Kolumne Overseas: Ein empfänglicher Wandel

Sex und Intimfrisuren: Die Wahl von Barack Obama zum US-Präsidenten geht auch unter die Gürtellinie.

Von wegen Politik ist nicht Sex. Feierlicher, gratulatorischer Sex, ist das hier. Wir in den Vereinigenden Staaten warten jetzt auf die frohe Nachricht. Nein, nicht das Jesuskind, sondern das Obama-Baby. Denn die US-Medien sind fest davon überzeugt, dass es in der Wahlnacht am 4. November nur so knisterte vor "election erection".

Die Chicago Tribune hatte gleich eine Umfrage dazu gemacht, denn eine Statistik muss hier ja immer her. Und rund 25 Prozent der befragten Chicagoer antworteten wahrheitsgemäß oder nicht, dass sie es in der Nacht, nachdem Obama uns mit dem historischen Moment und seiner ernsten Rede so richtig Gänsehaut und ganz viel große Gefühle verpasst hatte, ja, dass sie es getrieben haben. Und weil Amerikaner um ein passendes Zeitgeistwort nie verlegen sind, hat das Geschnacksel am Ende einer Legislaturperiode, also in Wahlnächten, natürlich auch einen besonderen Namen, nämlich "celebratory sex". Aber das ist noch nicht alles.

Denn, wie das hier so ist, wird alles, was mit Obama zu tun hat, in eine große, mit Sternengold bestäubte Präsidenten-Saga hineinbugsiert. Und die geht so: Barack Obama, der Sohn politisch progressiver Eltern, wurde am 4. August 1961 geboren. Na, klingelt da nicht was? Come on, Baby. Klar, das sind ziemlich genau neun Monate, nachdem der andere Sexy-Pres, John F. Kennedy, ins Weiße Haus gewählt wurde. Manche nennen die Obama Wahlnacht schon in Abwandelung des Wahlslogans "Change you can conceive in" und warten gespannt auf August 2009. Ob da ein zukünftiger Präsident dabei ist?

Was die Bush-Wahlnächte angeht, entdecke ich hier leider eklatante Informationslücken. Freunde berichten mir, dass sie sich 2004 einfach nur haben volllaufen lassen, ohne weitere Versuche "kompensatorischen Koitus" zu unternehmen, oder wie immer das dann heißen würde. Zumindest ist ja auch nicht anzunehmen, dass die Evangelikalen und Wiedergeborenen, also die, die damals wohl überhaupt so etwas wie wohlige Wärme und höhere Durchblutungssymptome empfunden haben müssen, auf solche Umfragen antworten würden.

Obwohl: Da kann man sich ja auch täuschen, habe ich inzwischen lernen müssen. Kürzlich veröffentlichte ein evangelikales Langzeitehepaar sein Tagebuch der Ehewiederbelebung. Das Paar hatte sich ein Jahr lang täglich einmal Sex verordnet und das mit missionarischer Disziplin duchgezogen, und alles offenherzig dokumentiert uähh! Jedenfalls sagte eine Sowieso-Expertin ausgerechnet von der Hackensack-University, dass "Optimismus über die Führung eines Landes" direkte Auswirkungen auf die Geburtenrate hat. Aha, da muss in unserem parlamentarischen System zu Hause in Deutschland also neben dem Kindergartenplatz noch was anderes fehlen?

Was die Dame von der "Reproduktionsforschungsabteilung" aber verschweigt - wohl weil es noch keine Statistik dazu gibt -, finde ich noch fantastischer. Während wir Washingtoner Journalisten gerade dabei sind, Bush zu verabschieden, höre ich aus gewöhnlich gut unterrichteten Kreisen: Bush is back! Wie bitte? Habe ich da was verpasst? Nee, nicht im Weißen Haus. Meine Freundinnen verweisen auf Blogs (sie selbst geben dazu keine intime Auskunft), in denen Frauen davon berichten, dass im Obama-Zeitalter Schluss ist mit dem aufwendig epilierten Landestreifen unten in der Scham. Bush ist back, Rapunzel lass dein Haar herunter und so weiter. Angesagt ist jetzt der "tailored bush" also das lässig gemähte Verkehrsdreieck, das die Inhaberin mit einem neuen, Obama-inspirierten Selbstverständnis à la "ich bin behaart, also bin ich" trägt. In Wahrheit, das haben Diskussionsforen dann auch gleich enthüllt, steckt aber nicht Obama dahinter. Sondern die Wirtschaftskrise. So ein teurer Brazilian "wax job" ist halt rezessionsanfällig. Mehr Natur ist gut fürs Portemonnaie.

Aber, hey, es wäre nicht Amerika, wenn es nicht auch Einladungen zu Partys am 20. Januar geben würde, dem Tag der Obama-Amtseinweihung, die explizit verlangen: "Shave the date". Es sind nur Partygäste willkommen, die demonstrativ ihre Unterwelt völlig vom Busch befreit haben. Mann/Frau darf auf der Party selbst Hand anlegen, schließlich sind wir ja mitten in der Wirtschaftskrise.

Adrienne Woltersdorf

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