Interview Wolfgang Tiefensee: "Es geht nicht um Beton"

Der SPD-Bundesverkehrsminister braucht keine Ost-West-Debatte. Mit Bahnchef Mehdorn verbindet ihn eine konstruktive Zusammenarbeit, die nicht ohne Konflikte abläuft.

"Niemand will aus dieser Krise Nutzen ziehen": Wolfgang Tiefensee. Bild: ap

taz: Herr Tiefensee, sind Sie ein Krisengewinner?

Wolfgang Tiefensee: Nein, wie kommen Sie auf so etwas?

Vom Konjunkturpaket bekommen Sie das meiste Geld. Allein von den bereits bewilligten 12 Milliarden werden 5 Milliarden Euro in Ihrem Ressort ausgegeben.

Niemand will aus dieser Krise Nutzen ziehen. Sie trifft uns alle hart, weil es nicht nur um einen wirtschaftlichen Abschwung geht. Ich befürchte, dass Arbeitsplätze wegbrechen, wenn die Maßnahmen der Bundesregierung nicht schnell greifen. Investitionen zur umweltgerechten Gebäudesanierung und in die Infrastruktur können in so einer Situation dämpfend wirken.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) meint, der Osten habe seit der Wende schon genug bekommen.

Das ist eine völlig unnötige Diskussion, die mich geärgert hat. Wir brauchen keine Ost-West-Debatte, sondern müssen in großer Solidarität aller Himmelsrichtungen dem drohenden Abschwung entgegensteuern.

Haben Sie Ihren Ärger der Bundeskanzlerin mitgeteilt?

Ja, und sie hat ihn verstanden.

Und sie wird so etwas nie wieder sagen?

Wir alle wissen, dass die Ost-West-Debatte niemandem nützt.

Wie kommen wir aus der Krise? Indem wir neue Straßen bauen und das Rezessionsloch einfach zubetonieren?

Es geht nicht um Beton. Wir reden ja über die energetische Sanierung von Häusern, die Renovierung von Schulen und Kitas, den seniorengerechten Umbau von Wohnungen. Das alles bringt Aufträge für den kleinen Handwerker wie für das große Bauunternehmen. Und da gibt es sehr viel zu tun.

Umweltminister Sigmar Gabriel (SPD) warnt vor falschen Akzentsetzungen und lehnt eine "Straßenbauorgie" ab. Wie stehen Sie dazu?

Alle Konjunkturmaßnahmen müssen vier Kriterien erfüllen. Sie müssen schnell wirken, zielgerichtet und punktgenau sein, Arbeitsplätze sichern und nachhaltig sein. Viele Straßenbauprojekte, die wir bereits in Gang gesetzt haben, sind Ortsumgehungen. Sie entlasten die Gemeinden von Staus und Abgasen und bringen mehr Verkehrssicherheit. Die Sanierung von Straßen ist in meinem Arbeitsplatzprogramm ebenso berücksichtigt wie 620 Millionen Euro zusätzlich für den umweltfreundlichen Schienenverkehr. Da bin ich mit meinem Kollegen Gabriel völlig einig.

Das sind doch aber eher langfristige Projekte, können die schon 2009 wirken?

Ich gehe davon aus, dass wir mit kurzen Ausschreibungsfristen spätestens im März und April mit den neuen Maßnahmen beginnen. Wir haben zum Beispiel bei den Investitionsprogrammen in Schulen elfmal mehr Anträge, als wir bisher bewilligen konnten. Im CO2-Gebäudesanierungsprogramm haben wir ebenfalls eine sehr hohe Nachfrage. Diese Projekte sind durchgeplant und genehmigt. Es kann also sofort losgehen. Wir sichern damit zehntausende Arbeitsplätze und vermeiden den Ausstoß von etwa 1 Million Tonnen CO2 im kommenden Jahr.

Allerdings planieren Sie auch große Flächen. Von den 2 Milliarden Euro, die nun zusätzlich für Verkehrswege da sind, fließt knapp die Hälfte in neue Straßen. Und jede neue Straße zieht mehr Verkehr an. Nachhaltiger wäre, mehr Geld in den öffentlichen Nahverkehr zu stecken.

Tun wir ja auch. Wir geben 6,8 Milliarden Euro für den Bahnregionalverkehr aus, wir finanzieren mit 1,3 Milliarden Euro zum Beispiel den Bau von Stadtbahnen in Innenstädten. Ihre These stimmt übrigens nicht: Die Prognosen sagen einen Zuwachs von 80 Prozent beim Lkw-Verkehr voraus, auf diese Herausforderung müssen wir reagieren. Beim Straßenbau sind wir im Rückstand. Eine fünfte und sechste Autobahnspur bei Engpässen in Ballungsräumen sorgt für weniger Staus und verringert damit auch CO2-Emissionen. In Zukunft möchte ich eine stadtteilbezogene CO2-Bilanz erstellen. Wir werden Mobilität vernetzen, wir brauchen den Einzelhandel im Wohnviertel, mehr Radwege, Car-Sharing, umweltfreundliche Busse …

billigere Tickets für Busse und Regionalbahnen, was gerade die Einkommensschwachen entlasten würde.

Klar ist, Mobilität muss für alle Menschen - unabhängig vom Geldbeutel - bezahlbar bleiben. Die Fahrpreise liegen nicht in meinen Händen, zuständig sind die Länder.

Die Deutsche Bahn ist aber Ihr Job. Und die erhöht im Fernverkehr jährlich ihre Preise, zuletzt um durchschnittlich 3,9 Prozent. So ist es schwer, neue Kunden zu gewinnen.

Ich glaube nicht, dass der Preis das entscheidende Problem ist. Die Deutsche Bahn und ihre Wettbewerber befördern allein im öffentlichen Nahverkehr 28 Millionen Menschen pro Tag. Wer immer noch lieber Auto fährt, tut das eher wegen der vielen schmutzigen und sanierungsbedürftigen Bahnhöfe. Auch überfüllte Züge oder häufiges Umsteigen sind keine Werbung für die Bahn. Wenn das Angebot stimmt, sind die Menschen bereit, einen entsprechenden Preis zu zahlen. In Berlin etwa ist das Angebot hervorragend, und viele Menschen steigen trotz höherer Preise auf U- und S-Bahnen um. Im Ruhrgebiet müssen wir noch investieren.

Die Bahn hat die teureren Tickets mit gestiegenen Energiepreisen begründet. Aber die sinken gerade kräftig. Werden die Fahrkarten billiger?

Das entscheidet die Deutsche Bahn. Mir ist bewusst, dass jede Fahrpreiserhöhung Diskussionen auslöst, darauf hat der Bund keinen Einfluss. Aber noch einmal: Es geht auch um die Qualität des Angebotes. Um saubere, sichere Züge und ein engagiertes Personal, das angemessen bezahlt wird. Es kommt künftig darauf an, dass wir idiotische Bedienzuschläge vermeiden und derjenige belohnt wird, der langfristig plant oder eine Monats- oder Jahreskarte besitzt. Es nützt niemandem, wenn der Bahn am Ende Geld fehlt und die Qualität wieder sinkt.

Der Bahn fehlen auch Einnahmen, weil der seit Jahren angekündigte Gang an die Börse abgesagt ist. Dabei hatte Bahnchef Hartmut Mehdorn immer gesagt, dass neues Kapital für Investitionen nötig sei.

Mit dem Arbeitsplatzprogramm Bau und Verkehr aus meinem Haus können wir einen Teil der Investitionen abdecken. Nur zwei Beispiele: Wir haben uns dafür starkgemacht, den Lärmschutz an Schienenstrecken zügig auszuweiten. Dazu setzten wir insgesamt 150 Millionen Euro für die Sanierung von kleinen und mittleren Bahnhöfen ein.

Wenn es 2010 einen neuen Börsenanlauf geben sollte, ist dann Hartmut Mehdorn noch Chef der Bahn?

Sein Vertrag reicht über diese Zeit hinaus.

Reden Sie noch mit ihm?

Na klar, wieso nicht?

Sie hatten einige Konflikte mit ihm in der letzten Zeit, zum Beispiel wegen der Börsenboni für das Management.

Konflikte hatten wir nicht nur in diesem Jahr. Als ich keine drei Tage im Amt war, gab es schon eine Auseinandersetzung um den möglichen Umzug der Konzernzentrale von Berlin nach Hamburg. Wir arbeiten nicht konfliktfrei, aber konstruktiv zusammen. Dabei bleibt es.

Mit der sogenannten Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung sagt der Bund jährlich 2,5 Milliarden Euro für die Bahninfrastruktur zu. Kritiker halten das für zu wenig. Ist eine Aufstockung denkbar?

Es gibt immer Menschen, die kritisieren. Und es gibt immer welche, die sagen, es ist zu wenig. Dabei ist diese Vereinbarung, die jetzt von den zuständigen Bundestagsausschüssen beschlossen wurde, etwas Neues: Erstmals gibt es eine langfristige Sicherheit für Zuschüsse des Bundes, die die Deutsche Bahn aufstocken muss. Das ist ein großer Fortschritt. Künftig prüft der Bund nicht mehr mit hohem bürokratischem Aufwand, ob eine Weiche erneuert werden muss - entscheidend ist, ob die Züge schneller sind. Wenn sich die Qualität des Schienennetzes verschlechtert, muss die Bahn hohe Strafen zahlen.

Lassen Sie uns über Ihre Partei und Ostdeutschland reden: Wie kommt die SPD im Osten aus der Krise? In Sachsen - wo Sie herkommen - hatte sie zuletzt ein denkbar schlechtes Wahlergebnis erzielt.

Die SPD ist nicht in der Krise. Aber sie ist im Osten auch deshalb schlecht aufgestellt, weil sie nicht über die personelle Stärke wie die Linkspartei verfügt. Die hat einfach die Mitgliederkartei der SED übernommen. Zudem ist die SPD dort in einer besonderen Situation, weil sie sich auf der einen Seite mit den Neoliberalen auseinandersetzen muss und auf der anderen mit der Linken. Das ist in Westdeutschland nicht so. Zudem haben wir in Ostdeutschland mit besonderen Schwierigkeiten zu kämpfen, etwa der hohen Arbeitslosigkeit und der demografischen Entwicklung. Daraus resultiert Skepsis gegenüber allen Parteien. Das alles macht es meiner Partei nicht leicht.

Sie kamen als Hoffnungsträger des Ostens nach Berlin. Haben Sie die Hoffnung erfüllt?

Ich bin als Realist und Pragmatiker nach Berlin geholt worden, um mit meinen vielfältigen Erfahrungen und Verwurzelungen im Osten etwas für die Menschen hier zu tun. Und wir haben viel erreicht: Die Arbeitslosigkeit ist in diesen drei Jahren um 500.000 gesunken. Die Unterstützung für Unternehmen wurde bis 2013 verlängert, der Kommunalkombi hilft Langzeitarbeitslosen. Wir haben wichtige wissenschaftliche Institute im Osten angesiedelt, die Entwicklung der Industrie ist erfreulich, vor allem im Bereich der erneuerbaren Energien. Dennoch sind die Probleme insgesamt noch groß. So können Sie vielleicht verstehen, dass mir im nächsten Jahr - dem Jahr der Jubiläen 20 Jahre nach dem Mauerfall - nicht so recht nach Feiern ist. Die Probleme müssen wir angehen, mit solider Arbeit. Dass dies immer auch mit Kritik begleitet wird, damit kann ich als einer, der aus dem Widerstand gegen das DDR-Regime kommt und 15 Jahre Kommunalpolitik dicht an den Bürgern gemacht hat, umgehen.

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