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Kommentar Pro PendlerpauschaleEntlastung für Arbeitnehmer

Kommentar von Richard Rother

Die Fahrt zur Arbeit ist kein Privatvergnügen. Folglich müssen die Kosten dafür auch von der Steuer absetzbar sein.

W ie richtig die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes ist, die Pendlerpauschale zu erhalten, zeigt ein Beispiel aus dem Leben: Seit November ist klar, dass die Telekom mehr als 30 Callcenter schließt; betroffene ArbeitnehmerInnen müssen in andere Telefonzentren pendeln - oder für sich und ihre Familien einen neuen Lebensmittelpunkt suchen. So bleibt etwa das Augsburger Callcenter bestehen, das in Ulm und München wird geschlossen; Bielefeld wird erhalten, Detmold und Osnabrück machen dicht; Frankfurt (Oder) bleibt, Berlin nicht.

Die große Koalition, allen voran der knausernde Finanzminister Peer Steinbrück (SPD), hatte mit der prinzipiellen Abschaffung der Pendlerpauschale unterstellt: Wege zur Arbeit sind reines Privatvergnügen, die Kosten dafür sollten nicht von der Steuer absetzbar sein. Diesen Unfug - niemand fährt aus Spaß zur Arbeit - hat das Bundesverfassungsgericht zurückgewiesen. Für Millionen Pendler ist das ein gutes Urteil, sie können mit Steuernachzahlungen von 2,5 Milliarden Euro jährlich rechnen - ein kleines Konjunkturprogramm.

Arbeitnehmern wird eine immer größere Mobilität abverlangt. Dass der Staat dies steuerpolitisch unterstützt, ist nicht nur familienpolitisch sinnvoll, sondern auch volkswirtschaftlich. Denn die zusätzliche Mobilität führt zu mehr Flexibilität - Unternehmen und ihre Beschäftigten können schneller auf Marktänderungen reagieren, was die Grundlage für Erfolg und damit auch Steuereinnahmen schafft. Auch regionalpolitisch ist das sinnvoll: Abgelegene Regionen, zum Beispiel in Ostdeutschland oder im ehemaligen Grenzgebiet, sind ökonomisch nur lebensfähig, wenn ihre Bewohner in weiter entfernte Gebiete pendeln.

Eines stimmt aber auch: Die Pendlerpauschale fördert die Zersiedelung der Landschaft, wenn Familien ins vermeintlich grüne Umland der Städte abwandern. Dieser Wahnsinn, der überflüssigen Verkehr erzeugt, kann mit vielen anderen Maßnahmen bekämpft werden: indem lebenswerte Innenstädte geschaffen werden oder auf neue Straßen verzichtet wird - vor allem aber durch restriktive Vorgaben an Gemeinden, nicht überall neues Bauland auszuweisen.

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Redakteur für Wirtschaft und Umwelt
Geboren 1969 in Ost-Berlin. Studium an der FU Berlin. Bei der taz seit 1999, zunächst im Berliner Lokalteil. Schwerpunkte sind Verkehrs- und Unternehmenspolitik.
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2 Kommentare

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  • JA
    Jon Arbuckle

    Horst, wer lesen kann ist klar im Vorteil!! Wieso soll der Arbeiter denn nicht direkt neben seinem Werk wohnen. Da sprechen doch mehr Gründe dafür (kürzerer Arbeitsweg - dadurch weniger Kosten, Infrastruktur muss nicht erst geschaffen werden, sondern findet sich direkt vor ort, als dagegen. Ich komme aus einer Arbeiterfamilie direkt aus Bochum, weiß also wovon ich spreche. Mittlerweile gibt es genügend aktive und passive Schutzmaßnhamen, welche die Anwohner solcher Werke vor gesundheitsschädlichen Emmissionen schützen können. Vielleich wäre ein wenig Reflektion Deinerseits angebracht. Und als Argument ein Fallbeispiel aus dem sekundären Sektor heranzuziehen macht die Sache auch nicht leichter - der stellt ja schon lange nicht mehr die meisten Arbeitskräft, nech?? -

     

    Die These, dass die Pendlerpauschale die Zersiedlung fördert, ist schon lange keine Mutmaßung mehr.

     

    Der Kommentar von Richard Rother lässt mich ein wenig umdenken. Ich möchte allerdings anmerken, dass für eine lebenswerte Gestaltung und Revitalisierung der Städte eben aufgrund von Maßnahmen, wie der Pendlerpauschale, das Geld fehlt (vgl. Kommunale Selbstverwaltung/Steuerhoheit der Kommunen).

     

    Durch die negativen Impulse der Pauschale müssen im suburbanen und ländlichen Raum sehr(!) teure, neue Infrastrukturen geschaffen werden, während den Kommunen, durch den Wegzug der Arbeitnehmer, wichtige Steuergelder entzogen werden. Eben diese werden für Investitionen in den Bestand (Aufwertung und Instandhaltung von Infrastrukturen) dringend benötigt.

     

    Für ausreichend restriktive Vorgaben müsste wohl das Grundgesetz abgeändert werden (siehe: Art. 28 Abs. 2 GG)…

  • H
    Horst

    Interessante These, daß die Pendlerpauschale die Zersiedelung fördert, weil die Menschen somit aus den Städten heraus zögen. Dem liegt wohl zu die Annahme zu Grunde, daß die meisten Arbeitsplätze in den Innenstädten lägen. So denkt wohl nur jemand, der Arbeit aus eigener Anschauung nicht kennt, außer das er die Bedienung in seiner Stammkneipe wahrnimmt.

     

    Was ist mit den Industriegebieten, den Gewerbeflächen, den landwirtschaflichen Produktionsflächen? Meint der Kommentator ernsthaft, die Werker bei ThyssenKrupp sollten neben dem Werkstor ihrer Stahlhütte wohnen?

     

    Bitte weniger Agitation und mehr Reflektion!