Recht: Es gibt keine Profis bei der Leichenschau

Nach dem ungeklärten Tod einer Frau im Urban-Krankenhaus mehren sich Forderungen nach professionellerer Leichenschau. Fast alle Ärzte, die Totenscheine ausstellen, "sind dafür nicht geeignet", so der Leiter der Gerichtsmedizin.

Der "Bund Deutscher Kriminalbeamter" (BDK) ist sauer. "Wir brauchen endlich eine professionelle Leichenschau von entsprechend ausgebildeten Ärzten", sagt BDK-Landeschef Rolf Kaßauer. Bei seiner Forderung hat er hochkarätige Unterstützung. "Neunzig Prozent der Ärzte, die eine Leichenschau durchführen, sind dafür nicht geeignet, weil sie mit der Materie nicht vertraut sind", meint auch der Leiter der Berliner Gerichtsmedizin, Michael Tsokos.

Hintergrund der Erregung ist der Tod der 23-Jährigen Anne B. Mitte September wurde die junge Frau hilflos auf der Toilette eines Kreuzberger Internetcafés gefunden. In ihrem Bauch steckte noch eine Spritze, neben ihr stand ein Fläschchen Tilidin. Der eilig herbei gerufene Notarzt ließ sie ins Urban-Krankenhaus bringen, denn akute Lebensgefahr bestand nicht. Für die Polizei schien der Fall damit zunächst erledigt. Allerdings wurde ein Ermittlungsverfahren wegen Verstoßes gegen das Arzneimittelgesetz eingeleitet, denn Tilidin gehört zur Gruppe der sogenannten Opioide und wirkt euphorisierend. Seit geraumer Zeit erfreut sich das rezeptpflichtige Medikament daher in der Drogenszene einiger Beliebtheit. Rund 90 Prozent der etwa 2.480 Rezeptfälschungen, die im vorigen Jahr in Berlin aufflogen, betrafen tilidinhaltige Medikamente.

Auch Anne B. muss also mit einer polizeilichen Vernehmung rechnen. Um diese zu terminieren, erkundigt man sich einige Wochen später nach ihrem Gesundheitszustand und erhält vom Krankenhaus die Auskunft, die 23-Jährige sei entlassen worden. Eine Anfrage bei der Meldebehörde ihrer Heimatstadt erbringt, dass dort eine Sterbemeldung vorliegt. Jetzt ist man bei der Polizei alarmiert: Ist die Frau an einer verunreinigten Droge gestorben? Dann müsste umgehend das Rauschgiftdezernat des Landeskriminalamtes eingeschaltet werden, um weitere Fälle möglichst zu verhindern.

Weitere Recherchen ergeben, dass Anne B. eine Woche nach der Einlieferung im Urban-Krankenhaus starb. Eine Obduktion fand allerdings nicht statt, wie Tsokos weiß. Auch eine Sterbemeldung an die Polizei, wie es das Gesetz vorschreibt, hat es seitens des Krankenhauses nicht gegeben. Ende Oktober wird daraufhin laut Auskunft der Staatsanwaltschaft ein "Todesermittlungsverfahren" eröffnet. Doch weiß die Berliner Polizei davon nichts. Man sei damit nicht befasst, heißt es bei ihrer Pressestelle. Aber wer dann?

Für den BDK und Rechtsmediziner Tsokos ist im Fall der Anne B. so ziemlich alles schiefgelaufen, was möglich war. Das Grundproblem jedoch liege tiefer. Beide fordern "amtliche Leichenbeschauer als objektive Instanz". Es könne nicht länger hingenommen werden, dass Haus- und Kinderärzte, Orthopäden oder jeder andere, der eine ärztliche Approbation besitzt, einen Totenschein ausstellen könne ohne hierfür fortgebildet zu sein. Wie sich gezeigt habe, seien selbst die "Meldewege weitgehend unbekannt", sagt Kaßauer. Seitens des Urban-Krankenhaus-Betreibers Vivantes heißt es schlicht, dass man alle gesetzlichen Vorgaben einhalte - ansonsten Funkstille.

Das Problem ist nicht unbekannt: In einer polizeiinternen Erhebung aus dem Jahr 2006 wird der Leichenschaudienst der Kassenärztlichen Vereinigung von den BeamtInnen nicht selten als "nach wie vor oberflächlich" bewertet. Nach aktuellen Zahlen wird in rund 60 Prozent aller Sterbefälle, in denen die Polizei "im Nachhinein" alarmiert wird, eine zusätzliche Leichenschau notwendig, weil der Arzt auf dem Totenschein "Todesart ungewiss" eingetragen hat. Dies sind pro Jahr in Deutschland knapp 5.000 Fälle. Auch Günther Jonitz, Präsident der Berliner Ärztekammer, fordert bei unklaren Fällen nach der "vorläufigen Todesfeststellung eine Nachschau durch die Gerichtsmedizin".

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