Kolumne In Fußballland: Die Seele lebt

Christoph Biermann weint vielen alten Arenen keine Träne nach, das Bökelberg-Stadion vermisst er dafür umso mehr.

Ein wenig enttäuscht war ich schon, nachdem ich am Glockenturm der St.-Elisabeth-Kirche von Eicken rechts abgebogen war und auf die Stelle zufuhr, an der früher die Geschäftsstelle von Borussia Mönchengladbach und der Zugang zum Kabinentrakt des Bökelberg-Stadions war. Ich hatte erwartet, dass man etwas mehr Phantasie entwickeln müsste, um die steile Nordtribüne dahinter wieder erstehen zu lassen. Doch obwohl das Stadion längst völlig abgetragen ist, war alles sofort wieder da: das Trippeln der Stollen auf dem Weg zum Platz, die Gesänge der Fans, die Erinnerung an große Spiele und ganz alltägliche.

Auf der alten Mittellinie des früher für Regenfälle so anfälligen Rasens verläuft heute die Straße "In der Kull". Doch existiert von ihr bislang nicht mehr als ein Straßenschild, die Andeutung einer Parzellierung von Grundstücken und die Ankündigung, dass auf dem Gelände bald die Wohnsiedlung "Am Bökelberg" entstehen soll. Weil aber noch kein Bau begonnen hat, sieht es auf dem Gelände eines der legendärsten deutschen Stadien immer noch so aus wie früher - außer dass es nicht mehr dort steht.

In England gibt es einen Kult um die "Lost Grounds", seit in den letzten anderthalb Jahrzehnten dort viele der alten Fußballstandorte aufgegeben wurden. Weil zur Finanzierung der neuen Stadien der wertvolle innerstädtische Grundbesitz der alten verkauft wurde, änderte sich dort nicht nur die Bebauung, sondern auch der Ort. Meist entstanden am Rand der Städte die neuen Stadien, die sich allerorten so ähneln, wie sie sich früher unterschieden hatten. Waren die alten ein Flickenteppich der Tribünenbauten, sind die neuen homogen und austauschbar.

In Deutschland ist der Bökelberg in Mönchengladbach einer der wenigen "Lost Grounds". Sonst sind in den letzten drei Jahrzehnten nur zwei Stadien verschwunden, die mehr als nur lokale oder regionale Bedeutung hatten, beide standen in Berlin. Auf dem Platz am Gesundbrunnen wurde 1974 zum letzten Mal ein Punktspiel ausgetragen, als Hertha BSC schon längst kein Klub aus dem Wedding mehr war, sondern einer aus West-Berlin. Im Osten überlebte das Stadion der Weltjugend, wo seit 1975 die DDR-Pokalendspiele stattgefunden hatten, die Wende nicht und wurde 2000 abgerissen.

Dass an seiner Stelle inzwischen die Zentrale des Bundesnachrichtendienstes entsteht, ist für alle eine schöne Pointe der Geschichte, die dort mal ein DDR-Pokalendspiel gesehen haben. An solchen Tagen waren die Grenz- und Sicherungskräfte besonders nervös, weil die Mauer nur ein paar Schritte entfernt vom Stadion lag und Massen eben nicht zu kalkulieren sind. 1986 sah ich dabei zu, wie die Fans von Union Berlin die Gereiztheit zu spüren bekamen. Unten auf dem Rasen wurde ihre Mannschaft vom FC Karl-Marx-Stadt mit 5:1 verprügelt, und als sie sich oben auf den Rängen aufmüpfig zeigten, bekamen sie von den Stasi-Ordnern in den weinroten Trainingsanzügen des SC Dynamo was auf die Mütze.

Eine ziemlich traurige Veranstaltung war das, weshalb das Verschwinden des Stadions der Weltjugend bei mir keine Sentimentalität weckt. Das gilt auch für die überbauten Arenen der alten Bundesrepublik, ob das Niedersachsenstadion in Hannover, das Müngersdorfer Stadion in Köln, das Volksparkstadion in Hamburg, Rheinstadion in Düsseldorf oder Waldstadion in Frankfurt. Sie alle wurden durch Bauten ersetzt, die in fast jeder Hinsicht besser sind als ihre Vorgänger - sieht man von der Namengebung ab.

Da ist nichts verloren, sondern viel gewonnen, nur der Bökelberg ist "lost". Ich jedenfalls bin auch viereinhalb Jahre nach dem Umzug der Borussia noch nicht in der zugige Blechbüchse auf freiem Feld angekommen, die Stadion im Borussen-Park heißt. Wenn man an der Bökelstraße steht und auf die Leerstelle schaut, dann kommt es mir so vor, als ob die Seele des Stadions diesen Ort nicht verlassen hat.

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