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Streit über Reservat in BrasilienKleiner Sieg für Indigenas

Der Landeskonflikt um das Reservat Raposa/Serra do Sol könnte ab 2009 beigelegt werden. Doch Wirtschaftsinteressen dürften auch künftig wichtiger sein als die Rechte der Indigenas.

Könnten bald Recht bekommen: Koruba-Indigenas protestieren vor dem Gerichtsgebäude in Brasília. Bild: ap

Carlos Ayres Britto war begeistert: "Mit unserer Entscheidung wird Brasilien in den Spiegel der Geschichte blicken können, ohne vor Scham zu erröten", sagte der Bundesrichter am Mittwochnachmittag. "Es wird seine Würde zurückerlangen und die Indianer als liebe Freunde behandeln."

Just am Tag der Menschenrechte stand das Oberste Bundesgericht nach genau 31 Jahren erbitterten, manchmal tödlichen Streits um das 17.000 Quadratkilometer große Indígena-Reservat Raposa/Serra do Sol kurz vor einem historischen Beschluss: den dort lebenden 19.000 Angehörigen von fünf Ethnien eine Überlebensperspektive zu geben. Die Lösung des Landkonflikts in Nordamazonien gilt als Nagelprobe für den Umgang des brasilianischen Staates mit seinen 227 indigenen Völkern.

Hand in Hand mit der regionalen Politikerkaste hatten die Großgrundbesitzer gegen die endgültige Demarkierung des Gebiets an der Grenze zu Venezuela und Guayana als indigenes Land geklagt, die Präsident Luiz Inácio Lula da Silva 2005 dekretiert hatte. Auf dem Spiel stehe die Souveränität Brasiliens und das wirtschaftliche Überleben des Bundesstaats Roraima, klagten Reisbauern und Militärs. Sie schlugen vor, die Ureinwohner auf mehreren "Inseln" zusammenzupferchen.

Derweil eskalierte die Lage in Raposa/Serra do Sol: Im Mai gingen Handlager der Farmer mit Gewehren auf eine Gruppe von Indígenas los und verletzten zehn von ihnen. Seit Oktober, als Reisbauernchef Paulo César Quartiero als Bürgermeister der Gemeinde Pacaraima abgewählt wurde, lässt der Druck nach.

Minuten nach dem pathetischen Bekenntnis von Bundesrichter und Berichterstatter Britto folgte vorgestern allerdings die kalte Dusche: Sein Kollege Marco Aurélio Mello bestand darauf, die Entscheidung erneut zu vertagen. Angeblich braucht er noch mehr Zeit, um den Fall zu analysieren - obwohl seit Brittos erstem, ausführlichem Votum bereits dreieinhalb Monate verstrichen waren. Nun wird der Prozess frühestens im Februar 2009 fortgesetzt.

Mello, der 1990 von seinem Cousin, dem damaligen Staatschef Fernando Collor, nominiert worden war, macht aus seiner Abneigung gegen Indígenas kein Hehl. "Mello spielt mit unserem Leben", sagte Indianersprecher Júlio Maxuki, der nach Brasília gekommen war.

Dennoch waren die paar Dutzend Indianer, die den Prozess in der Hauptstadt in traditioneller Kleidung und Bemalung live verfolgten, vor allem erleichtert. Denn bereits acht von elf Richtern stimmten jetzt dafür, ihnen die ausschließliche landwirtschaftliche Nutzung von Rapos/Serra do Sol zu garantieren. Nur so lasse sich die indigene Kultur langfristig erhalten.

Die in den letzten Jahren von Lula nominierten Bundesrichter, so zeigte sich erneut, sind spürbar fortschrittlicher als ihre Vorgänger. Joaquim Barbosa, der erste Schwarze im Obersten Gerichtshof, verwies auf die fatale Entwicklung im Bundesstaat Mato Grosso do Sul, wo eine "Insel"-Lösung zugunsten der Farmer den Lebensraums der Guaraní-Kaiowá dramatisch beschnitten hat: "Damit steht das Überleben dieser Indígenas auf dem Spiel."

Zugleich sprachen sich die meisten Richter für Einschränkungen aus, durch die künftig die Nutzung des Gebiets "im öffentlichen Interesse" erleichtert werden soll. Bei der Förderung von Bodenschätzen oder dem Bau von Landstraßen und Wasserkraftwerken soll den Ureinwohnern keinerlei Mitsprache eingeräumt werden - was wiederum den Wachstumsplänen der Regierung Lula entgegenkommt.

Entsprechend verhalten äußerte sich Márcio Meira, der Vorsitzende der nationalen Indianerbehörde Funai. "Die Befürchtungen der indigenen Völker sind berechtigt", meinte er, die Funai werde die "sehr komplexen juristischen Ausführungen" der Richter prüfen. "Mit einigen Vorschlägen, etwa dem Verbot, Reservate auszuweiten, würde der historische Landraub legitimiert", meint Francisco Loebens vom Indianermissionsrat Cimi in Manaus. Zugleich freute er sich über die "klare Niederlage der Reisbauern". Deren Sprecher forderten schon einmal eine 30-Millionen-Euro-Entschädigung.

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