Interview mit Karl Brenke vom DIW: "Wir haben eine Rezession, keine Krise"
taz-Serie "Ausblick 2009" (Teil 1): Wenn der Wirtschaftsforscher Karl Brenke auf das neue Jahr schaut, ist er nicht pessimistisch. Berlin sei ganz gut aufgestellt. Die eher regionale Wirtschaftsstruktur, bislang oft als Nachteil ausgelegt, zahle sich nun aus.
KARL BRENKE, 55, sitzt als wissenschaftlicher Referent im Vorstand des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). Sein Forschungsschwerpunkt ist die Wirtschaft in Berlin und den neuen Bundesländern. Der Soziologe und Volkswirtschaftler arbeitet seit mehr als 20 Jahren in dem Institut.
Alle wünschen einen guten Rutsch und ein frohes neues Jahr. Was aber bringt 2009 wirklich? Die taz fragt die, die es wissen müssen. Den Anfang macht die Berliner Wirtschaft. War 2008 das Jahr der Krise, und 2009 wird das Jahr, in dem sich die Folgen zeigen? Am nächsten Dienstag: ein Ausblick auf die Leichtathletik-Weltmeisterschaft in Berlin. TAZ
taz: Herr Brenke, haben Sie Angst vor 2009?
Karl Brenke: Wie die Konjunktur sich entwickeln wird, ist momentan schwer einzuschätzen. Die gegenwärtig gehandelten Prognosen haben extrem kurze Halbwertzeiten. Es scheint ein Rennen darum zu geben, wer möglichst rasch möglichst schwarz malt. Man sollte sich von der Panik nicht anstecken lassen.
Was ist Ihre Prognose für Berlin?
Berlin hat sich wirtschaftlich in den vergangenen Jahren durchweg schlechter entwickelt als der Bundesdurchschnitt. Erst zuletzt ist der Wachstumsrückstand kleiner geworden. Grundsätzlich ist die wirtschaftliche Entwicklung in Berlin weniger stark von der allgemeinen Konjunktur geprägt. Die Nachfrage aus der Region spielt eine große Rolle, weniger der Export.
Berlin ist also ganz gut gegen die Krise gewappnet?
Die Krise wird sich in Berlin wahrscheinlich nicht so stark bemerkbar machen wie in anderen Regionen. Trotzdem wird sich die Stadt natürlich nicht von den gesamtwirtschaftlichen Entwicklungen abkoppeln können. Gerade manche Dienstleistungsunternehmen verhalten sich derzeit irrational. Beispielsweise fahren sie in der Krise gerade die Werbung herunter, obwohl sie doch versuchen müssen, den Umsatz anzukurbeln. So wird es die Werbewirtschaft treffen.
Berlin ist ohnehin schon relativ arm. Wird sich die Zahl der Armen aufgrund der Finanzkrise in den nächsten Monaten noch stärker vermehren?
Armut hängt stark von der Arbeitslosigkeit ab. In den letzten zwei Jahren hatten wir eine recht günstige Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt. Der Trend zu den Dienstleistungen setzte sich fort. Dabei muss man differenzieren. Es gibt auf der einen Seite Dienstleistungen, bei denen ich sagen würde: Da wird eine relativ hohe Qualifikation verlangt. Auf der anderen Seite gab es Sektoren, die Beschäftigung bei eher einfachen und deshalb gering entlohnten Jobs aufgebaut haben. Dazu gehört auch die Zeitarbeit - wenngleich es in der Zeitarbeit auch qualifizierte Beschäftigung gibt.
Die Zeitarbeiter werden ja in der gegenwärtigen Krise als erstes entlassen.
Zeitarbeit ist ja nichts anderes als die Trennung zwischen Stammbelegschaft und Randbelegschaften. Schon immer hatten letztere große Probleme, wenn eine wirtschaftliche Entwicklung schwach war.
Momentan werden die Negativschlagzeilen vor allem von massiven Stellenabbau in den USA gestützt. Deutschland zeigt noch immer steigende Beschäftigungszahlen. Ist alles bloß nur Panikmache, und Berlin rutscht gar nicht in eine Krise?
Ich erkenne diese Signale so eindeutig noch nicht.
Sie meiden beharrlich das Wort "Krise".
Wir haben eine Rezession. Wir sind seit zwei Quartalen im Minus und gewiss wird es im nächsten Quartal auch nicht gut aussehen. Aber eine allgemeine Krise? Ich würde erst von Krise sprechen, wenn wir tiefgreifende Verwerfungen haben, die sprunghaft zu hohen Arbeitslosenzahlen führen wie wir es momentan in den USA haben. So weit sind wir noch nicht.
Noch nicht?
Ich bin nicht unbedingt der Auffassung, dass wir so drastisch steigende Arbeitslosenzahlen haben werden wie die USA. Dort hat man über Jahre mit Unterstützung der Banken eine riesige Immobilienblase und Vermögensillusionen produziert. Die sind geplatzt. Das hat dazu geführt, dass viele Leute ihre Häuser und ihren Konsum auf Pump nicht mehr finanzieren konnten. Das hat dann in der ganzen US-Wirtschaft Wellen geschlagen. So etwas sehe ich für Deutschland und für Berlin nicht.
Aber die derzeitige globale Konjunkturkrise wird doch vor allem exportorientierte Länder wie Deutschland treffen.
Nicht vor allem, aber doch sehr stark. Auf der anderen Seite gibt es Anzeichen, dass sich hierzulande der Konsum etwas erhöht. Das wird gestützt durch den zuletzt nur noch moderateren Preisanstieg, der quasi wie ein Konjunkturprogramm wirkt. Auch die Lohnabschlüsse im Westen waren höher als in den Jahren zuvor. Das dürfte sich bemerkbar machen, wenn sich die Menschen nicht beim Kaufen zurückhalten. Der größte Feind der Konjunktur ist bekanntlich die Psyche.
Gehen wir auf einzelne Branchen ein: Berlins Tourismus - was sind da Ihre Prognosen?
Dass der Städtetourismus zunimmt, ist ein weltweites Phänomen. Und Berlin profitiert besonders davon, die Preise sind hier relativ günstig. Aber ich gehe mal davon aus: Wenn sich die wirtschaftliche Entwicklung weiter eintrübt, wird sich das auf den Tourismus auswirken. Es wird dazu führen, dass sich manch einer überlegt, ob er sein Geld für die Städtereisen lieber im Portemonnaie lässt. Man sollte den Tourismus übrigens nicht überbewerten. Das Gastgewerbe macht gerade einmal 2,5 Prozent an der gesamten Wirtschaftsleistung Berlins aus.
Viel Hoffnung wurde in den Gesundheitsbereich gesetzt. Wie sind da Ihre Prognosen?
Wir haben einen großen Bereich des Gesundheitssektors, der in den vergangenen Jahren überhaupt nicht gewachsen ist. Das betrifft zum Beispiel die niedergelassenen Ärzte oder die Kliniken. Wir schauen immer auf kleine Segmente wie die Medizintechnik, weil sie innovativ sind. Es sind eher noch kleine Pflänzchen. Wenn ich Berlin mit anderen Großstädten in Deutschland vergleiche, sind wir keineswegs die Gesundheits-Metropole.
Und wie sieht es mit den Branchen aus, die auf eine enge Verzahnung zwischen Wissenschaft und Technik setzen, wie zum Beispiel die Biotechnologie?
Für die gilt dasselbe. Schön, dass sie wachsen. Aber: Die Entwicklung neuer Strukturen, die die Wirtschaft einer Region prägen, dauert lange.
Das Ende von Adlershof droht also nicht.
Ach was. Warum? Im übrigen: Adlershof ist ja nicht nur Biotechnologie, sondern dort ist viel mehr angesiedelt. Und die biotechnische Forschung wird wenig von der Konjunktur berührt.
Medien reagieren am empfindlichsten auf Konjunkturabschwünge.
In doppelter Hinsicht: Was die Darstellung der Wirtschaftslage anbelangt, reagieren Medien wie üblich. Sie wollen möglichst viele Probleme darstellen. Andererseits bekommen es die Medien zu spüren, wenn sich die Konjunktur eintrübt, weil sie sich zu einem erheblichen Teil über Werbung finanzieren.
Was würden Sie angesichts der konjunkturellen Abschwächung Wirtschaftssenator Harald Wolf raten?
Dem würde ich gar nichts raten. Die Möglichkeiten eines Bundeslandes, gegen die bestehende Rezession anzugehen, sind relativ gering. Wenn man staatliche Maßnahmen zur wirksamen Konjunkturstützung durchführen will, dann muss man viel Geld in die Hand nehmen. Berlin hat das nicht - das hat aber auch kein anderes Bundesland.
Aber was ist mit dem Vorschlag, massiv Geld in die maroden Schul- und andere öffentliche Gebäude zu investieren? Das sind doch konkrete Maßnahmen, die auch die örtlichen Handwerker auf Trab halten würden?
In der Tat gibt es hier einen großen Bedarf - gerade in Berlin. In der Stadt sind viele Gebäude in einem schlechten Zustand. Ganz anders sieht es dagegen in Brandenburg aus, wo sich die Schulgebäude in aller Regel in einem Top-Zustand befinden. Hilfen nach dem Gießkannen-Prinzip helfen also kaum weiter.
Wie kann eine regionale Wirtschaftspolitik in Zeiten der Globalisierung überhaupt sinnvoll aussehen?
Berlin braucht vor allem verstärkte Investitionen ins Bildungssystem. Hier ist auch einiges angestoßen worden, auch was die frühkindliche Erziehung anbelangt. Das zweite Problem ist die Infrastruktur, die schlechte bauliche Substanz. Bei den Straßen sieht es nicht besser als bei den Gebäuden aus. Unterlassene bauliche Unterhaltung führt zwar kurzfristig zur Einsparungen - langfristig ist sie aber extrem teuer. So hilft es nicht, bei einem defekten Dach auf die Reparaturen zu verzichten, denn nach kurzer Zeit müssen dann auch die Decken und Wände saniert werden. In Berlin dachte man in dieser Hinsicht bisher kurzsichtig. Zudem sind enorme Einsparungspotentiale vorhanden, etwa zur Senkung der Energiekosten bei öffentlichen Gebäuden, was aber zunächst höhere Ausgaben verlangt. Vielleicht denkt man ja nun anders.
Was würden Sie angesichts der konjukturellen Abschwächung dem Durchschnittsberliner raten? Schön viel konsumieren oder sparen?
Wenn jemand Angst hat, dass sein Geld verfallen könnte, weil zum Beispiel die Bank pleite geht, der soll es am besten ausgeben. Die Preise für ein neues Auto oder einen neuen Fernseher sind so gut wie lange nicht mehr. Aber natürlich: Wer um seinen Arbeitsplatz bangt, wird den Geldbeutel zuhalten. Aber man sollte nun nicht in Panik verfallen.
In was würden Sie denn investieren?
Ich denke ernsthaft darüber nach, ein neues Auto zu kaufen. Einen Skoda von der Serie Greenline, die mit 5 Liter pro 100 Kilometer relativ wenig Sprit verbrauchen.
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