze durchbohrt ist: "Ist das die Zukunft unserer Kinder ? - Freigabe von Cannabis, Revision des Betäubungsmittelgesetzes - Zweimal Nein!"
Bei dieser Revision, die neben der Cannabis-Legalisierung am Sonntag ebenfalls abgestimmt wird, soll im Schweizer Gesetz die Abgabe von Heroin festgeschrieben werden, jene "Fixerstübli", die von den Schweizer Behörden Anfang der 1990er eingerichtet wurden, um der Suchtproblematik und der Straßenkriminalität Herr zu werden. Trotz massiver internationaler Proteste vor allem aus den USA zog die Schweiz damals diesen Modellversuch durch, der jetzt gesetzlich verankert werden soll. Weil sowohl die Zahl der "Herointoten als auch die Kriminalitätsrate damit deutlich gesenkt werden und viele der Suchtkranken wieder in ein weitgehend normales Leben integriert werden konnten, ist diese schadensmindernde Heroinpolitik mittlerweile von zahlreichen Ländern kopiert worden. Dass so ausgerechnet ein traditionsbewusstes, bürgerliches Land wie die Schweiz zum Vorreiter einer fortschrittlichen Drogenpolitik wurde, hat nichts mit Ideologie, sondern schlicht damit zu tun, dass diese Politik funktioniert.
Das würde sie - da sind sich die Unterstützer der Hanfinitiative bei den Schweizer Grünen, der SP und der FDP sicher - auch in Sachen Cannabis, denn Jugend- und Gesundheitsschutz werden durch eine Legalisierung gefördert. In der Tat zeigen europaweite Untersuchungen schon jetzt, dass von problematischem Drogenkonsum und den Folgen am stärksten jene Länder betroffen sind, die die repressivsten Gesetze haben. Eine vergleichende Studie des UN-Drogenkontrollprogramms kam vor einigen Jahren zu einem ähnlichen Ergebnis: Obwohl in den USA 78 Prozent aller Nutzer illegaler Drogen Cannabis konsumieren, tragen sie nur zu 12 Prozent des Gesamtumsatzes des Drogenmarkts bei, 88 Prozent der Drogenumsätze werden mit Heroin und Kokain erzielt. In Holland hingegen sieht das Verhältnis ganz anders aus: Nur 40 Prozent entfallen auf die Pulverdrogen, 60 Prozent des Drogenumsatzes wird mit Hanf erzielt. Das heißt im Klartext: Je härter die Repression, desto mehr werden hard drugs zum Renner und desto mehr Geld kann auf diesem lukrativen Markt erzielt werden. Wer also die Prohibition von Cannabis auch weiter für richtig hält, fördert damit nicht nur die härteren Sachen, sondern vor allem den Profit der Mafia, der organisierten Kriminalität und des Terrorismus.
Wie bei jeder Debatte über das Reizthema Cannabis kommen auch jetzt in der Schweiz wieder die ältesten Klamotten ("Einstiegsdroge") aus der Prohibitionskiste, wobei die SVP mit dem martialischen Einheiz-Cocktail von Hanf, Spritze und Wilhelm Tell nur die Spitze des Eisbergs markiert. Zu den neueren, aber ebenso falschen Argumenten gehört dabei auch das Gerede vom "Turbogras", das mit dem guten alten Stoff der Hippiezeit nicht mehr vergleichbar sei. Wahr daran ist nur, dass in den vergangen Jahrzehnten tatsächlich Hanfsorten mit einem THC-Gehalt von 20 Prozent gezüchtet wurden, mehr als doppelt so viel Wirkstoff wie in handelsüblichem Haschisch oder Marihuana. Tatsächlich spielen diese Sorten mit einem Marktanteil von unter 2 Prozent aber kaum eine Rolle. Als Schreckgespenst taugen sie aber ebenso wie die schon seit Anslingers Zeiten immer wieder aufgewärmten von den schweren Gesundheitsschäden, die Cannabis angeblich verursacht. Dass in der gesamten Medizingeschichte kein Todesfall durch Cannabis bekannt ist und man sich mit jedem Kraut aus dem Gewürzregal eher vergiften kann als mit Hanf, wird dabei in der Regel nicht erwähnt. Stattdessen erhält der kleine Prozentsatz von problematischen Cannabiskonsumenten, die von ihren Psychosen und Persönlichkeitsstörungen berichten, in Talkshows und Magazinen überproportionale Sendezeit - begleitet von geschäftstüchtigen Therapeuten, die über die steigende Nachfrage nach ihren Therapien berichten. Die ist indessen kein Wunder, denn da Cannabis keine körperliche Abhängigkeit erzeugt, gab es solche Therapien bis vor einigen Jahren gar nicht.
Auch die Tatsache, dass der Cannabiskonsum insgesamt seit Jahrzehnten steigt und das Einstiegsalter der Jugendlichen ebenso stetig sinkt - der offensichtliche Beweis, dass Verbote nicht zur Prävention taugen -, wird absurderweise als Argument für die Fortsetzung der Prohibition angeführt. Befürchtet wird, dass die Legalisierung des Kiffens einen "Dammbruch bedeutet - und zu Schlimmerem führt. Doch der Damm ist längst gebrochen, die Politik der Prohibition ist seit Jahrzehnten gescheitert, definitiv und in jeder Hinsicht, außer in einer: Sie ist ein großes Geschäft.
Die USA als Erfinder der Prohibition sind heute nicht zufällig sowohl Weltmarktführer beim Konsum illegaler Drogen als auch beim Einsperren von Bürgern. Für die privatisierte und börsennotierte Gefängnis-Industrie stellen die herrschenden Drogengesetze eine entscheidende Geschäftsgrundlage dar, knapp ein Viertel ihrer "Kunden" sitzt wegen Drogen, weshalb die Lobbygruppe "Association of Prisonguards" mittlerweile zu den größten Wahlkampfspendern zählt, die für beide Parteien spenden. Auch in Deutschland ist die Drogenverfolgung ein Milliardengeschäft, allein die Kosten der Cannabisrepression (Polizei, Zoll, Justiz, Vollzug) werden auf 1 Milliarde Euro pro Jahr geschätzt. Nach einer Untersuchung der europäischen Drogenbeobachtungsstelle Lissabon nimmt die Bundesrepublik den Spitzenplatz bei den Aufwendungen für die Verfolgung von Drogen ein und bildet mit nur 16 Prozent des staatlichen Drogenbudgets für Prävention, Therapie und Schadensminimierung das europäische Schlusslicht. Die Schweiz, die in dieser Hinsicht schon deutlich besser dasteht, würde mit einem Ja zur kontrollierten Hanflegalisierung endgültig zum globalen Pionier einer rationalen, schadensminimierenden Drogen- und Gesundheitspolitik.
Wenn dann auch noch der Finanzminister sinkende Repressionskosten, schwindende Schwarzmarktumsätze und wachsende Steuereinahmen konstatiert - was könnte den Rest der Welt dann in ein paar Jahren noch abhalten, dieses Modell zu übernehmen? Liebe Schweizerinnen und Schweizer: Das mit den Bonbons war ja schon ganz gut, aber mit der Abstimmung über die Hanflegalisierung könnt ihr ewigen Weltruhm erringen; "Wer hats erfunden?"
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