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Falschmeldungen inbegriffenTwitter-Gewitter

In 140 Zeichen kurzen Botschaften berichteten Augenzeugen von den Anschlägen in Mumbai, sogar "CNN" und "BBC" zitierten die Twitter-Nutzer. Die Geburt eines neuen Mediums?

Mumbai ist zur Zeit eines der Trendthemen auf Twitter. Bild: screenshot/twitter

Wer den Kurznachrichtendienst Twitter zum ersten Mal betrachtet, empfindet das Angebot oft als leidlich selbstbezogen: Mehrere Millionen Nutzer teilen hier in jeweils 140 Zeichen langen Botschaften alles von sich selbst mit, was sie für relevant halten - vom aktuell verspeisten Frühstück über den Link zum neuesten Gadget bis hin zur aktuellen Gemütslage. Und trotzdem: Längst entwickelt sich das Angebot zum Massenphänomen, schickt sich als "Microblogging" an, längere Internet-Formate wie Netztagebücher zu ersetzen, weil die Verwendung so einfach ist. Nahezu jeder kann überall lostwittern: Software fürs Handy sowie eine SMS-Schnittstelle machen es leicht, ständig mit der Welt in Kontakt zu bleiben, 140 Zeichen pro Textaussendung.

Während der Terroranschläge im indischen Mumbai in der vergangenen Woche konnte man noch eine weitere Entwicklung beobachten: Twitter wurde zum Nachrichtenmedium mit Informationen Betroffener. "Ich sitze in meiner Wohnung fest, während draußen Schüsse fallen", hieß es da zum Beispiel, oder "ich habe wirklich Angst". Twitter-Autoren und ihre Leser, die so genannten Follower, informierten sich gegenseitig über die aktuelle Lage, machten sich Mut und leisteten einander Beistand. In Verbindung mit anderen Web 2.0-Diensten wie dem Fotodienst Flickr, auf dem innerhalb von Minuten erste Bilder vom Chaos in den Straßen der 13-Millionen-Stadt auftauchten, ergab sich ein intensives Bild aus erster Hand. Professionelle Medien nutzten die Internet-Kanäle schnell, brachten Twitter-Botschaften und Amateuraufnamen ins TV. Indische TV-Sender wie "CNN IBN" trieben die Nicht-Profi-Berichterstattung mit so genannten Bürgerreportern (Citizen Journalists, CJs) auf die Spitze, die mit Handys unterwegs waren, eigene Beiträge lieferten und Stimmungsbilder einsammelten.

Was sich bei den Anschlägen allerdings auch zeigte, war dies: Trotz ihres Aufstiegs als neue Nachrichtenkanäle kämpfen Angebote wie Twitter mit dem Grundproblem der Nachprüfbarkeit, ähnlich wie das bei anderen von Amateuren verfassten Medien der Fall sein kann. Schreibt eine Online-Zeitung Quatsch, lässt sich dem Redakteur zumindest per E-Mail auf die Finger hauen; bei Twitter fehlt hingegen oft das Impressum, höchstens ein Link zur Homepage des Verfassers ist eventuell angegeben. Entsprechend medienkompetent sollte man die Beiträge auch bewerten - was einige US-Nachrichtensender bei den Ereignissen in Mumbai nur teilweise taten, einiges wurde einfach so weitergereicht. So gerüchtelte es unter Twitter-Nutzern zwischenzeitlich, auch ein weiteres Luxushotel sei neben Taj und Oberoi von den Terroristen angegriffen worden, was sich schnell als Ente herausstellte. Zudem ließ sich nicht immer erkennen, ob sich ein Nutzer tatsächlich vor Ort befand oder Meldungen anderer Nutzer einfach nur weitergab.

Sind dem Nutzer solche Defizite bekannt und baut er Vertrauen zu den Bürgerberichterstattern auf, können Twitter und Co. aber nur gewinnen. Nichts ist intensiver und authentischer als Worte von Menschen, die etwas gerade selbst erleben. Das 140-Zeichen-Format eignet sich dabei erstaunlich gut für die Vermittlung von Stimmungslagen und Gefühlen. Twitter-Gründer Biz Stone wundert das nicht, wurde der Dienst doch einst auch mit dem Gedanken aufgebaut, als Notfallmedium zu dienen. Das funktioniert inzwischen auch deshalb gut, weil die Firma aus San Francisco in den letzten Monaten ihre Infrastruktur deutlich ausgebaut hat. Fiel der Dienst früher bereits aus, wenn Nutzer von Geek-Massenereignissen wie dem letzten Event des iPhone-Herstellers Apple berichteten, zeigt sich Twitter nun auch in Extremsituationen wie der von Mumbai gerüstet. Apropos Extremsituationen: Vor kurzem nutzte ein chinesischer Bürgerjournalist Twitter dazu, vom Vorgehen der Behörden gegen ihn live zu berichten, weil die Beamten in Zivil ihm sein Handy noch nicht abgenommen hatten. Der Kurznachrichtendienst half dabei, Öffentlichkeit zu schaffen.

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