Nach innerparteilichem Wahlkampf: Ein SPD-Chef geht von Bord
Stephan Hilsberg, Gründer der Ost-SPD, verliert seinen Wahlkreis und damit nach 18 Jahren sein Bundestagsmandat.
BERLIN taz Im Mai hielt Stephan Hilsberg im Bundestag eine bemerkenswerte Rede. Es waren gerade neue Stasi-Akten aufgetaucht, die abermals nahelegten, dass der heutige Linke-Fraktionschef, Gregor Gysi, weit tiefer in den DDR-Sicherheitsapparat verstrickt war, als er zugeben mag. Im Plenum wurde Gysi zum Rücktritt aufgefordert, auch von Hilsberg, wenngleich mit auffällig anderem Zungenschlag. "Es fällt mir schwer, meine Gedanken zum Ausdruck zu bringen", so der SPD-Abgeordnete, "und es fällt mir noch schwerer, erst meine Gefühle zum Ausdruck zu bringen."
Dann erzählte der 52-Jährige von seiner Arbeit im Immunitätsausschuss, der Gysi 1998 der Stasi-Mitarbeit bezichtigt hatte. Anschließend wurde Hilsberg in den Zeitungen gefeiert als der Einzige, der der Debatte auch nur ansatzweise Qualität verlieh.
Es dürfte der letzte größere Auftritt des SPD-Politikers gewesen sein. Dem neuen Bundestag wird er nicht mehr angehören. Am Montagabend verlor er den Wahlkreis 66, Elbe-Elster, gegen seinen innerparteilichen Rivalen, den Bürgermeister des brandenburgischen Städtchens Großräschen, Thomas Zenker.
Vielleicht liegt es daran, dass er bereits seit 18 Jahren im Bundestag sitzt, dass man an Folgendes erinnern muss: Mit Hilsberg geht ein SPD-Chef und einer der letzten prominenten DDR-Bürgerrechtler von Bord. 1989 war der Informatiker an der Gründung der Sozialdemokratischen Partei der DDR beteiligt, 1990 übernahm er für die Ostfiliale der SPD die Geschäftsführung. Er wurde Bundestagsabgeordneter, bildungspolitischer Sprecher der Fraktion und Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium, bevor ihn eine Krankheit für eineinhalb Jahre außer Gefecht setzte. Zuletzt engagierte er sich in der Arbeitsgruppe Aufbau Ost.
"Die lange Krankheit war sicher ein Grund für meine Niederlage", vermutet Hilsberg. "Aber ich hadere mit niemandem." Über seinen Nachfolger Thomas Zenker will er kein böses Wort verlieren. "Ich halte ihn für fähig", sagt er.
An manchen Stellen lässt sich erahnen, dass ihn die Niederlage doch mehr schmerzt, als er versichert. Wenn er zum Beispiel von einem "lokalem Machtkartell" spricht, das ihm in seinem Wahlkreis den Weg verbaut habe. Oder von "kulturellen Unterschieden" und von einer "regionalen Gefühligkeit", in der die brandenburgischen Genossen offenbar verharren wollten.
Was macht einer, der fast die Hälfte seines Lebens in politischen Institutionen verbracht hat, nach dieser Karriere? "Ich weiß es noch nicht, aber es gibt viele Optionen." Und ein paar Monate Bundestag hat er ja noch vor sich.
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